14. Oktober, „The Leftovers“-Day: So ist das legendäre Serien-Finale

Hat sie's getan – oder nicht? Das Serien-Finale von „The Leftovers“ widmet sich der zentralen Frage nach der unbekannten Dimension. Aber es ist nicht die Frage, die zur wichtigsten wurde.

Religion gründet sich auf Glaube, Glaube bietet Trost. Trost auch deshalb, weil das Unerklärliche nicht erforscht werden kann. Hatte Jesus wirklich Gelähmte gehen lassen? Moses das Meer geteilt?

Dieser Text enthält elementare Spoiler!

Am Ende der 28. und letzten „Leftovers“-Episode sitzt Nora Durst (Carrie Conn) in der Küche ihrem Ex-Freund Kevin Garvey (Justin Theroux) gegenüber, beide sind alt geworden, haben sich seit Jahrzehnten nicht gesehen, er hat sie in Australien aufgespürt. Nora erzählt Kevin, was sie in der anderen Dimension erlebt hatte. Dass sie dort auf ihre verschollenen Kinder und den Ehemann traf. Und doch wieder zurückkehren wollte.

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Aber: Hat sie’s denn getan? War sie wirklich dort? Gibt es diese andere Dimension?

Die finale Folge „The Book Of Nora“ würde in die TV-Geschichtsbücher eingehen, wegen ihres erzählerischen Mutes, der Überzeugungskraft ihrer Darsteller, aufgrund des befriedigenden Endes sowieso – wäre die Serie nur etwas populärer gewesen. Episode acht hat einen Platz verdient neben dem großen Serien-Finale der Nullerjahre, dem von „Six Feet Under“.

Carrie (Nora Durst) und Kevin (Justin Theroux)

„The Leftovers“ stand mit Staffel eins schnell im Kreuzfeuer, einmal verdient, einmal unverdient. Unverdient, weil viele Leute im Netz Serienmacher Damon Lindelof seit bald zehn Jahren ablehnen. Er war der Autor, der ihrer Ansicht nach mit einem „Sind schon alle tot und warten auf den Übergang“-Twist die Mystery-Serie „Lost“ in den Sand setzte, später das „Alien“-Prequel „Promotheus“, jene Sci-Fi-Totgeburt Ridley Scotts. Aber zumindest die Erzählung von „Lost“ mit seinen hunderten Geheimnissen fuhr am Ende in eine gerade Bahn, die Einzelschicksale wurden zusammengeführt. Und es muss doch völlig okay, sein, dass nicht jedes Rätsel geklärt wird.  Wie langweilig wäre das denn auch?

Ab Staffel zwei regierte die Anarchie

Verdiente Kritik aber erhielt das „Leftovers“-Team, weil diese neue Serie 2014 so holprig startete. Eher erschöpfend als ausbauend wurden zu viele Fährten gelegt. Die Frage, wohin es die zwei Prozent der Erdbewohner nach ihrem „Sudden Departure“ hin verschlagen hat, stand stets im Mittelpunkt – leider auch dann, wenn die „Hinterbliebenen“ auf sich allein gelassen dramatische Szenen lieferten. „Leftovers“ war zu Beginn mehr Mystery als Drama, in Gedanken immer bei „den anderen im Jenseits“.

Gleichzeitig, großer Fehler, kündigte Damon Lindelof an, überhaupt nicht auflösen zu wollen, welche übersinnliche (?) Kraft die Verschwundenen zu sich zog. Das bedeutete: Der Zuschauer musste sich ganz auf die Schicksale der Hinterbliebenen konzentrieren, und der – hastig erzählte –Fokus auf die literarische Vorlage Tom Perrotas („Die Verlassenen“) engte die Geschichte ein. Erst mit dem Versuch einer eigenen Erzählung ab Staffel zwei wurden Zwangskorsette abgelegt. Etwa mit dem weitestgehenden Verzicht auf die „Guilty Remnants“, einer unglaubwürdig auftretenden Sekte, weiß gewandet, ständig rauchend, nur per Schrift auf Zettel kommunizierend. Man wünschte die Büßer mit ihrem verwurfsvollen Blicken nur noch weg.

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Als klar wurde, dass mit dem Zuschauerschwund ein baldiges Serienende absehbar ist, befreiten die Macher sich also von Vorgaben. Das ist die Tragik der „Leftovers“ mit ihren nur 28 Folgen: Sie wurde immer besser, der Spielraum immer gigantischer. Season zwei und drei zelebrierten die Anarchie. Es gab den Umzug von New York nach Texas, schließlich Australien, die zwei Tode des Kevin, sein Leben im Jenseits als Attentäter, die Chaos-Stadt „Miracle“ Jarden, die sich dadurch auszeichnete, dass keiner, der je darin lebte, zu den „Departed“ zählte.

Dann die Songs der Aborigines, die die apokalyptische Flut am siebten Jahrestag des Verschwindens verhindern sollen … mit dem lustigen Scott Glenn in der Rolle als Kevins Vater, der wie ein amerikanischer Catweazle die Regentänze der Ureinwohner kopiert um das Unheil abzuwenden. In der jüngsten Staffel sah sein Sohn Kevin mit Vollbart und Fantasie-Uniform aus wie ein Mad Max. Zu Recht landete der dann auch down under.

Wohin mit den Figuren?

Das Finale ist aus verschiedenen Gründen ein ruhiges Spektakel, aber eben dennoch ein Spektakel. Regisseurin Mimi Leder, ab Season zwei engagiert und von Lindelof wegen ihres schwarzen Humors als Retterin der Serie bezeichnet, rückt darin Nora Durst (nach dem Serien-Finale wird Conn hoffentlich weitere große Angebote kommen), eine von sieben Hauptfiguren, in den Vordergrund, im wahrsten Sinne des Wortes: So viele Großaufnahmen gab’s bei den „Leftovers“ noch nie. Überhaupt gehört schon viel Chuzpe dazu, Nora am Ende der 28 Folgen zum wichtigsten Charakter zu machen, ebenso ihre Liebesgeschichte zu Kevin. Schließlich wurde Nora in Staffel eins doch eher als zusätzliches Ensemble-Mitglied eingeführt und erst spät in der Season dem Hauptdarsteller Theroux zur Seite gestellt.

Nora mit ihrem Bruder Matt (Christopher Eccleston)

Bemerkenswert, dass Priester Matt (Christopher Eccleston) und Kevins Ex-Frau Laurie (Amy Brenneman) in „The Book Of Nora“ nur Kurzauftritte erhalten. Andere einst wichtige Figuren, wie Liv Tylers Meg Abbott oder Tom (erinnert sich noch jemand an den Propheten Holy Wayne, dem er folgte?) und Jill Garvey wurden in Staffel drei schnell abgehandelt; die vielleicht wandlungsfähigste Figur von Staffel zwei, John Murphy (Kevin Carroll), taucht im Finale der dritten gar nicht mehr auf.

Warum also so viel Nora, warum so wenig Kevin? Weil sie diejenige ist, die beim „Sudden Departure“ das größte Opfer brachte, die meisten Menschen verloren hat – Kevin, von Verlusten weitestgehend verschont, plagte eher die Frage, ob er vielleicht ein unsterblicher Messias ist. Dennoch hat Theroux hiernach jeden Fernsehpreis verdient. Was für eine Entwicklung jenes Schauspielers, der viele Jahre nur als schräger David-Lynch-Nebendarsteller und Jennifer-Aniston-Freund, ausgerechnet als Nachfolger Brad Pitts, gehandelt wurde. Jetzt ist er ein Schmerzensmann, der sich seine Nora hart erarbeitet hat.

Der Horror liegt im Wasser

Noras „Übergang“ in die andere Dimension ist ein Beispiel gelungener Horror-Inszenierung. Damon Lindelof sagte, dass er sich für seine Transport-Kapsel von David Cronenbergs Apparaturen in „Die Fliege“ (1986) inspirieren ließ, und diese Box lässt einem wahrlich alle Haare aufrichten. In Schutzanzügen gehüllte Forscher eskortieren Nora bis zu einem LKW, das Fossil eines deportierten Menschens wird in einem „Blink and you’ll misst it“-Moment herausgetragen, nackt steigt Nora in das Gefährt. Danach purer Grusel: alles dunkel darin, voller Kabel und Laser, die sie nicht berühren darf, sie muss sich in der Kapsel in Fötalstellung begeben, nie gehörte Lautsprecher-Geräusche ertönen, radioaktiv verseuchtes Wasser umfließt sie, sie wird 30 Sekunden die Luft anhalten müssen, die einzig human wirkende Anweisung dieses Vorgangs. Dann erfolgt der Transport. Doch bevor Nora im Wasser untergeht und den „Übergang“ meistert, meint man von ihren Lippen den Ansatz eines „Stop!“ ablesen zu können.

 

Harter Cut nach Australien ins Outback. Die alt gewordene Nora lebt dort ihr Leben in einer Art restaurierter Vergangenheit. Ihre Farm ist altmodisch, ihre Kleidung, die (Hochzeits-)Feste, die sie besucht, sogar die – geschmackvoll ausgesuchte – Musik, die sie hört, ist altmodisch. Sie hört Billie Holidays „The Man I Love“ oder Robin Trowers unheimliches „I’m Out To Get You“. Die Inszenierung dieser Folge steckt voller solcher liebevoller Retro-Details.

Nora Durst (Carrie Coon)

Ebenso waghalsig wie genialisch ist die Idee der Autoren, die andere Dimension nicht mal auch nur anzudeuten. Dennoch bieten die letzten fünf Minuten „Leftovers“, nach mehr als 1.000 Minuten „Leftovers“, einen echten „Achtung, jetzt kommt’s!“-Moment. Money Shot!

Wie das Leben dort drüben ist, erfahren wir nicht im Bild, nur im brillant geschriebenen Monolog Noras. Believing is seeing. Eine Erzählung von leeren Parkplätzen, von einem Konstrukteur namens van Hagen, der den Rücktransport übernimmt, indem er eine neue Maschine baut – schon geht die Fantasie auf Reisen. Eine Welt mit weniger Strom, Wege, die nicht mehr in Stunden, sondern in Wochen zurückgelegt werden müssen, weil auf einer entleerten Erde das qualifizierte Personal spärlicher gestreut ist. Wie Darstellerin Coon von diesen Dingen berichtet … nie mit Betonung auf dem Fantastischen (Die interdimensionale Fahrt! Der Rücktransport!), sondern nebensächlich, als wäre alles einfach nur ein sehr anstrengender Trip gewesen; sie murmelt die schaurigen Details weg, das macht es so lebensnah.

Und bei dieser Welt mit nur wenigen Millionen Menschen ertappen wir uns nach Noras Bericht zum ersten Mal überhaupt bei der Feststellung: Denen dort drüben muss es viel schlechter gehen als uns. Sie haben viel mehr Menschen verloren – die eben in unserer Welt zurückgeblieben sind. Und wir sollen also die „Leftovers“ sein? Meisterhaft, wie Damon Lindelof uns den Spiegel vorhält: Wenn alle leiden, lässt sich Leid schwer vergleichen.

Das verschlossene Badezimmer

Natürlich gibt es auch in dieser Folge ein paar kleine Logiklöcher. Es sind die Fanboys, die so was am meisten interessiert. Laurie (Brenneman), Kevins Ex, ist mittlerweile Noras Therapeutin. Sie wird wissen, ob Nora die Wahrheit sagt. Ob sie drüben war. Fanboys würden jetzt sagen: Laurie könnte man ja ausquetschen. Und: Falls Nora nicht in die andere Dimension übergetreten ist, so, wie dann viele Reisende dieser Welt vor ihr dann auch nicht – wohin sind sie alle verschwunden, sind sie auch untergetaucht? Und wurden die – schwindelnden – Forscher mit ihren futuristischen Höllenmaschinen zur Rechenschaft gezogen?

Falls Nora die geflutete Transportkapsel vor ihrem „Übergang“ verlassen hat – was hatte es zu bedeuten, dass es ihr nur mit Mühe gelang, Jahre später ihr eigenes Badezimmer zu verlassen, was hat es mit der verschlossenen Tür auf sich?

Was Wahrheit ist, ist eine Glaubensfrage. Wir entscheiden, was wir wahr werden lassen. Kevin hatte Nora angelogen, als er erzählen sollte, wie es ihm gelang, sie nach all den Jahren in Australien aufzuspüren. So, wie sie seine Version einer Lebensrealität anerkennen muss, muss er ihre anerkennen. Lindelof beendet sein Epos also tatsächlich damit, den Grund für das Verschwinden der zwei Prozent (oder der 98 Prozent!) nicht aufgeklärt zu haben. Und es tut gar nicht weh.

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Zum Glauben kann ja auch gehören, der Liebe anderer Menschen zu vertrauen. Dass man sich fallen lässt, mit dem Risiko, von ihnen verlassen zu werden. „Glaubst Du mir denn?“, fragt Nora am Ende unter Tränen. „Natürlich glaube ich Dir“, antwortet Kevin, auch er weint, aber er lächelt dabei. „Weil Du hier bist.“

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