Nationaltheater

Rußland-Feldzug. Andi Möller dagegen ist das genaue Gegenteil – wenn einer unserer Nationalspieler nicht gedient hat, dann er. Möller war untauglich. Jedenfalls nehmen das alle an. Klinsmann dagegen ist der typische Zivildienstleistende. Beides stimmt natürlich nicht Langjährige Mannschaftskameraden wie Dortmunds Kapitän und Ex-Wirtschaftsstudent Michael Zone sagen über Möller nur das Beste. Ein guter Kumpel ohne Allüren. In Frankfurt hat nur enfant terrible Uli Stein „den Möller fertiggemacht“, und in Turin hat Roberto Baggio, Möllers Gegenspieler im Kampf um die Spielmacherrolle, ihm einmal die in der Umkleidekabine hängenden Klamotten kurz und klein geschnitten, weil halt Möller damit angefangen und Baggio ein Löchlein in die Unterhose geschlitzt hatte. Jungen Männern, die ihr Lebenswerk in kurzen Hosen und mit Lederkugeln verrichten, ist oft eine, sagen wir mal: Jugendherbergshafte Infantilität zu eigen. Aber ob sie in allen Fällen so elendig lange vorhält wie bei Deutschlands bestem Mittelfeld-Regisseur?

Das Axiom des Publikumserfolgs im Fußball heißt: Härte. Auf das Gefühl läßt sich zur Not verzichten. Der unermüdliche Kämpfer darf ruhig den Ball mit seinen dreigestreiften Adidas-Rowenta bügeln, wenn er ihn nur im rechten Augenblick ins Seitenaus grätscht. Der eher spielerische Held muß in Interviews glänzen, ein wenig forsch muß er sein, am liebsten kokett Er darf zur Not vom schlichten Gemüt eines Jürgen Kohler sein, des Manndeckers der Nation, nur eines darf er auf keinen Fall sein: weinerlich. Jungs weinen nicht Er darf die Sau rauslassen und über sämtliche Stränge schlagen, weil das emotionales Engagement für die Sache vermuten läßt Er soll heroisch leiden und dann mit durchgeblutetem Kopfverband das Spiel zu Ende bringen. Er soll dem Schiedsrichter ins Gesicht sagen, was wir droben auf der Tribüne von ihm halten – oder er soll ihm das zumindest nonverbal zu verstehen geben.

Der einzige wirkliche deutsche Fußball-Weltstar, Franz Beckenbauer, hatte einen Hauch von Andi Möller. Er hat nicht gezetert, aber er hat immer so lässig ausgesehen, wenn er sich angestrengt hat, daß sie ihn seinerzeit bis nach Amerika, zu Cosmos New York, gebuht haben. Das Weiche im Manne kann der deutsche Fan nicht ertragen. Der deutsche Sportjournalist erst recht nicht Wenn einer wie Möller wunderbarerweise alle Beinsicheln seiner Gegenspieler heil übersteht und den Gegner zum Statisten macht, wird er gelobt: Möller übernimmt endlich Verantwortung.

Pech für Andi, daß er kein Kotzbrocken-lmage wie Effenberg hat Sonst gäbe es bestimmt längst einen Fanclub für den Mann, dem nachts in Tiflis der Kragen platzt Aber wenigstens wird er gut bezahlt dafür, daß ihn jeder „Weich-Ei“ rufen darf. „Die Steuer nimmt mir alles weg“, hören wir Möller aus dem fernen Tiflis jammern. O Gott, hab doch bitte Erbarmen mit Andi und schenk ihm endlich einen cleveren PR-Berater. Denn einen Steuerberater braucht er bei seinen Einkünften schon lange nicht mehr.

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