Paul Simon – Hearts And Bones :: Die Alben bis „Rhythm Of The Saints“ in neuen Remaster-Editionen

Walter Yetnikoff, der viele Jahre der Firma Columbia vorstand, erinnert sich an Paul Simon als einen aufgeblasenen, zickigen putz, wie Yetnikoff in solchen Fällen sagt. Von Springsteen, Dylan, Joel und sogar Michael Jackson redet er zärtlicher. Auch sonst hat kaum jemand Vorteilhaftes über den Songschreiber geäußert, doch Idiosynkrasien ungewöhnlichen Ausmaßes gehören natürlich zum Temperament eines derartigen Manikers. Das Wort „Perfektionist“ reklamiert heute jeder Fernseh-Schauspieler für sich, doch bei Simon hört man selbst als Laie die erstaunliche Verfeinerung, den Grad der Durchdachtheit – alles von unendlicher Feinnervigkeit und oft genug genial.

Diese schönen Remasters jeweils um wenige Tracks, meistens Demos, ergänzt – regen dazu an, nicht bloß die obligaten Klassiker zu hören. Wann hat man tatsächlich zuletzt „Paul Simon“ ‚(4) von 1972 aufgelegt, eine verhaltene Platte, gemeinhin durch „Mother And Child Reunion“ und „Me And Julio…“ repräsentiert. Noch besser gelang „There Goes Rhymin‘ Simon“ (4), der Zugriff aufs amerikanische Erbe, mit dem unschlagbaren „Kodachrome“. Die Platte des Jahres 1975 schlechthin ist „Still Crazy After All TheseYears“(4,5), die neben dem Titelsong und dem vitriolischen „50 Ways To Leave Your Lover“ weitere bittere Pillen bereit hält – „Have A Good Time“ („God bless die Standard of livin'“) und „You’re Kind“: „I like to sleep with the window open/ And you keep the window closed/ So goodbye.“

Bevor er ganz und gar eine Platte wie Randy Newman aufnahm, machte Simon eine lange Pause, trat wunderbar in Woody Allens „Annie Hall“ auf und ließ vermutlich seine Depressionen behandeln. Leider entwarf er auch die Story zu dem Film „One-Trick Pony“, dem ersten in einer Reihe unglücklicher Großprojekte. Das beleitende Album „One Trick-Pony“ (4) wurde im Schlepptau – und trotz „Late In The Evening“ – zum Fiasko. Dabei ist es eine leise, subtil groovende Musik mit Steve Gadds feinem Schlagzeug, Tony Levins raffiniertem Bass und Eric Gales phantastischen Gitarren-Licks – sogar die Outtakes „All Because Of You“ und „Spiral Highway“ belegen die erfüllte Stille, nach der Simon suchte.

„Hearts And Bones“ war 1982 gleichfalls kein Erfolg, ist aber Simons schönste Platte. Die Rasanz und Perfidie von „Allergies“, die chirurgische Präzision von „Hearts And Bones“ und die perfekten Geschichten „Rene And Georgette Magritte With Their Dog After The War“ und „The Late Great Johnny Ace“ bleiben die rätselhaftesten, zauberischsten Lieder in Simons Werk.

Der gleichnamige Song von „Graceland“ (4,5) ist ebenso fabelhaft, zwingt Unvereinbares poetisch zusammen, ist Hommage an den Süden wie an Elvis und doch eine Erzählung über eine zerstörte Liebe. Die Songs mit Ladysmith Black Mambazo, die angebliche Ausbeutung der südafrikanischen Musiker und die Adaption des „Township Jive“ wurden 1986 überschätzt so oder so: „The Boy In The Bubble“ und die unwiderstehlichen „Gumboots“ sind verblüffend swingende Synthesen, doch „Under African Skies“ und „Homeless“ verströmen jenen Ethno-Kitsch, für den der musikalische Tourist Simon seit den Anden-Flöten notorisch ist. Toll dagegen der Auftritt von Los Lobos bei „All Around The World“. Das Album war unfassbar erfolgreich und etablierte die so genannte Weltmusik bei allen Festivals. Es ist indes nicht Simons Schuld, dass es bei aller Sinneslust und trotz eines so mitreißenden Stils wie Township Jive noch immer ein Ingenium braucht, das schließlich den Song hervorbringt. Am Ende war der scheue Mann aus New York wieder der Böse: alles abgelauscht, die Schwarzen betrogen, Tantiemen selbst eingesteckt! Dabei lehrte er, blass und klamm, in Klassenzimmern und Holzbaracken, die Kamera stets dabei. „The Rhythm Of The Saints“

(2,5) war 1990 dasselbe Prinzip, diesmal aber in Südamerika. Hier stolperte Simon durch den Urwald, türmte den Bombast, schichtete die Trommeln übereinander und begriff nichts von Spiritualität und Körperlichkeit – es ist ja alles intellektuell bei ihm, und wer ihn auf der Bühne sieht, der erkennt, dass jedes Gran Gefühligkeit dem Grübeln abgerungen ist. Der Tod von Johnny Ace und der Tod von John Lennon Jahrzehnte später, fallen bei ihm in eins. Dazwischen liegt der Rock’n’Roll, den Paul Simon so virtus vermieden hat.

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