Wiederveröffentlichungen auf CD

Am Anfang war die Frage: Was ist eine Mädchenband? Gibt es das überhaupt, ist die Kategorisierung legitim, und sind alle Jungsbands dann Jungsbands? Vielleicht ja, hört man das neue Werk der Frauengruppe aus Minneapolis. Babes In Toyland sind nicht die besseren Männer, denn manchmal sind Mädchen einfach besser.

„Nemesisters“ ballt konzentrierte Kraft und subtile Wut, ist böse, gemein, sexy und komisch zugleich. Während männliche Absahner als Punk-Clowns ihre gesamte Energie aus dem kleinen Zeh ziehen, der zufällig über eine Sex Pistols-Scheibe gestolpert ist, und die Symptome von vor zehn Jahren kopieren, suchen Babes In Toyland nach der Ursache und brüllen sie aus dem Bauch, was das Blümchenkleid hält.

Die musikalischen Mittel dazu sind einfach. Große Musikerinnen sind Babes In Toyland bis heute nicht geworden, und vor allem das Schlagzeug holpert bisweilen etwas uninspiriert vor sich in. Den allgemeinen Energieschub dieses fünften Babes In Toyland-Albums kann das aber auch nicht bremsen. Unkontrolliert experimentierfreudig spielt sich das Trio gegen alle Regeln mit Kuhglocken und orientalischen Rhythmen, setzt Breaks, wo keine hingehören und schafft eingenwillige kleine Lärmkunstwerke, wo man doch nur Rock’n’Roll erwartet. Dann, wenn bei Babes In Toyland jede gegen den Strich spielt, sind sie am besten. Tumbes Punk-Geholze steht den Damen nicht und wann immer sie dazu verfallen, wird „Nemesisters“ so langweilig wie bald jede andere Veröffentlichung aus dem so garstig verkommenen „Alternativ“-Sektor.

Doch Ausharren lohnt sich. Den Schluß krönen Babes In Tbyland mit liebevoll gewählten Cover-Versionen, verhackstücken Eric Carmens Bombast-Schnulze „All By Myself“ zur schauerlichen Psychopathen-Arie. Und sind plötzlich ganz nett, wenn sie Sister Sledge kopieren und fröhlich „We Are Family“ trällern. Am Ende kommt Babes In Nyland der Vorteil ihrer Weiblichkeit zu Gute. Sie nehmen sich schlichtweg nicht so ernst.

Martina Wimmer 3,0 BITS LIKE THIS Van Morrison Polvdor 627307-2 Too Long In Exile“ markierte tatsächlich die Umkehr, die schon der Titel des 93er-Albums anzudeuten schien. Und die Van Morrison anschließend mit der Live-Bilanz „A Night In San Francisco“ auf die Spitze trieb. Der Belfast Cowboy erklärt die durchgeistigte Sinnsuche für abgeschlossen und fahndet mit dem rechtschaffenen Ethos des gestandenen R&B-Arbeiters nach eigenen wie universellen Wurzeln.

Statt in autobiographischen Wirrungen nach der eigenen Stimme zu suchen, will der zum Bodenständler konvertierte Mystiker heute Archetypen eine Stimme geben. „Russian Roulette“ spielt Van Morrison – einem aktuellen Songtitel zum Trotz – schon lange nicht mehr. Und der doch recht banalen „Turn the other cheek“-Rhetorik eines „No Religion“ (in der deshalb so kalten, schlechten Welt) möchte man aus dem Stand entgegegenfragen: Gibt es nicht, zumindest im orthodoxen Sinne, viel zu viel davon? Es paßt durchaus ins Bild eines kaum noch zweifelnden, wenn auch nicht gleich übermäßig selbstgerechten „Mit-sich-im-Reinen-sein“ („Perfect Fit“ heißt’s passend gleich zum Auftakt), daß „Days Like This“ das Ende der Metaphern beschreibt. So wie einst Bruce Springsteen all die Wendys und Candys abhanden kamen und die bewegten Bilder eines „Promised Land“ zum statischen Mißverständnis einer Stadion-Hymne gefroren – spricht ein kontemplativer Van The Man heute in blanken Titeln zu uns: von Melancholie, der süßen Liebe am

Nachmittag und einer „Underlying Depression“. Die Reflexion über den Berufsstand „Songschreiber“ – bei Morrison eine fast heiter-gelassene De-Mystifizierung ganz im Sinne des Handwerkers hat ein Willie Nelson schon zwingender eingefangen. Aber der mußte sich ja auch am Gedanken-Gefängnis „Music Row“ abarbeiten, bevor er selbst ins (texanische) Exil ging.

Um Mißverständnissen vorzubeugen: „Days Like This“ ist kein (richtig) schlechtes Album, ein durchschnittliches Van-Morrison-Werk ist noch lange nicht (ganz) so beliebig wie der große Rest. Auch kann man in dieser Musik unendlich viel Trost finden. Aber wer Ausschau nach Geheimnissen hält, die Ohren und Bewußtsein mit der quälenden Intensität eines schönes, aber nur halberinnerten Traumes umtreiben, ist bei Van Morrison inzwischen an der falschen Adresse. Jörg Feyer 3;0 LAND OF NO SURPRISES Bedlam Rovers Normal 191/Indigo „Nothing Green“, das 1990 auf Heyday erschienene Debüt der Bedlam Rovers, wurde mit recht als zeitgemäße Fortsetzung der legendären Fairport Convention gefeiert: ein schwung- und gefühlvolles Folk-Rock-Statement, daß weitgehend ohne die bierselige Punk-Attitüde vergleichbarer Bands wie Pogues oder Whiskey Priests auszukommen wußte. Doch wo besagte Combos ihre Folk-Vorlieben gern mit dem lässigen „back to the roots“ erklärten, handelt es sich bei dem Rover-Debüt im Grunde lediglich um die gelungene Vertonung eines offenbar ebenso gelungenen Irland-Urlaubs, von dem die Band jede Menge Anregungen mitgebracht hatte. Ihre Roots allerdings lagen immer ganz woanders, nämlich im politisch superkorrekten, selbstorganisierten Underground San Franciscos.

Nun liegt das dritte Album vor: die elektrische Geige ist geblieben,

doch die zart zirpenden Mandolinen sind lange Schnee von gestern. Daß die Platte trotzdem perfekt nach rebellischem Briten-Folk klingt, dürfte an Mekons-Leader Jonboy Langford liegen, der hier als Produzent fungiert. Dem Einfluß des trinkfreudigen Briten ist es wahrscheinlich auch zuzuschreiben, daß die Band nach dem etwas dröge dahinschrammelnden Vorgänger „Wallow“ (1992) mit mehr Swing, Sentiment und (was die politische Seite angeht) Galgenhumor zu Werke geht Hiervon profitiert in erster Linie Sängerin Caroleen Beatty, deren dunkle, kraftvolle Stimme in diesem kompakten Gruppensound viel besser zur Geltung kommt Es mag gegenüber den anderen Bandmitgliedern – an deren Spiel nun wahrscheinlich nichts auszusetzen ist – despektierlich klingen, doch sind es genau diese Stimmbänder, die den Bedlam Rovers ihren unverwechselbaren Charakter verleihen. Folk-Punk mit Ska-, Polka- und Country-Einflüssen ist eine Beschreibung, die auf ganze Herden von Bands zutrifft. Wie Mrs. Beatty hier aber jede Nuance auf der Kippe zwischen Kampfbereitschaft, Schwelgerei und Melancholie zelebriert – ohne auch nur einmal in balladesk-getragene Langsamkeit zu verfallen gibt nicht nur jedem Begleitmusiker Feuer, sondern läßt auch den Hörer in atemlose Bewunderung verfallen.

Dabei ist weder feenhafte Seelenöffhung noch aggressive Körperlichkeit (oder was sonst von „weiblicher“ Rockmusik erwartet wird) zu erleben. ,jMnd Of No Surprises“ klingt, als würde Grace Stiele Protestsongs von Joan Baez singen mit den Mekons als Begleitung.

Michael Ruff

4,0 ELECTR-O-PURA

Yo La Tengo City Slang/EFA 04955-1 Wer steht bei Konzerten schon gern in der ersten Reihe? Entweder rammt dir der Gitarrist sein Instrument in den Rachen, oder der Hintermann schüttet einem Bier in den Nacken. Yo La Tengo sind eine der wenigen Bands, bei denen man immer direkt vor der Bühne hängt, ganz gleich, wo oder unter welchen Widrigkeiten sie auftreten, ob in einer Rock-Arena oder in der Kiez-Bar. Es ist einfach eine Wonne, Ira Kaplan bei der Arbeit zuzusehen. Wenn sich der Lockenkopf über Amplifier oder Gitarre beugt, wirkt er extrem routiniert und zugleich wie ein Junge, der zum ersten Mal im Übungsraum von der Band des großen Bruders spielen darf. Für Kaplan liegt hinter jedem Regler des Verstärkers ein Geheimnis. Auch heute noch. Und er tastet sich langsam vor, um ihm auf die Schliche zu kommen.

Große Sprünge sind Tfo La Tengos Sache nicht. Ihre Radikalität liegt in der Behutsamkeit. In Zeiten, da jeder Depp die Verzerrer fauchen läßt und sich damit sogar mal schnell eine Million machen läßt, muß bedachtsam mit elektrifizierter Musik umgegangen werden. Die Songs der Thirty-somethings kommen meist lärmiger daher als die ihrer zehn Jahre jüngeren Kollegen, dabei sind sie Ergebnisse eines langwierigen Prozesses. Mit jeder Phase ihres Schaffens ertastet sich das Trio aus Hoboken eine neue Variante seines Sound.

„Electr-O-Pura“ trägt den Titel zu Recht. Auf ihrem siebten Album, einem Monstrum 60 Minuten komplexen Kraches, bewegt Yo La Tengo vor allem die Frage: Was passiert auf dem Weg von den Gitarrensaiten zu den Boxen des Verstärkers? Es schnarrt und fiept an allen Enden, immer jedoch nehmen sich die Stücke durchdacht aus wie eine Versuchsanordnung. Die Zutaten sind bekannt: Der Baß hat ein weiteres Mal Freigang aus dem Begleit-Knast, das Schlagzeug ist über schnöselige show offs erhaben, der Gitarre ist alles erlaubt, und der Gesang lautmalt zweistimmig wie immer. Schließlich ist auch wieder die Orgel zu hören, die seit der letzten LP fester Teil des durchaus überschaubaren Equipments geworden ist.

Die Entwicklung liegt mal wieder im Detail. Drückte Ira Kaplan auf „Painful“ noch in die Tasten, um einen flauschigen Klangteppich zu erzeugen, einen, in den man so richtig versinken kann, so hat die Orgel diesmal die gegensätzliche Funktion: Sie schabt unnachgiebiges Kratzen auf. Man höre sich nur JFalse Alarm“ an. In dieser nervösen Rock’n’Roll-Nummer knarzt die Orgel wie auf den ersten Veröffentlichungen der deutschen Psycho-Beat-Erfinder 39 Clocks – eine Formation, die Plattenjunkie und Rock-Forscher Kaplan kennt und schätzt.

Insgesamt wirkt „Electr-O-Pura“ rissiger, psychotischer und fiebriger als alle früheren Alben. Mit Sperrigkeit hat die Band trotzdem nichts im Sinn, das wichtigste Gruppenziel bleibt für sie Dynamik. Auf ihrem neuen Werk zahlen sie einen hohen Preis für dieses Wechselspiel der Kräfte: den Schönklang. Das wollen Yo La Tengo so, dafür gebührt ihnen Achtung.

Christian Buss 1,5 AIN’T No EROÜGI FUN Little Feat Zoo/RCA 72445 11097 2 Wenn bei einer Band, die ehedem Kult war und diverse Klassiker veröffentlicht hat, das Musikmachen zum reinen Selbsterhaltungstrieb verkommt, dann entstehen Platten wie diese. Mit Trauer muß man nämlich konstatieren, daß Little Feat – zu Lebzeiten Lowell Georges neben Steely Dan die innovativste Rockband Amerikas – inzwischen glatt die wiederaufgewärmten Doobie Brothers noch um Längen unterbieten.

Konnte man die letzten Alben mit Ex-Pure Prairie League-Sänger Craig Füller zumindest noch unter „halbwegs passabler Gebrauchs-Rock“ abheften, so klingen Little Feat jetzt wie „Melissa Etheridge für Arme plus Band“. Den Gesang besorgt jetzt nämlich eine Chanteuse namens Shaun Murphy! Die Dame röhrt und röchelt, preßt und kreischt, und dazu sondern die Herren Barrere, Clayton, Gradney, Hayward, Payne und Tackett Klänge nach dem ewig gleichen Rhythmus- und Kompositions-Strickmuster ab.

Man vergißt vor lauter ungläubigem Staunen glatt, daß uns diese Band einmal zeitlose Perlen wie „Willing“, „Trouble“ oder „Dixie

Chicken“ (um nur ein paar wenige zu nennen) auf den Plattenteller gelegt hat. Was aber, fragt sich ein verzweifelter Rezensent, rät man Musikern, die man für ihre unsterblichen Songs einmal inbrünstig geliebt hat? Bei McDonald’s Buletten zu braten? In Hollywood Schuhe zu putzen? Oder gleich Sozialhilfe zu beantragen? Eine zufriedenstellende ernsthafte Antwort will sich partout nicht finden lassen.

Doch eine ehemalige Kult-Band, die ihren gigantischen Ruf mit einer solchen Farce wie ^Ain’t Had Enough Fun“ so gänzlich unreflektiert ruiniert, muß sich harte Fragen und ferrisse gefallen lassen. Zu guter Letzt noch eine Bitte an die Musiker: Wenn Ihr schon meint, Euren Lebensunterhalt mit Musikmachen bestreiten zu müssen, dann legt Euch doch bitte einen neuen Band-Namen zu. Dann tut das Abschiednehmen wenigstens nicht ganz so weh.

Jörg Golden

2,0 „DIM LIGHT SHINE

Soul Asylum Sony Music 480320 2 Ab sofort zählen keine Ausreden mehr: „Runaway Train“ war kein Versehen. Die Hit-Ballade, die Soul Asylum vor zwei Jahren (nicht nur formal) an die Spitze des Mainstream katapultierte, und Front-Mop Dave Pirner den bald landläufigen Vergleich zu Chris Norman einbrachte, findet ihre grausame Nachfolge gleich mehrfach auf deren neuem Album. „Promises Broken“ oder „Eyes Of A Child“ heißen die Spätfolgen ihres kommerziellen Durchbruchs heute, Balladen im Wiegeschritt, die so oberflächlich schmalzig sind, das man damit allenfalls noch die Waltons vertonen könnte. Und über deren Worte, wie die Titel vermuten lassen, man besser kein Wort verliert.

Bei ihrem letzten Album konnte man noch mit dem Unglück leben, und neben „Runaway Train“ auch Musik hören, die durch ihre Einfachheit schlicht unterhaltsam war. Was dem „Bravo“-Leser von 1993 verborgen blieb, war damals wenigstens noch zu hören: Daß es diese Band schon seit zehn Jahren gibt, und daß die einzige Auszeichnung der frühen Jahre eine wenig verklärte war. „Die fleißigste Live-Band der USA“, wurden sie gelobt Und was bei früheren Soul Asylum-Konzerten den Kauf des nächsten Bieres rechtfertigte – leicht konsumierbare Gefühlsmusik mit Gitarrenverstärkung in ungestümer Frische beiderseits (auf und vor der Bühne) genießen zu können -, fand auf „Grave Dancers Union“ noch sanften Niederschlag.

Das Ärgerlichste und gleichzeitig auch Erstaunlichste an „Let Your“, „Dim Light Shine“ ist die ausgeklügelte Berechnung, mit der hier ein ¿ Nachfolge-Album zum kommerziellen Durchbruch geschaffen wurde. Das ganze Album strotzt vor kalkulierten Klischees, vordergründige Überraschungsmomente halten dem mehrmaligen Hören in ihrer Wirkung nicht stand. Balladen und melodische kleine Rock-Songs wechseln sich schön ausgewogen ab, manchmal schlagen die Gitarren, wie bei „Caged Rat“, nochmals über die Stränge, zwischendurch klingt man mal böse.

Und hat damit alle Erwartungen erfüllt: Pubertierende Verehrerinnen dürfen zu langsamen Schmachtfetzen Gänseblümchen zerrupfen. Anhänger der ersten Stunde, mittlerweile vielleicht auch schon in die Jahre gekommen, fühlen sich von ein paar ausufernden Rock-Klängen befriedigt. Den Texten dagegen kann allenfalls die erste Gruppe etwas abgewinnen. Dave Pirners Gebrauchslyrik reimt hauptsächlich Herz auf Schmerz oder suhlt sich in peinlichem Verständnisgeheische für die Welt des kleinen Mannes. Bahnbrechende Erkenntnis: Die Welt ist schlecht, der Mensch ist böse, und nur die Liebe läßt uns leben.

„Die Bon Jovi der Grunge-Generation“ wurden Soul Asylum vor zwei Jahren schon mal genannt – die Gleichsetzung ist berechtigt. In der Perfektion, mit der sie ebenso wie ihre Kollegen mit einer außerdem sehr sorgfaltigen Produktion (natürlich: Butch Vig und Andy Wallace, die seit Nirvana jede dritte amerikanische Band aus dem ehedem alternativen Lager im Studio aufpäppeln) den Massengeschmack bedienen, ist nicht schrecklich verwerflich und natürlich sehr professionell. Zuhören muß man ihnen deswegen trotzdem nicht.

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