Rufus Wainwright: Stardust Memories

Rufus Wainwright kehrt zum Auftakt seiner Welttournee in die Stadt zurück, die sein aktuelles Album "Release The Stars" inspirierte.

Was ist bloß mit der amerikanischen Flagge passiert? Müde und blass, aber immer noch wichtigtuerisch groß hängt das „Star-Spangled Banner“ im Hintergrund der Berliner Volksbühne. Die leuchtenden Streifen sind einem ausgewaschenen Schwarzweiß gewichen. So als hätte Amerika sein Strahlen verloren und damit auch den Glauben an all seine Träume. „Release The Stars“ heißt das aktuelle Album von Rufus Wainwright. Und tatsächlich: Fast alle Sterne sind von der seltsamen Fahne abgefallen und funkeln jetzt als glitzernde Broschen auf den gestreiften Fantasie-Anzügen der Musiker. Kostüme, die ein wenig an die 20er Jahre erinnern, an gut gelaunte Dandys und Übermut. Vor Beginn des Konzerts hat sich die ganze Band mächtig herausgeputzt; auf einem langen Tisch in der Garderobe war funkelnder Strass-Schmuck aufgetürmt wie ein Piratenschatz. Die Show kann beginnen.

Es ist die Premiere von Rufus Wainwrights Welttournce, die den „Gay Messiah“ im November noch auf weitere deutsche Bühnen führen wird. Doch Berlin ist etwas ganz Besonderes. Schon weil die Linienstraße, an der sich der Künstlereingang der Volksbühne befindet, direkt zur Ecke Tucholskystraße führt, wo der Sonnenkönig unter den Songwntern letztes Jahr residierte. Dort schrieb er die meisten Songs von „Release The Stars“, die dann später in den alten Studios des DDR-Rundfunks in Köpenick aufgenommen wurden.

Mit einer rauschhaft trunkenen Version des Titelsongs beginnt das Konzert. Die drei Bläser beschwören mit Verve den Geist des alten New Orleans. Dann kommt Er auf die Bühne und beschwört das old Hollywood. In einem hellen, fein glitzernd gestreiften Anzug, ohne Hemd, aber mit opulentem Strass-Colher um den Hals und buntschimmernden Broschen wie Orden an der Brust. „Going To A Town“ legt noch an Drama zu, schließlich geht es um „a town that has already been burnt down“. Der Beifall der Bewohner dieser Stadt ist entsprechend groß, und Herr Wainwright bedankt sich artig mit einem „It’s good to be home“.

Schon ist das Eis gebrochen, und der Künstler plaudert vergnügt über das lasterhafte Leben in Sanssouci: Wie in einem Porno muss es zugegangen sein, ein ganzes Schloss voller Männer. Fast verhaspelt er sich vor Begeisterung. Im gleichnamigen Song träumt Rufus dann von Stallburschcn, die ihm zärtlich sein Cabriolet polieren, während eine altmeisterlich gespielte Flöte die Fantasien des Amerikaners in Potsdam passend barock untermalt. Was für ein herrlich alberner Spaß.

Drei Stunden zuvor sah es auf der gleichen Bühne noch völlig anders aus. Da saß Rufus-gar nicht Primadonnen-like – sauertöpfisch in Clogs, Jeans und grober Wolljacke am Piano. Das Gesicht angespannt, Band, die in dieser Besetzung noch nie zusammengespielt hatte. Nicht nur „Do I Disappoint You“ wird deshalb bis ins Detail auseinandergenommen und analysiert. Die Stimmung des Sängers hob sich ein wenig, als sein Lebensgefährte Jörn Weißbrodt vorbeikam. Rufus stellte ihn mit den Worten vor: „Mein Boyfriend. Er stammt von hier. Aber weil ich ihn gestohlen habe, lebt er jetzt mit mir in New York.“

Für neugierige Journalisten hat der angespannte Wainwright jetzt trotzdem nicht das geringste Verständnis. Einzig die Frage, was denn eigentlich aus der Oper „Prima Donna“ wurde, einer Auftragsarbeit für die New Yorker Met, lässt ihn sein Schweigegelübde kurz vergessen. Er grinst wie ein ertappter Ladendieb, der versucht, seinen Hals zu retten: „Ich habe den ersten von zwei Akten geschrieben, aber die Orchestrierung wird noch mal mindestens ein Jahr dauern. Und dann muss ich auch noch einen Regisseur finden… Aber ich bin dran. Mein Boyfriend und ich, wir gehen oft zusammen in Opern, um herauszufinden wer die besten Regisseure und Sänger sind.“ Irgendwie hat man nicht das Gefühl, dass hier jemand mit Hochdruck an seinem Opus Magnum arbeitet.

Dafür überschlagen sich die Ereignisse auf der Bühne umso mehr. Rufus stellt jetzt Ulla vor. Ulla hat bei einem kleinen Wettbewerb auf YouTube gewonnen: Bei jedem Konzert der Tour darf ein Zuschauer den „spoken-word-part“ aus „Between My Legs“ rezitieren – so wie bei früheren Gelegenheiten berühmte Schauspieler wie Jake Gyllenhaal oder Dawn French. Und während die Band mit röhrenden Gitarren das einzige Rockstück des Abends in den Saal bläst, intoniert die nette blonde Ulla erstaunlich souverän die ziemlich blumigen Zeilen. Danach: Pause.

Eine Viertelstunde später ist unser Held zurück und präsentiert sich in genau jenen maßgeschneiderten Waldbauernbub-Lederhosen, die auch im Booklet von „Release The Stars“ zu bestaunen sind. „Do I Disappoint You“ sprudelt dann auch fast über vor virilem, großorchestralem, aber dabei sehr differenziertem Klangreichtum. Danach ein George-Gershwin-Song aus Wainwrights gutcierter „Judy Garland Show“- der exakten Wiedergabe eines Konzerts, das die Diva im April 1961 in der New Yorker Carnegie Hall gegeben hat. „Ich werde diese Show nie wieder aufführen“, sagt der glühende Verehrer vollmundig.“.denn wenn ich es noch ein einziges Mal tue. werde ich mich in Judy Garland verwandeln.“ Der Saal lacht. Und schon sind wir wieder in einer anderen, swingenden Welt. Dies ist nicht einlach ein Konzert, keine Aneinanderreihung von Songs „That’s Entertainment!“ Zur Zugabe erscheint Rufus ganz klassisch im weißen Bademantel. Nach einer kurzen One-Man-Show am Piano schnappt er sich mit dramatischer Geste einen Stuhl, dreht ihn zum Publikum und schminkt sich die Lippen. Plötzlich, man weiß gar nicht genau, wie das alles so schnell gehen konnte, fliegt das Frotteeteil in die Ecke und auf der Bühne steht Rufus als eine Art Marlene Dietrich, in High Heels. grauem Mini-Kostüm und mit lasziv gekipptem Hut. Und schon stürmen in Smokings die Musiker herein, werten sieh auf den Boden, überschlagen sich, stehen wieder auf und tanzen zu dem Swing-Klassiker „Get Happy“ eine abenteuerliche Choreogratie. deren Mittelpunkt Marlene Wainwright ist. Vergessen wir die New Yorker Oper – sein Opus Magnum führt Rutus Wainwright auf den Konzertbühnen dieser Welt auf.

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