Daniil Charms :: Du siehst mich im Fenster

Der vierte und letzte Band der schönen und bisher umfangreichsten deutschen Charms-Werkausgabe enthält die gesammelten autobiografischen Texte dieses Klassikers der russischen Moderne. Die Edition hätte dem komischen Russen wohl gefallen, sie ist unakademisch, und die Übersetzerin Beate Rausch findet hier einmal mehr eine zupackende Sprache für Charms‘ Irrwitz und rhetorische Bramarbasierkunst. Bei einem Autor, der zu Lebzeiten so gut wie nichts veröffentlichen konnte, muss man auf viel Stückwerk gefasst sein. Viele Texte, nicht zuletzt die Auszüge aus den Notizbüchern und einem Tagebuch, sind auch eher biografisch als literarisch von Belang. Man liest das trotzdem ganz gern. Seitenweise ringt er da mit seiner Leidenschaft für Esther, seine spätere Frau, die es ihm endlich „französisch machen“ soll. Dass Charms ein promiskuitiver Mistkerl mit Drüsenüberfunktion war, weiß man spätestens seit den Erinnerungen seiner zweiten Frau Marina Durnowo („Mein Leben mit Charms“), hier offenbart er sich nun selbst als wahrer Maniac und Don Quichote in Liebesdingen. Unmittelbar darauf folgen dann aber auch luzide formulierte ästhetische Verlautbarungen, die sich zusammengenommen zu einer eigenen Avantgarde-Poetik fügen. Eros und Kunst liegen hier eng beieinander, offenbar weil sie das Einzige sind, was ihn wirklich interessiert hat. (Galiani, 24,99 Euro) Frank Schäfer

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