Pink Floyd revisited: Glenn Povey über „The Dark Side Of The Moon“

Glenn Povey, der das wohl wichtigste Pink Floyd-Fanzine "Brain Damage" betreibt, erinnert sich für uns an sein erstes Mal mit "The Dark Side Of The Moon". Er erlebte es an einer Kunsthochschule. Wo sonst?

In unserer aktuellen Ausgabe schreiben Prominente, Fans und unsere Autoren persönliche Rückblicke auf die wichtigsten Alben von Pink Floyd. Glenn Povey, der mit „Brain Damage“ das wohl wichtigste Fanzine der Band betrieb, erinnert sich hier an „The Dark Side Of The Moon“. Die Neuauflage, die kürzlich erschien, chartete übrigens auf Platz 3 der Albencharts.

Zum ersten Mal hörte ich „The Dark Side Of The Moon“ an der Kunsthochschule – wo sonst? Obwohl das damals der denkbar schlechteste Ort war, um dieses Großwerk zu genießen: Aufgeblasener, selbstgefälliger Prog-Rock-Nonsens, fanden meine Kommilitonen und hörten lieber die Barrett-Floyd mit ihrer Kiffer- und Fantasy-Musik. Fand ich auch nicht schlecht, aber derart vergöttert habe ich die frühen Platten nie. Mein Zahnarzt dagegen glaubt heute noch, Pink Floyd wären eine Metal-Band. Und mein Bankberater sagt, von Pink Floyd habe er schon mal gehört, er könne nur leider keinen seiner Songs nennen. So viel dazu.

Was die Beispiele auch zeigen: wie geheimnisvoll und seltsam unbekannt Pink Floyd trotz der Millionen verkaufter Platten bleiben konnten. „Dark Side“ stand seit der Veröffentlichung 1973 (damals war ich sieben!) die meiste Zeit in den britischen Charts, ist mit geschätzten 45 Millionen Exemplaren eines der bestverkauften Alben aller Zeiten. Ich selbst verliebte mich schon beim ersten Hören in die Platte, obwohl ich ein Floyd-Spätzünder war: Als „The Wall“ herauskam, erwischten sie mich, dann arbeitete ich mich rückwärts durch die Diskografie. Und staunte nicht schlecht. Es kam mir vor, als wären Pink Floyd von Album zu Album düsterer geworden. Und „The Dark Side Of The Moon“ war – trotz des Titels – der leuchtende Gegenpart zur Verdammnis und Trostlosigkeit von „The Wall“ und „The Final Cut“: eine warme, einladende, inspirierende, anrührende Platte.

Nicht zu vergessen: das Cover. Das Cover. Wenige Musikproduktionen verbindet man mit einem derart einprägsamen, wiedererkennbaren Bild. Eine der bekanntesten Plattenhüllen aller Zeiten.

Was beim Hören von „The Dark Side Of The Moon“ sofort auffällt, sind der Fokus und die Kraft, die Roger Waters’ Songtexte hier zum ersten Mal haben. Nach Syd Barretts Abgang 1968 hatte die Band ja immer ein Führungsproblem gehabt: So charakteristisch Science-Fiction-Epen wie „Set The Controls For The Heart Of The Sun“ oder „Echoes“ und Avantgarde-Instrumentals wie „One Of These Days“ und „Careful With That Axe, Eugene“ auch waren – alles war etwas zu abstrakt und phlegmatisch, zu wenig zielstrebig. Waters begriff das als Erster und konzentrierte sich darauf, Themen für Pink Floyd zu finden, die auch der sogenannte Mann von der Straße persönlich nehmen würde. Geldfragen, Religion, Wahnsinn, Angst, soziale Konflikte, Klassenkampf. Vergänglichkeit. Tod.

Es liegt ganz sicher an diesen Themen, dass „Dark Side“ eine so breite, dauerhafte Bedeutung erlangt hat. Jeder fühlt sich gemeint, jeder kann sich damit identifizieren. Wie Gilmour einst sagte: „Die Songs handeln von der Conditio humana, die Musik umkreist die Gefühle, die man im Lauf eines Lebens erlebt. Mitten im Chaos sind Schönheit und Hoffnung. Es geht darum, dem Hörer bei der Suche danach zu helfen, was der Sinn des Ganzen sein könnte.“

Auf „Dark Side“ sind Pink Floyd eine Band auf dem Gipfel ihrer Kunst. Sie setzen neue Standards, was die Technologie im Studio betrifft, und fordern die Hörer immer wieder heraus. Zum ersten Mal gibt es Backgroundsänger und ein Saxofon, entsprechend tief und warm ist der Sound. Mit dem Einsatz der Gospelsängerin Clare Torry bei „The Great Gig In The Sky“ gelingt ein geniales Manöver, um Rick Wrights melancholisches Kavierstück auf eine völlig neue Ebene zu katapultieren. Ein besonderes Stilmittel sind die eingespielten Stimmen, die Ratschläge und klugen Sprüche. Für die meisten davon war die  Floyd-eigene Roadcrew verantwortlich. Auch für das irre Gelächter, das man hören kann.

Erst kürzlich habe ich gehört, was Toningenieur Alan Parsons über Pink Floyds einzigartige Arbeitsethik erzählt hat, die strikt eingehaltene Studiozeiten und vier Wochen Sommerurlaub im August beinhaltete: „Von wann bis wann wir arbeiteten, hing vom Wochentag ab. Wenn Fußballabend war, hörten wir früher auf – Roger interessierte sich sehr für die großen Spiele und kickte selbst, in der eigenen Pink-Floyd-Mannschaft. Auch wenn Monty Python lief, war früher Schluss. Monty Python wollten sie auf keinen Fall verpassen.“

„The Dark Side Of The Moon“ ist zweifellos der Höhepunkt von dem, was die Band als Kollektiv erreichte. Man kann es kaum besser sagen als Waters: „Das waren glückliche Tage. Endlich hatten alle von uns begriffen, wo ihre spezielle Stärke lag und was sie in die Gruppe einbringen konnten. Der Frühling von Pink Floyd, in dem die Zusammenarbeit Spaß machte und wir ein gemeinsames Ziel verfolgten: reich und berühmt zu werden, was damals noch ein Traum war – aber es gab uns den richtigen Bezugsrahmen für das, was wir am besten konnten.  Wir waren froh, uns gefunden zu haben. Eine wunderbare Zeit.“

Natürlich hat auch diese Platte ihre Macken, und einiges auf ihr klingt heute etwas veraltet. Für mich bleibt es ihre bei Weitem beste Arbeit. Das definitive Pink-Floyd-Album. Mein Zahnarzt und mein Bankberater sollten es langsam mal hören.

Glenn Povey gründete 1986 die Zeitschrift „Brain Damage“ (benannt nach einem Song von „Dark Side“), die lange als das wichtigste Pink-Floyd-Fanzine galt. Nachdem das Heft 1997 eingestellt wurde, lebt es heute als Website weiter: www.brain-damage.co.uk.

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