Natalie Merchant – Leave Your Sleep

Ihre bislang aufwändigste Arbeit sei das gewesen, sagt Natalie Merchant. Alarmsignal. Oft stehen sich künstlerische Prätention und Nahbarkeit ja wie zementiert gegenüber. 130 Musiker waren beteiligt, ein Jahr lang bauten die Songwriterin und ihr Co-Produzent Andres Levin an den 26 Songs auf zwei CDs. Doch statt der befürchteten artifiziellen Petitesse gibt es ein beispielloses Wunder reiner Schönheit, anspruchsvoller Unmittelbarkeit und umwerfender Vielseitigkeit. Poeme mehr (R.L. Stevenson, Robert Graves) oder weniger namhafter Dichter formte Natalie in Live-Sessions mit Musikern des Wynton Marsalis Quintets, der Klezmatics, der New Yorker Philharmoniker und der Memphis Boys zu Stationen einer phänomenalen Reise zu Wurzeln verschiedener Kulturen.

Irische und chinesische Sounds, Blues und Bluegrass, Cajun, Reggae, Gospel, Klezmer, Orientalisches, Jazz und die hypnotisch geckernden Gesänge der Ureinwohner – pur und stolz stehen reiche musikalische Traditionen nebeneinander. Wir alle sind der Folk.

Das souveräne Bindemittel des Unvermengten ist diese seelenvolle Stimme. Rau und zurückgenommen trägt sie vor, wispert tröstliche Wiegenlieder und dominiert stets voller Selbstbewusstsein die Szenerie. Sie gibt Tin Whistle, Fiddle, Pipes, Mandoline, Autoharp und dem anderen Instrumentarium Raum, ihren exotischen Reiz mit Verve und Dynamik zu entfalten, und zügelt als allmächtige Zeremonienmeisterin das Orchester. Es sind melancholische und erhebende Lieder, die an die Großen der Genres erinnern, an Planxty („The Wallopping Window Blind“), an DeVille („The Peppery Man“), an Armstrongs Hot Five („The Janitor’s Boys“), sogar an die Dixie Chicks („Calico Pie“) und immer, immer wieder an Joan Baez, Patty Griffin oder Lucinda Williams. Das erste neue Studiowerk seit 2003. Aber es kommt nicht darauf an, wie lange man wartet, sondern worauf.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates