Rockabilly und halbnackt – Neo-Burlesque mischt das Nachtleben auf

Ein neuer Trend mit langer Tradition erobert Clubs und Bars: sexy, selbstbewusst und ironisch. Ein Burlesque-Abend mit Banbury Cross in Kreuzberg

Sie kommt in einem dicken Mantel, schiebt einen Koffer durch die dicht stehende Menge. Dann verschwindet die rätselhafte Frau mit dem wahnsinnig langen Wimpern in der kleinen Gaderobe.

Wir sind in einer Bar in Kreuzberg, und gleich wird Banbury Cross, die Frau mit dem Koffer, wieder auftauchen. Banbury Cross ist natürlich nicht ihr richtiger Name, sondern der eines pseudo-gotischen Kreuzes, das in dem Städtchen Banbury, nordöstlich von London steht – in Gedenken an Queen Victoria, mit der diese Banbury allerdings deutlich weniger gemein hat als mit Marilyn Monroe, oder einer gefährlichen B-Movie-Version von Marilyn Monroe.

Zu ihrem Auftritt scheppert Rockabilly aus den Boxen der „Prinzipal Bar“, während die in eine unfassbar eng tailliertes Glitzerkorsett geschnürte Performerin den ersten Handschuh auszieht. More to come. Den Gästen schmilzt das Eis in den Cocktailgläsern.

Prinzipal Kreuzberg

Rock’n’Roll und Rotlicht ­– eine Verbindung, die so alt ist wie das Genre selbst. Bereits der Blues liebte die Nacht. Auch die Jazzer der 1920er und 1930er-Jahre schätzten die während der Prohibitionszeit in den USA illegalen „Speakeasies“. Später in den Fifties wuchs ein musikalischer Underground in den nächtlichen Öffnungszeiten der Musikbars heran. Und wie weit wären wohl die jungen Beatles gekommen, ohne die prägenden Erfahrungen auf Hamburgs „sündiger Meile“? Eine Atmosphäre, benebelt von Zigarettenrauch, geprägt von Künstlern, schrägen Vögeln und Outlaws.

Zwar reichen die Wurzeln des Burlesque-Tanzes bis ins 17. Jahrhundert, doch populär wurde diese augenzwinkernde Extravaganza in den 40er- bis 60er-Jahren. Nicht so vulgär wie Striptease – und immer ein bisschen ironisch.

Kollegin von Banbury Cross: Burlesque-Tänzerin Rita Lynch

Eine bis heute stilprägende Nische der Popkultur, die zudem durch weibliche Rockabilly- und Fetisch-Ikonen wie Betty Page oder Hollywood-B-Movie-Starlets wie Lili St. Cyr zum eigenen subkulturellen Kosmos geworden ist. Heute steht vor allem Dita Von Teese in dieser Tradition – aber auch die Grazer Kleidermacherin Eva Hoschek etwa, die sich auf Basis des sexy Retrokults ein euopaweites kleines Mode-Imperium aufgebaut hat: Figur betonte Südstaaten-Kleider und Bleistftröcke, aufwendige Frisuren und reichlich Tattoos.

Der weltweite Erfolg der Körperkünstlerin und Rocker-IT-Girl Dita Von Teese wäre ohne diese popkulturelle Kombi nicht denkbar. Und mit ihrem Mitte Februar 2018 erscheinenden Album trägt die Burlesque-Queen aus Los Angeles das rockende Burlesque-Erbe ins digitale Zeitalter. Hinter dem Studiopult stand (House-Music-) Produzent Sebastien Tellier: „Ich durfte einmal erleben, wie Dita zu einem meiner Tracks tanzte. Ihre Präsenz und Persönlichkeit passten perfekt dazu. Ich musste unweigerlich an Schneewitchen denken, ihre Frische erinnert an eine Cartoon-Figur. Und so habe ich weitere Songs für sie komponiert.“

Ein Novum im – nie wirklich definierten – Burlesque-Sound, der lange von rhythmischen Gitarren-Instrumentals bestimmt wurde, etwa von Surf-Rock-Legenden wie Dick Dale oder anderen wilden Kollegen der Sechziger. Achtziger-Jahre-Phänomene wie die Stray Cats setzten die Schmalzlocken-Linie mit Standbass und Mini-Schlagzeug fort. Bis heute hat sich daraus in vielen europäischen Metropolen ein vielschichtiger Underground mit Bars und Clubs entwickelt. In Berlin ergänzt gar ein jährlich stattfindendes Burlesque-Festival das regelmäßige Burlesque-Programm in der Kreuzberger „Prinzipal Bar“ oder im „Bassy Cowboy Club“ in Prenzlauer Berg. Bei diesen Veranstaltungen treten dann Raketenmieze, die Schweizerin Minouche von Marabou oder das Frauen-Trio The Cool Cats auf.

„Drinks, Burlesque und Musik“, so das Motto der „Prinzipal Bar“, in der Banbury Cross ihren Kleiderkoffer wieder raus auf die Oranienstraße schiebt – ein Motto, das gerade im urbanen Nachtleben gerade größere Kreise zieht.

Adressen:

Prinzipal Bar, Berlin Kreuzberg, Oranienstraße 179,
Bassy Club, Berlin, Schönhauser Allee 176 A,
Kokett Bar, Köln, Altenberger Straße 11
Home of Burlesque, Hamburg St. Pauli, Gerhardstraße 7

Web-Tipps:

berlin-burlesque-festival.com/
sheila-wolf.de/clubsbars/bassy-cowboy-club-pinkys-peepshow-burlesque/
www.nightlife-koeln.de/

In der Prinzipal Bar Kreuzberg
Prinzipal Kreuzberg
Matthew Coleman
Max Menning/Prinzipal
Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates