Cosmopolis

David Cronenberg inszeniert Don DeLillos Roman über die Odyssee eines Spekulanten als existenzialistisches Kammerspiel

Robert Pattinson, Juliette Binoche

Regie: David Cronenberg Start: 5.7.

Wer könnte einen Spekulanten besser darstellen als einer, der in der Rolle eines Vampirs weltberühmt geworden ist? Was für ein smarter Einfall, den Part des Eric Packer mit Robert Pattison zu besetzen! So wie er in „Cosmopolis“ nun aussieht, würden den „Twilight“-Star nicht einmal alle seine Fans erkennen, so glatt, so nichtssagend, so unschuldig wie ein Zombie. Dieser Eric Packer ist ein Kannibale im Anzug. Einer der reichsten Männer der Welt. In Manhattan residiert er in einem luxuriösen Appartement, das auf drei Stockwerken unter anderem einen Zwinger für Windhunde birgt, ein Haifischbecken und einen Spielsalon – bezeichnende, symbolische Orte, repräsentativ für diesen Finanzhai, der im Casinokapitalismus mit Milliarden spielt.

Räume sind zentral in diesem Film. Der Kanadier David Cronenberg präsentiert eine Geschichte, die sich anfühlt wie ein Trip. Die sich erzählt wie eine moderne Version des Leitmotivs aus James Joyce „Ulysses“: Die ganze Welt kondensiert in einem einzigen Tag, in einem einzigen Charakter und jenem Strom aus Gedanken und Gefühlen, der durch dessen Bewusstsein rinnt, direkt in das des Lesers – Don DeLillo, spätestens seit „Underworld“ einer der größten amerikanischen Autoren, schrieb das 2003: Ein Tag im Leben eines Börsenmilliardärs. Ein Crash kommt vor, die universale Gier, Attentate, der US-Präsident, Sicherheitswahn, eine Protestbewegung, die „Occupy“ verblüffend ähnelt, der Cyberspace und viel, viel Geld.

Aus heutiger Sicht war das ein prophetischer Roman, eine apokalyptische Reise ins Herz der Finsternis unserer Gegenwart, aber vor der großen Krise. Trotzdem: In Sprache und Bildern ist dies zwar ein Breitwandpanorama des Finanzkapitalismus, die Handlung hingegen eher ein Kammerspiel, das man sich gut auch auf einer Off-Off-Bühne im East Village vorstellen könnte: Oder wie soll man Dinge verfilmen, die sich fast ausschließlich im Kopf einer einzigen Figur abspielen, die sich in einer mit Carrara-Marmor-getäfelten Stretch-Limo auf einer Odyssee durch Manhattan befindet, seinen Kindheits-Friseur besucht? Dazwischen steigt für eine Weile die Geliebte ein, der Arzt und diverse Mitarbeiter, mit denen er Strategien diskutiert und ansonsten auf mehreren Bildschirmen im Auto das Welt- und Börsengeschehen verfolgt.

David Cronenberg, Regisseur moderner Klassiker wie „Videodrome“, „Crash“, „eXistenZ“, erschien als der ideale Mann, um sich für die filmische Umsetzung etwas einfallen zu lassen – zudem ist er wie DeLillo ein Postmodernist, überaus reflektiert und ungemein sinnlich zur gleichen Zeit.

Wer aber jetzt erwartet hätte, dass er die Assoziationsströme der Vorlage in ein Bett aus reißerisch-grellen Bildern gießen würde, sieht sich getäuscht: Cronenberg betont den Kammerspielcharakter eher noch weiter, konzentriert sich ganz auf das eine, zentrale Symbol der Story, jene weiße Limousine, in der Packer sich aufhält: Geborgen wie in einem metallischen Mutterbauch hat er hier alles, sogar eine Toilette. Das Auto trennt Packer von der Welt, schützt ihn vor den unmittelbaren sinnlichen Gewissheiten des Außen, hält ihn auf Distanz. Auch der Ton ist dumpf, abgeschottet, trocken, die ganze Atmosphäre des Films ist seltsam aseptisch, was bei Cronenberg natürlich kein Zufall ist, sondern Beschreibung einer Lebensweise, die sich längst völlig vom Rest der Welt losgelöst hat und die raumschiffgleich in ihrem eigenen Orbit kreist.

Unter den Cronenberg-Figuren ähnelt Packer am stärksten „Spider“, jenem merkwürdigen Albtraumreisenden, der sich im Netz eigener Obsessionen verheddert hat und der zugleich seine Welt so gestaltet, wie sie ihm gefällt. Packer ist solipsistisch und ichfixiert. „Cosmopolis“ ist Cronenbergs „Der Fremde“, sein „American Psycho“, seine Version von „Shame“ – eine existenzialistische Parabel. Der Kanadier zeigt sich als Moralist, der für die funkelnde Kraft von DeLillos Vorlage eine visuelle Bühne bereitet, auf der dann Sätze fallen wie: „Mord ist die Fortsetzung des Geschäfts mit anderen Mitteln.“

Neben der Inszenierung bleiben Juliette Binoche und Mathieu Amalric im Gedächtnis, noch vor ihnen aber Samantha Morten, die eine Strategin spielt, und Sarah Gadon, die Idealbesetzung als Erics Frau Elise. Zusammen bilden sie die vier Eckpfeiler eines bitteren Abgesangs und bedrückenden Porträts kapitaler Dekadenz.

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