Bonnie Raitt
Road Testet
Bonnie Raitt Capitol/E.MI Live-Alben haben nicht eben den besten Leumund. Doch wen kann das wundern? Mal sollen sie nur den Kreativitätsknickübertünchen, dann den Bootleg-Sumpf trockenlegen (was nicht immer gelingen soll). Beliebt ist auch die Variante, Konzertmitschnitte als letzten Pflicht-Akt einer zerrütteten Geschäftsbeziehung einzureichen – schon auf dem Sprung aus einem schlechten in ein besser dotiertes Vertragsverhältnis. „Road Tested“ gehört wohl in keine der genannten Kategorien und hat als erste Live-Zwischenbilanz einer fast 25jährigen Karriere durchaus seine Berechtigung. Der bei Konzerten in Oregon und Kalifornien mitgeschnittene 16-Titel-Reigen ist gekennzeichnet von Bonnie Raitts verständlichem Verlangen, es den verschiedenen Fraktionen ihrer doch beträchtlich gewachsenen Fangemeinde recht zu machen. Wobei Raitt zupaß kommt, daß ihre Identität spätestens seit Ende der 70er Jahre vielschichtig war. Und doch dieselbe blieb. So erleben wir viele Bonnies: Die, immer noch, vermutlich beste Delta-Blues-Schülerin (mit Chris Smithers unverwüstlichem „Love Me Like A Man“), die, nun ja, „Rock-Lady“, die sich Bryan Adams an den Hals wirft, die Sensibilistin, die Jackson Browne zu „My Opening Farewell“ auf die Bühne bittet und das steinerweichende „I Can’t Make You Love Me“ mit genau der Mischung aus emotionaler Anteilnahme und intellektueller Distanz singt, die ihre Kunst als Interpretin ausmacht. Schließlich die traditionsbewußte R&B-Kennerin, die Veteranen wie Charles und Ruth Brown die Ehre eines Gastauftritts angedeihen läßt und Kim Wilson zu Höchstleistungen an der Harmonika animiert. Und ein alter Repertoire-Favorit – John Prines „Angel From Montgomery“ – beschließt das Ganze stil- und würdevoll. Fragen müssen trotzdem offen bleiben. So mag es Sinn machen, nur den (Pflicht-)Hit (John Hiatts „Thing Called Love“) vom Smash-Album „Nick Of Time“ abzuhaken. Doch warum gleich drei Songs vom letzten Studio-Album? Und: Warum nichts von Allen Tbussaint oder RandyNewman? So ist die größte Überraschung ihre donnernd-verquere Version von „Burning Down The House“ (Talking Heads). Den neuerdings etwas bodenständigeren David Byrne wird’s freuen. Schließlich ließ er es sich nicht nehmen, in Hamburg brav im Publikum zu sitzen, als Bonnie Raitt zuletzt die Straßen dieser Republik testete. Jörg Feyer