Creed – My Own Prison :: Epic/Sony Music
Scott Stapp entfloh seinem Elternhaus in Orlando, Florida, als er 17 Jahre alt war. Er ließ eine restriktive Erziehung nach streng baptistischen Regeln hinter sich. Als sein Vater einmal „Pyromania“ Von Def Leppard in Scotts Zimmer fand, verhängte er ein Rockmusik-Verbot und erklärte elektrische Gitarren sofort für Teufelswerk. Das alles in den Neunzigern.
Stapp flüchtete nach Tennessee aufs College und lebte seine unterdrückte Sucht nach Musik aus. Später landete er wieder in Florida, diesmal in Tallahassee, wo, so hatte er gelesen, sein Idol Jim Morrison einige Jahre gelebt haben soll. Dort traf er seinen alten Schulkameraden Mark Tremonti wiedet Zusammen gründeten sie die Band Creed.
Inzwischen ist Scott Stapp 24. Das Debüt-Album „My Own Prison“ erreichte in den USA bereits dreifachen Platinstatus, die zugehörigen Singles dominieren die Billboard-Charts wie kaum ein „Modern Rock“-Album in den letzten Monaten, wenn nicht Jahren.
Wie kommt’s? Creed, eine „echte“ Band, die sich ihre Sporen durch endlose Club-Tourneen verdient hat und mit massivem Radio-Airplay belohnt wurde, treffen beim moralisch verunsicherten Volk Amerikas offensichtlich den richtigen Nerv. Scott Stapps Texte handeln von Seelenpein, verarbeiten seine qualvolle Abnabelung vom elterlichen Wertesystem und die darauffolgende Orientierung in der wirklichen Welt. Nach Verwirrung, Wut („Tom“) und zornigem Vorwurf („Unforgiven“) findet er am Ende Zugang zur spiritueller Reinigung. Im Titelund Schlüsselstück „My Own Prison“ lernt des Sängers alter ego, daß man fürs eigene Schicksal ganz allein die Verantwortung trägt. Obrigkeiten, bis hin zu Gott, sind nicht zur Rechenschaft zu ziehen, Zwänge, in denen man strampelt, schafft man sich nur aus eigener Kraft vom Hals.
Banal? Sicher, und eben drum erfolgreich. Die Amerikaner, verstört durch den Verlust ihres Präsidenten als moralische Instanz und rettender Strohhahn im Sumpf des allgemeinen Werteverfalls, müssen sich neu orientieren, nachdem sich die eigene TV-Gesellschaft als marode, voyeuristisch und bigott entlarvt hat.
Creed, Märtyrer mit esoterischem Unterbau, passen da perfekt hinein. Zudem vermischen sie auf musikalischer Ebene die letzten Überreste dessen, was Grunge und Metal fürs kommende Jahrzehnt übrig gelassen haben. Das Spektrum auf „My Own Prison“ reicht von Stapps Ur-Vorbildern Def Leppard über Metallica bis hin zu Pearl Jam, Alice In Chains und Tool – ein Schmelztiegel namens Post-Grunge.
Die Brühe, die darin herumschwappt ist von beängstigender Inkonsistenz. Die Modern-Rock-Bands von heute bedienen sich aus den prall gefüllten Töpfen ihrer Vorgänger, ohne zu wissen, was sie tun. Lebenserfahrungen kommen in Lewinsky-Land nur noch aus zweiter Hand und werden unreflektiert vereinnahmt Gute Nacht Amerika