Paul Simon – „Hearts And Bones“

Es war ja nicht Paul Simons Schuld, dass "Hearts And Bones" 1983 unter Ausschluss der Öffentlichkeit erschien. Das "Concert In Central Park" mit dem alten Schmarotzer Art Garfunkel hatte 100 000 Menschen auf die Beine gebracht, das Filmprojekt "One Track Pony" nebst enttäuschender Platte war lange vergessen. Die Siebziger waren gut zu Simon, die Achtziger sollten es noch werden. Aber 1983 war ein ganz schlechtes Jahr für ihn. Paul Simon brachte sein bestes Album heraus.

Die Songs hatte er bereits 1981 und ’82 geschrieben, ein beachtliches Arbeitstempo für einen Zwangsneurotiker und Kontrollfanatiker. Russ Titelman, Produzent vor allen anderen von Randy Newman, half Simon und Roy Haylee bei dem vollkommen transparenten, perkussiven und direkten Klang von „Hearts And Bones“ (dem Stück zuvörderst!). Dean Parks und Airto Moreira vollbrachten wundersames – wie auch Al Di Meola mit seinem unvergesslichen Solo im ausgesprochen komischen „Allergies“. Die Achtziger waren nicht das Jahrzehnt für solche Lieder, sie waren das Jahrzehnt für Diamanten an den Sohlen der Schuhe. Aber das wussten wir ja noch nicht.

Simons bedauerliche Hinwendung zu exotischen Klängen aller Art, die man heute in jeder Ramsch-Boutique bekommen kann, fand hier überhaupt keinen Ausdruck. Wie herrlich luftig, knackend, rollend klingt „When Numbers Get Serious“, dass anderswo sofort ein bemühter Reggae geworden wäre: „You want to write a spiritual tune/ Then do it/ Write a song about the moon“: Das ist „Song About The Moon“, eine simple Übung in Ballade und Fifties-Gefühl. „Think Too Much (b)“ benutzt Michael Manieris Marimbas eben nicht für ein karibisches Calypso-Fest, sondern für ein Lied über den kleinen Paul und die Mädchen von St. Augustine, als das Elend mit dem denken begann, obwohl der Bub doch ganz was anderes wollte. „Think Too Much (a)“ kommt später und ist ein linder, raffinierter Funk, diesmal vom Flirren der Gitarre und dem Gegengesang dominiert.

Zum Schluss der Hinweis auf Paul Simons schönste Songs, die er fast nie auf der Bühne spielt. Ich hatte einmal das Glück, „The Late Great Johnny Ace“ in der Musikhalle zu hören. In diesem Stück teilt Simon die musikalische wie die historische Zeit, indem er die Erinnerungen an die Nachricht vom Tod Johnny Aces mit der Meldung von der Ermordung John Lennons verquickt (und dazwischen das Schlüsseljahr 1964, das Jahr der Beatles, setzt). Zwischen diesen fast vier Jahrzehnten spannt sich Simons Leben auf, das er natürlich vollkommen ausspart. „And every song we played/ Was for the Late Great Johnny Ace.“

Simons größte Leistung ist der musikalische Surrealismus von „Rene And Georgette Magritte With Their Dog After The War“, ein Stück, das die Schönheit von Magrittes Malerei in Noten abbildet. Weil es sich der Beschreibung entzieht wie die Werke des genialen Belgiers, hier nur die letzten Zeilen (zu traumwandlerisch schwebender Orchestrierung): „And they looked in their bedroom drawer/ And what do you think they have hidden away/ In the cabinet cold of their hearts?/ The Penguins/ The Moonglows/ The Orioles/ And the Five Satins.“ Im Museum müsste man das hören.

Warner, 1983

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