Parole Brandi: Praktikum als Mick Jagger bei der Öko-Sekte

Unsere Kolumnistin suchte nach ehrlicher Arbeit abseits des Musikgeschäfts und fand ungewaschene Esoterik in Südtirol

Es gibt Tage, an denen denke ich, wer das Musikbusiness erfunden hat, muss aus erster Hand wissen, was die Hölle ist. Alle Kriterien sind eigentlich erfüllt. Nimm etwas unschuldiges, schönes und kopple es mit kommerziellem Druck, dann ergibt das eine psychotische Irrfahrt an der Seite von lauter Idioten und Arschlöchern. Und wenn viel Geld nicht dein primäres Ziel ist und du independent bleibst, willkommen in der selbstgemachten Hölle aus Anspruch und Armut!

Ich hatte vor einigen Monaten meinen ganz persönlichen Tiefpunkt erreicht und es schlicht satt, immer nur von Release zu Release zu hasten, ich wollte etwas anderes, wollte wissen, wie es ist, ehrliche Arbeit zu leisten, etwas offensichtlich Sinnvolles zu schaffen, am liebsten mit meinen Händen.

Ein Töpferkurs kam aus Stilgründen nicht infrage, also entschied ich mich für eine Woche Landwirtschaft am Bodensee. Jeden Morgen stand ich um 5:50h auf und jätete, erntete oder sortierte Gemüse von 6:30h bis 17:00h. Dafür gab es ein Bett zum Schlafen und täglich drei Mahlzeiten.

Ich beobachtete erstaunt, wie meine Gedanken mit jedem Tag ruhiger wurden, ich mein Handy kaum noch in die Hand nahm und wie gut ich schlafe, wenn ich einen ganzen Tag lang in der Erde gewühlt habe.

Davon wollte ich mehr. Mehr ehrliche Arbeit, weniger Bullshit. Mehr Community, weniger Social Media. Mehr körperliche Verausgabung, weniger mentale Überforderung.

Über eine Anzeige fand ich im schönen Südtirol ein „ökologisches Praktikum“, wofür ich mich begeistert anmeldete und anschließend die Tage zählte, bis es endlich losging.

Anthroposophischer Architekturporno

Wenige Wochen später stand ich aufgeregt in flirrender Hitze am Gardasee an einer Busstation. Eine kleine struppige Frau, die nach Ausdünstungen roch und ein fröhliches Gesicht hatte, holte mich mit dem Auto ab. Wir fuhren durch die Spätherbsthitze (ein trauriges, neues Wort) hoch ins Dorf, wo das Gästehaus war.

Als ich dieses Haus betrat, ward mir, als befände ich mich in einem anthroposophischen Architekturporno. Nichts hatte rechte Winkel und alles war rosa, gelb oder babyblau. Auf die Wände waren Engel gemalt und in die Böden mehreckige Glasfenster eingelassen. „Schön dass du so unkompliziert bist, dass du erstmal im Flur schläfst“, meinte die struppige, kleine Frau strahlend.

Das Haus besaß eine eigene Bibliothek, in der ich mich interessiert umsah. Der erste Hinweis darauf, dass hier etwas nicht ganz stimmte, war, dass gut die Hälfte der Bücher von ein und demselben Mann verfasst worden waren. Es waren allesamt Werke zu Themen wie Yoga, Ernährung oder Seelenarbeit. Naja, solange ich hier stundenlang in der Erde graben kann, sagte ich mir – und wie es so geht, verdrängte ich das Gesehene kurzerhand.

Der für mich zuständige Gärtner war ein 70-jähriger Hüne, der ebenfalls sehr nett war, jedoch auch wenig vom Duschen zu halten schien. Am nächsten Morgen fuhren wir auf den Berg hoch zum „Garten“ in eine heidikulissenartige Berg-Szenerie.

Der „Garten“ stellte sich als ein handtuchgroßes Beet auf einer saftigen Aue heraus, mit einigem Gemüse und etwas Anschauungsgetreide darauf. Der Gärtner zeigte mir freundlich, wie mensch Sträuße aus dem verdorrten Getreide zu bindet. Meine Laune sank etwas.

Klimakiller Hirsch

Und als hätte er die ganze Zeit darauf gewartet, endlich sein wahres Gesicht zu zeigen, begann der Mann auf einmal Dinge zu sagen, die mir alle Haare zu Berge stehen ließen. Ob ich eigentlich wisse, dass der Hirsch das einzige Tier sei, das das Klima verändere, weil sein Geweih nach oben „in den Äther“ zeige und er so die Energie aus dem Boden ableite? Nach einer verdatterten Pause meinerseits dann: „Du, die Gnome in der Erde, die wissen fei als erschdes wer‘s hier ernschd meint mit der Herzensarbeit, däne koosch nix vormache.“

Sprachlos umwickelte ich meinen Gerstenstrauß weiter mit einem Bindfaden. Mir stand wahrhaftig der Mund offen. Weiterhin fiel mir auf, dass der Gärtner allerlei Dinge miteinander in Zusammenhang brachte, die in meiner Welt keinen hatten: Möhren gegen innere Unruhe, Kohl gegen Angst, Brennnesseln gegen Haltlosigkeit – zugegeben, ich zitiere aus dem Gedächtnis.

Quark mit Herz

Irgendwann sah er mich durch schmale Augen von der Seite an und meinte: „I war mal auf nem Rolling Stones-Konzert und der Mick Jagger, ja, der hatte sowas von einer Teufelsenergie, so erfolgsgeil, des henni net verpackt, da musst‘ ich nausgähe und du, du hasch genauso a Energie wie der, des henni glei’ g’merkt, du bisch au so a Bühnen-Tussi.“

Und endlich machte es „Klick“ in meinem Kopf. Ich war in einer Anthro-Sekte gelandet! Es passte alles, dieser Typ, der so gut wie alle Bücher da unten in dem Super-Haus geschrieben hatte, die ganze Ästhetik, jetzt dieser esoterische Quark und andauernd das Wort „Herz“, das unpassenderweise überall drangeklatscht wurde, „Herzensmensch“, „Herzensarbeit“, „Herzensthema“.

Entsetzt ratterte es in meinem schon leicht duseligen Kopf nach einer Strategie, wie ich aus dieser Nummer wieder rauskäme. Ich hatte eine richtige Gänsehaut. Gleichzeitig musste ich mich immer wieder extrem zusammenreißen, um nicht lauthals loszuprusten. Ich musste schon auch den Kopf über mich selber schütteln, wie lang meine Leitung manchmal ist. Ist doch logisch, wenn ich „Ökos“ bestelle, kommen alle möglichen Sorten von „Ökos“, auch die Ultras. Und bei denen war ich halt jetzt.

Als ich später im Internet recherchierte, fanden sich dann auch von dem ominösen Buchautor verfasste Blog-Artikel mit Titeln, die suggerierten, dass etwa fehlende „geistige Arbeit“ (am besten bei ihm) auch mal ein Erdbeben, zum Beispiel das in der Türkei, verursacht haben könnten.

Energetischer Payback

Ich entschied kurzerhand, dass ich leider sofort abreisen musste. Weil mir nichts Besseres einfiel, erfand ich einen Notfall, worauf ich nicht stolz bin. Aber dann denk ich mir auch: Wer „ökologisches Praktikum“ in eine Anzeige schreibt und „Rekrutierung für neue Mitglieder unserer Sache“ meint, muss auch mit, ich sag mal, energetischem Payback rechnen.

Nach drei Tagen war mein ökologisches Praktikum beendet, und ich fuhr zurück Richtung Heimat.  Am Münchener Hauptbahnhof entlud sich dann endlich der über vierundzwanzig Stunden angestaute Lachanfall.

Liebe Gnome, ich muss mich jetzt einfach mal bei euch bedanken. Nach diesem Praktikum kommt mir das Musikbusiness auf einmal bodenständig, ja, ich möchte sagen, grundsolide vor.

Außerdem: Lange keinen Direktvergleich mehr mit Mick Jagger gehabt. Teufelsenergie hin oder her. Ich nehm‘s.

 

 

 

 

 

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