The Decemberists – Picaresque

Theater und Pop, welche Mesalliance könnte schrecklicher sein? Waits, Byrne, Reed und Robert Wilson, das war jedesmal Taumel und Lärm und Zirkus im Märchenwald des Bilderzauberers, und jedesmal verlor die Musik. „The Wall“ als theatralische Aufführung: banale, geblähte Gefühlsduselei. Grönemeyers „Leonce und Lena“: Kunstgewerbe am Stadttheater. Am ehesten paßt zur Popmusik das Kasperletheater.

Oder doch die lustvolle Stümperei der Laienspielschar, des Schülertheaters der Oberstufe! Colin Meloy war einer dieser Streber, die einen Theaterzirkel gründen und für die drei Aufführungen in der Aula ein halbes Jahr proben. Nebenbei unterhielt Meloy wahrscheinlich schon eine Band, in der auch Akkordeon, Cello und Posaune mitspielen durften und die gegen die üblichen College-Radaukapellen keine Chance hatte. Nennen wir die Decemberists deshalb Ensemble!.

„Picaresque“ ist ein echtes Schlauberger-Album mit neunmalklugen, sogenannten poetischen Texten. Die Geschichten der Songs sind im Booklet auf je einem Foto inszeniert wie ein einer gut budgetierten Amateur-Inszenierung. Colin Meloy selbst, der die Rolle des „Mariner“ übernommen hat, schreibt opulente, fast operrettenhafte Pop-Lieder mit orchestraler Instrumentierung und altertümlicher Wortgewalt: Hispanisches, Seemannslied, Bänkelgesang, Folk-Weise bringt er anstrengungslos zusammen. Pathetische Liebeslyrik wie „We Both Go Down Together“, grelle Sozialromantik wie „Eli, The Barrow Boy“ und Burleskes wie „The Sporting Life“ erzählt er ebenso, jawohl: pikaresk wie den überbordenden „Mariner’s Revenge Song“ oder die Petitesse „On The Bus Mall“.

Es muß leider gesagt werden: Bei aller Originalität sind die Decembensts nicht nur mit Jonathan Richmans Modern Lovers (und ein bißchen den Barenaked Ladies!), sondern vor allem mit den manierierten Nits verwandt. Aber „Picaresque“ birst vor grotesker Phantasie, schwindelerregenden Arrangements und berückenden Melodien. Diese brillante Bildungsbürgerplatte wollen wir uns ins Regal stellen. Neben „We Love Life“ von Pulp.

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