Pet Shop Boys: Bomben im Tee

Der Krieg gegen den Terror hat den Pet Shop Boys das britische Wohlgefühl verhagelt. Und jetzt singen sie sogar darüber

Natürlich hatte man sich zuletzt Sorgen gemacht. Die Vertonung eines alten Stummfilm-Klassikers ist nicht unbedingt die Kernkompetenz einer Band, über deren Lebenswerk drei gigantische Buchstaben leuchten: POP! Doch die Pet Shop Boys hatten schon vor ihrem „Battleship Potemkin“-Projekt geschwächelt. Das Musical „Closer To Heaven“ war ein dezenter Flop, ähnliches gilt für das „Gitarren“-Album „Release“.

Jetzt kommt „Fundamental“! Die englische Presse trampelte vor Begeisterung mit den Füßen: bestes Pet Shop Boys-Album seit „Very“! Und die Schreihälse haben ausnahmsweise recht. Was noch mehr auffällt als die prächtigen Popsongs und die herrlichen Melodien, ist auch die Brisanz dieses Albums: „Die Texte von ‚Fundamental‘ sind inspiriert durch politische Ereignisse und die Welt, die uns umgibt. Das ist für die Pet Shop Boys nichts wirklich Neues“, sagt Neil Tennant mit einer Daddy-hat’s-schon-immer-gewusst-Miene und räkelt sich dabei in seinem Sessel in Position. Gleich wird er einen sehr ausführlichen Monolog halten und störende Zwischenfragen durch das Anheben der kräftigen Stimme im Keim ersticken. So als wolle er sagen: Dafür, junger Freund, ist später noch Zeit! „Wir leben zur Zeit in einem offiziell geschürten Klima der Angst. Terrorismus gibt es in England schon seit den Sechzigern – aber früher verlor man nicht so schnell die Nerven. Jedes Mal, wenn etwas Schreckliches passiert, fangen die Zeitungen damit an, Politiker auf die hysterischste Art und Weise zu attackieren. Dann werden schnell ein paar Gesetze durchgewunken und die bleiben, auch wenn der Notstand vorbei ist. Die Freiheit wird so immer weiter beschnitten, und das ist natürlich jedes mal ein kleiner Sieg für den Terrorismus. In diesem Klima entstand unser neues Album.“

Vorher hat Tennant noch gefordert, Boston zu bombardieren, weil die IRA von den vielen irischstämmigen Einwohnern der Stadt finanziell unterstützt werde. Ein Scherz, natürlich, aber es gab Zeiten, da war der Humor des ehemaligen „Smash-Hits‘-Redakteurs nicht ganz so böse.

„Integral“, der politischste Song, den die Pet Shop Boys je geschrieben haben, wird auch ziemlich deutlich: „If you’ve done nothing wrong/ You’ve got nothing to fear/ If you’ve something to hide/ You shouldn’t even be here“, singt Tennant im Refrain dieser opulent arrangierten Hymne des Bösen. „Es ist sehr nasty, in einem Song die Perspektive der Mächtigen einzunehmen. „Doch genau so wurde in England argumentiert, als es darum ging, verbindliche Personalausweise einzuführen. Das Kontroverse daran ist, dass man bei uns noch nie seine Identität beweisen musste. Dazu kommt, dass die Briten es nicht mögen, wenn ein Polizist sie auf der Straße anhält. In Deutschland nennt man das, soviel ich weiß,’Kontrollen‘. Wir haben keine Kontrollen in England. Und wenn es sie gibt, mögen wir das nicht.“ Angesichts soviel bürgerrechtlichen Engagements ist die Single „I’m With Stupid“ eher ein Rückfall in Zeiten der ersten George-Bush-Witze. Die Einschätzung lässt Tennant selbstverständlich nicht gelten: „Solche Lieder machen Spaß, es sind die wahren Popsongs“, erregt er sich. „In Hamburg bin ich mal Sting in die Arme gelaufen, und später am Abend gestand er mir, dass er sich wünschte, er hätte ‚Barbie Girl‘ geschrieben. Sting hat recht! Einen wirklich guten doofen Popsong zu schreiben, ist eine schwierige Sache. Deshalb reden wir auch gerne über Stock-Aitken-Waterman. weil sie so viele gute Songs gemacht haben, (fangt an zu singen) ‚I should be so lucky…'“ -„Lucky! Lucky! Lucky!“, stimmt Chris Lowe hölzern, aber prompt mit ein.

Es ist seltsam, aber ausgerechnet dem Klima der Angst verdanken die Pet Shop Boys nun eines ihrer besten Alben. Und Trevor Horn natürlich, der mit seiner Streicher-satten Produktion nahtlos anknüpft an die Pop-Definition der Achtziger. Kennen Tennant und Lowe eigentlich auch das Album, das Horn mit Belle & Sebastian aufgenommen hat? „Ja sicher, aber uns gefällt eher, was er mit Frankie Goes To Hollywood gemacht hat oder mit ABC. Mit Belle & Sebastian hat Trevor eine Indie-Platte gemacht. Was vermutlich daran liegt, dass Belle & Sebastian eine echte Band sind und die Pet Shop Boys nicht. Wir sind alles Mögliche, weil wir im Bereich der elektronischen Musik arbeiten. Ich mag das, es gibt uns die Freiheit, zu tun, was immer wir wollen.“

Gerne, denn die Richtung stimmt so sehr wie schon lange nicht mehr.

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