Nils Frevert; Dirk Darmstädter
Cassity
Motor Music; Universal
Kulturrevolutionäre Bilderstürmer sind sie beide nicht. Weder Dirk Darmstaedter noch Niels Frevert erweckten je den Eindruck, als wollten sie den Rock’n’Roll neu erfinden. „Kill your idols“ käme ihnen nie in den Sinn. Zu sehr verehren sie die Kollegen aus Übersee. Paul V&sterberg, Freedy Johnston und auch Roy Orbison oder Burt Bacharach sind die Götter ihres Olymp. Sowohl Darmstaedters Solo-Debüt „Cassity“ als auch Freverts erster Alleingang sind also nostalgisch im besten Sinne.
Damit aber fangt die Parallelität dieser beiden Platten erst an. Vita und Werk des ehemaligen Jeremy-Days-Frontmanns Darmstaedter und des früheren Nationalgalerie-Vorstehers Frevert liegen momentan näherbeisammen als die sonst irgendwelcher Hamburger Musiker: Bis vor kurzem standen beide einer erfolgreichen Pop-Gruppe vor, beide gehen als hübsche Jungs durch, und beide versuchen sich fast zeitgleich mit ihrem ersten Solo-Album. Daß Darmstaedter und Frevert dabei auch noch dasselbe musikalische Feld beackern – angloamerikanisch inspiriertes Songwriting -, ist da nur konsequent.
Nicht, daß die musikalische Biographie der beiden dies nicht ahnen ließ. Gitarrenzentriert und traditionsorientiert arbeiteten sowohl die Jeremy Days als auch die Nationalgalerie. Atmosphärisch dagegen hätten die Unterschiede nicht größer sein können. Die Leichtigkeit des Seins machte erstere, kryptisch dargelegte Schwermut letztere aus. Doch wenn jeder Mensch mehr ist als die Summe seiner Eigenschaften, dann muß man auch glauben, daß die ersten Solo-Werke zweier Bandleader über das Gesamtwerk ihrer jeweiligen Band hinausgehen oder zumindest eine andere Geschmacksnote entwickeln.
Tatsächlich hat Darmstaedter die popstrukturellen Verspieltheiten der Jeremy Days hinter sich gelassen und einen geradlinigeren Weg eingeschlagen. Frevert dagegen wartet plötzlich mit Streichern auf. Man könnte meinen, zwei ungleiche Brüder hätten ihre Rollen vertauscht. Darmstaedter jedenfalls wäre ein Ausbruch in die hemmungslose Pop-Welt eher zuzutrauen gewesen als die schnörkellose Singer-Songwriter-Platte, die jetzt seinen Namen trägt. Schließlich galten die Jeremy Days Ende der 80er Jahre als ein deutsches Pop-Wunder. Den Nachhall, den Hits wie „Brand New Toy“ nun einmal auslösen, hat die Band nie ganz überwinden können. Zum Schluß war ihr Ringen um perfekte Songs klarer zu hören als die Songs selbst. Auf „Cassity“ spielt Darmstaedter sich frei. Trotzdem ist dies nicht das Album eines Mannes, der mit Macht Aufmerksamkeit sucht Es ist ein unaufgeregtes, entspanntes Stück Musik.
Auch Freverts erste eigene Arbeit bringt eine andere Seite zum Klingen als die letzten Platten der Nationalgalerie. Statt rockistische Innenschau zu betreiben, gibt sich der spröde Lyriker dem satten Arrangement hin. Ein paar der Stücke sind so gänseblümchenbezaubernd, daß sie an gelungene Schlager erinnern. Mit „Meskalin“, der heftig knarzenden, glanzvollen Schlußvorstellung seiner Band, hat das nicht mehr viel gemein. Daß man beiden Platten ihren Stammbaum dennoch anhört, liegt in der Natur der Sache. Kulturrevolutionäre sind sie eben beide nicht.