Sebastian Koch im Interview: Menschen haben Schiss vor Neuem!

Er ist Star und Charakterdarsteller zugleich: Ein Gespräch mit SEBASTIAN KOCH über den deutschen Film, das Gefühl Griechenland, die Liebe zum Theater und seine Bewunderung für Steven Spielberg

Er verkörperte Klaus Mann, Graf Stauffenberg, Alfred Nobel und Dr. Oetker, und seine Rolle in Costa-Gavras’ „Der Stellvertreter“ ebnete ihm 2002 den Weg zur internationalen Filmkarriere: Sebastian Koch ist einer der wenigen deutschen Schauspieler, die man als Charakterdarsteller und als Star zugleich bezeichnen kann. Undogmatisch wählt er seine Arbeiten aus: gediegene Fernsehfilme, kommerzielles Kino, aber auch Lesungen und eine Sprecherrolle in der ZDF-Dokumentationsreihe „Terra X“. Koch begann Mitte der 80er-Jahre am Theater und spielte 1986 seine erste Fernsehrolle – neben Helmut Fischer – im „Tatort“. 1997 überzeugte er in Heinrich Breloers „Todesspiel“ und brillierte dann in „Die Manns“, „Der Tanz mit dem Teufel“, „Speer und Er“ sowie in Paul Verhoevens „Black Book“; zweimal wurde er mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. „Das Leben der Anderen“ (2006) wurde 2007 mit dem Oscar prämiert. 2013 spielte Koch mit Bruce Willis in „Stirb langsam – Ein guter Tag zum Sterben“. Wir trafen den 52-Jährigen in Berlin.

Erklär mir bitte den Beruf Schauspieler!

Ich habe bei Camus gelesen, dass ein Schauspieler ganz viele Leben lebt. Und so wie ich diesen Beruf ausübe, ist das die Überschrift.

Ganz viele Leben?

Ja. Ich glaube, dass alles Leben in einem angelegt ist. Und dass, je nach Biografie, das eine ausgearbeitet wird und das andere zu kurz kommt. Aber jeder trägt generell alles in sich. Der Schauspielerberuf ist nichts anderes, als dass man den Fokus der jeweiligen Figur nimmt und sich fragt, was man mit dieser Figur zu tun hat.

Als du die Entscheidung trafst, Schauspieler zu werden, war das auch die Entscheidung für einen Lebensstil?

Ich komme aus dem kleinen schwäbischen Obertürkheim. Ich hatte mit Schauspielern nichts am Hut, aber wahnsinnig Respekt vor ihnen. So ein bisschen wie Lieschen Müller sich früher Hippies vorstellte. Schauspieler auf der Bühne zu erleben hat mich als 14-, 15-Jährigen sehr fasziniert, diese familiäre Verbundenheit untereinander – vor allem wenn man selbst nicht so einen Familienbund im Hintergrund hat.

Aber in Obertürkheim konntest du das ja nicht erleben. Wo hast du Theater gesehen?

Mit meiner ersten Freundin ging ich immer ins Jugendhaus Mitte in Stuttgart. Da wurde Theater gespielt. Wir haben auch selbst irgendwie Straßentheater gemacht. Und dann, Gott sei Dank, kam Peymann, der hatte ja seine große Zeit in Stuttgart in den 70er-Jahren. Ich merkte: Das gefällt mir, das will ich auch.

Die 70er-Jahre waren die Jahre der Theaterfamilien: Zadek in Bochum, Peymann in Stuttgart, Stein in Berlin. Hast du auch eine künstlerische Familie gesucht?

Absolut. Theater bedeutete für mich, dass man sich, obwohl draußen die Sonne scheint, in einem künstlichen Raum mit einer künstlichen Sonne trifft, in einem komplett autarken Raum, in dem man sich einschließt und Geschichten zusammen erfindet und präsentiert. Ich finde nach wie vor, dass das ein zauberhafter und ganz wunderbarer Vorgang ist.

Du hegst eine große Liebe zu Griechenland. In der „NDR Talk Show“ hast du auf die Frage, was der Unterschied zwischen Deutschen und Griechen sei, geantwortet: „Wenn ein Grieche, der jeden Morgen im selben Meer schwimmt, wieder an Land kommt, erzählt er, wie das Wasser heute war im Unterschied zu gestern.“

Und zwar mit einer Begeisterung, die einen umhaut – als wäre er zum ersten Mal im Wasser gewesen.

Ist das die Lebensintensität, die uns fehlt?

Ganz eindeutig ja. Das haben wir verlernt, das haben wir auch nie richtig gekonnt. Ich glaube, das hat was mit Romantik zu tun. Die Griechen sind sehr romantisch. Ich bin auch, glaube ich, sehr romantisch veranlagt. Die Romantik hat zwar ihren Ursprung in Deutschland, doch die Deutschen sind überhaupt nicht romantisch, sie sind eher verklemmt. Obwohl die deutsche Sprache wunderschön ist. Ich merke das erst jetzt so richtig, wo ich wieder Französisch und Englisch sprechen muss. Lass dir mal das Wort „verrückt“ auf der Zunge zergehen! Ist es nicht toll, dass man Wahrheiten und Realitäten verrückt?

Es ist bildhafter als „crazy“.

„Crazy“, „mad“ – das sind einfach nur Wörter. Das Wort „Schauspieler“ ist auch bildhafter als „actor“. Die Romantik hat diese reiche Sprache, diese tiefe, präzise Sprache entwickelt. Damit bin ich groß geworden, das fehlt mir in anderen Ländern. Deshalb freue ich mich über jedes gute deutsche Drehbuch, eben weil es eine so tolle Sprache ist.

So viele gute deutsche Drehbücher scheinst du also nicht zu bekommen?

„Das Wochenende“ ist der letzte Kinofilm, den ich in Deutschland gemacht habe. Das ist drei Jahre her. Und gerade habe ich Alfred Nobel fürs Fernsehen gespielt.

Woran mag das liegen? Sind deutsche Drehbuchautoren weniger inspiriert als französische oder englische?

Das muss ich jetzt fast finanzpolitisch beantworten: Drehbuchentwicklung bedeutet Risikokapital. Die Finanzierungsphase ist die komplizierteste und teuerste Phase einer Produktion, weil man nicht weiß, wo es hingeht, und keiner bereit ist, richtig loszulegen. Das ist der Grund, warum ich jetzt gerade Romanoptionen kaufe und aus den Romanen Drehbücher entwickeln will – in einem geschützten Raum, der weder von Produzenten noch von Fördermitteln bedrängt wird. Ein geschützter Raum, in dem ein Drehbuch wachsen kann, bis es fertig ist. Durch die vielen Menschen, die da mitreden, werden Drehbücher meist schon eingeebnet, bevor sie überhaupt in Produktion gehen.

Könnte es sein, dass ein amerikanischer oder angelsächsischer Autor, einfach weil er aus einer risikoreicheren Gesellschaft kommt, interessantere Bücher schreibt als ein deutscher Autor, der aus einer sehr sicherheitsorientierten Gesellschaft kommt? Dass die amerikanische Gesellschaft größere Amplituden zwischen Gewinnern und Verlieren kennt?

Wenn ich das englische Theater sehe, muss ich dir recht geben. Das ist auch nicht so dick subventioniert wie das deutsche und dadurch viel wacher. Es muss Risiken eingehen, um zu überleben – und wenn man Kunst macht, muss man immer Risiken eingehen. Das ist genau das, was in Deutschland fehlt. Auch aus Angst zu versagen. Deswegen gewinnen wir auch nie einen richtig großen Preis. Es ist dann alles „mifrifi“, wie Hans Noever es einst ausgedrückt hat.

Mifrifi?

Mittelfristig, mifrifi. Da sind keine Amplituden. Die Bücher, die mir wirklich gefallen, kriegen kein Geld. Die muss man alle fast umsonst machen – und da habe ich auch langsam die Faxen dicke.

Zu wenig Anerkennung?

Genau. Man macht gratis mit, hilft, so einen Film zu wuppen, und dann geht keiner ins Kino. Irgendwann hat man dazu keine Lust mehr. Selbst diese kleinen Nischenfilme, die ich früher gern gemacht habe, überlege ich mir mittlerweile fünfhundertmal. Denn das wird nicht anerkannt. Es wird zum Teil noch nicht einmal wahrgenommen. Und das ärgert mich.

Du bist einer der wenigen deutschen Schauspieler, die im Ausland mit großem Erfolg arbeiten. Wie ist dein Blick als Junge, der in Karlsruhe geboren ist, in Schwaben groß geworden ist und dann die Welt erobert hat, auf Deutschland?

Ich bin hier zu Hause. Mit allem, was ich hier mag und auch nicht mag. Meine Wurzeln sind eben hier. Aber dadurch, dass ich so viel rumkomme, lerne ich andere Kulturen, andere Lebensstile, andere politische Systeme kennen. Oft denke ich, ein Mix von alldem, das wäre es … Aber so funktioniert das Leben eben nicht …

Wärst du Schauspieler geworden, wenn dein Vater bei der Familie geblieben wäre?

Jeder von uns hat seine Biografie und muss mit ihr leben. Deshalb bin ich vorsichtig, irgendjemandem Schuld zu geben. Früher habe ich das gern gemacht: Der ist schuld und die ist schuld, und meistens waren es dann die Eltern. Aber ja, ich glaube, dass ich eher kein Schauspieler geworden wäre, wenn ich in einer „intakten“ Familie aufgewachsen wäre. Die Reise wäre vermutlich woandershin gegangen. Und die Reisen, die man im Leben macht, kann man nicht steuern – auch wenn man sich das immer einbildet –, sie sind eben durch die Biografie vorgegeben. Der eine kommt raus, muss raus, und der andere traut sich nicht. Der findet dann andere Ventile …

Hast du je mit dem Gedanken gespielt, einen bürgerlichen Beruf zu ergreifen? Wolltest du nicht mal Musiker werden?

Ich dachte mal an Musiktherapeut. Da hat man noch den Kontakt zur Bürgerlichkeit, das wäre ein Kompromiss gewesen. Als Schauspieler bricht man ja – aus der damaligen Sicht – damit.

Aber Therapeut heißt auch, anderen helfen zu wollen.

Ja, das gefällt mir. Der Schauspielerberuf ist ein sehr egozentrischer Beruf.

Es heißt, es sei einfacher, das Kind von Opfern zu sein als das Kind von Tätern. Unsere Vätergeneration war ja mittelbar oder unmittelbar zumindest noch beeinflusst von einem anderen Deutschland. Spielte das in deinem Leben eine Rolle?

Aus meiner Familie kommen nicht so viele Täter. Das waren streng protestantische Christen – Methodisten.

Sehr schwäbisch.

Ja, das kann man zwar nicht mit den Nazis vergleichen, aber es ist auch ziemlich autoritär und dogmatisch.

Hast du dagegen aufbegehren müssen?

Ja, absolut. Meine Oma hat sich nicht getraut zu sagen, dass ich Schauspieler bin. Das war tabu. Das wollte sie nicht, das ging nicht, das machte man nicht. Das beschreibt für mich die Enge in diesem kleinen Stuttgarter Vorort. Da war es wichtig, dass der Scheitel liegt, die Liebe war abhängig davon, wo der Scheitel liegt. Und wenn der nicht gut liegt, dann keine Liebe. Das habe ich kaum ausgehalten.

Du hast schon verschiedentlich gesagt, dass Freiheit für dich das Wichtigste sei. Aber was ist für dich Freiheit?

Freiheit ist die Möglichkeit, die Zeit und die Ruhe zu haben, in sich reinzuhören und zu erfahren, was richtig für einen ist. In der Lage zu sein, Entscheidungen zu treffen, die nicht auf Karriere oder auf Geld basieren. Die ganz große Freiheit ist, die eigene innere Stimme zu hören, ihr Raum zu geben und sie zu schützen. Wenn man das geschafft hat, ist man frei. Dann kann man Wegen folgen und dann kann das Leben etwas mit einem machen, weil man offener ist, weil man die Möglichkeiten annehmen kann. Auch wenn es dann mal jemandem wehtut und es vielleicht nicht sehr angenehm ist.

Spürst du auch eine Verpflichtung, die Welt ein bisschen besser zu machen?

Na ja, das wollte ich – damals mit dem Theater. Daran habe ich fest geglaubt. Jetzt bin ich langsam alt genug, um das ein bisschen zu relativieren – es sollte dann doch hauptsächlich Spaß machen … Andererseits: „Das Leben der Anderen“ hat ein bisschen die Welt verändert.

Ist Griechenland, wo du arbeitest und gern bist, ein Rückzugsort und ein Gegenentwurf zum Schwarzwald?

Absolut. Da biegen sich die Tische vor Lust! Du läufst in Paros an einer Taufgesellschaft vorbei und – schwups! – bist du mittendrin. Und das macht solchen Spaß, wenn man nicht nur ein paar Tage dahin fährt, sondern ein paar Wochen, ohne fünf Bücher mitzunehmen, dann merkt man plötzlich, dass man Zeit hat. Auch Zeit, dem Autoverleiher drei Stunden lang dabei zuzuhören, wie er seine Lebensgeschichte erzählt.

Dem Autoverleiher?

Ja, so ein Autoverleiher, an dem man vorbeigeht, der „Hallo“ sagt und: „Magst du ein Bier?“ Und da guckt man gleich auf die Uhr und denkt: Ich will ja noch essen und ich will noch dies und das. Aber man hat eben doch Zeit und sagt: „Ja, klar mag ich ein Bier!“ Und plötzlich ist man in dieser Geschichte. Und der Mann erzählt sein ganzes spannendes Leben. Und es war ein wunderschöner Abend.

Ich habe deine Filmografie sorgfältig durchgesehen: Viele Komödien waren es nicht.

(Lacht) Komödie ist schwer. Da ist das passende Drehbuch zumindest in Deutschland noch nicht vorbeigekommen … Ich finde, man muss intelligent lachen, und intelligent lachen heißt, dass hinter jedem großen Witz ein großes Drama steckt. Ich würde das supergern machen. Ich habe eine Komödie in England gedreht, „Albatross“, ein Film mit Julia Ormond, Jessica Brown Findlay, Felicity Jones und viel britischem Humor – sehr komisch. Da steckte kein deutsches Geld drin, die wollten einfach mich als Schauspieler haben – in einer „britischen“ Komödie. Das hat mich sehr gefreut.

Ich habe das Gefühl, dass es einen Steuermann Sebastian Koch gibt, der ist ein kluger Kopf und lenkt den schauspielerischen, romantischen Sebastian Koch durch die Welt. Was wünscht sich denn der Steuermann Sebastian Koch von dem oder für den spielerisch romantischen Schauspieler Sebastian Koch?

Ich habe wahnsinnig Lust, einen Film wie „Albatross“ hier in Deutschland zu machen. Dann müssen aber auch die Leute reingehen. Und was das angeht, habe ich mittlerweile einfach Angst. Es ist so ein Riesenaufwand, einen Kinofilm zu machen. Das sind ja drei, vier Jahre, die dahinterstecken. Und natürlich will man, dass er erfolgreich wird. Es geht nicht um Geld, es geht um die Qualität und den Erfolg, die Anerkennung. Aber wahrscheinlich muss ich es einfach selber machen, mit einem kleinen Budget und ohne dieses Bild vom großen Erfolg im Kopf.

Deutschland ist kein sehr cineastisches Land.

Ja. „Das Wochenende“ zum Beispiel ist ein guter Film, finde ich. Und dann denkt man: 200.000 bis 300.000 müssten sich den doch ansehen. Ein Thema, das jeden, der um die 50 ist, interessieren müsste …

Gehen die Deutschen, weil sie eine relativ reiche Fernsehkultur haben…

Dazu haben wir beide beigetragen…

Vielen Dank… gehen sie deshalb mit der Haltung ins Kino: Ich möchte amüsiert werden wie vor dem Fernseher?

Die Zuschauer haben einfach Schiss, etwas Neues zu erleben. Man kennt das ja ein bisschen von sich selbst. Da ist so ein amerikanisches Unterhaltungsding, von dem man weiß, das flutscht durch, da gehen wir rein und haben einen schönen Abend.

Wie „Stirb langsam“ …

Der Teil, in dem ich mitspiele, nun gerade nicht – aber sagen wir mal: Ja. Das süffelt man so weg, da weiß man, was einen erwartet. Da geht man im Zweifel als gestresster Mensch lieber rein als in so einen kleinen, vermeintlich schwierigen Film, von dem alle sagen, der sei so toll. Ich verstehe, dass man dann lieber in die große Maschine einsteigt. Ich muss aber wirklich eine Lanze brechen für die anderen Maschinen, die kleinen Cessnas, die da noch rumfliegen. Immer wenn man da einsteigt, sagt man hinterher: „Mein Gott, war das toll! Ich bin richtig froh, dass ich das mal wieder gemacht habe.“ Da sind die Franzosen natürlich besser erzogen. Das Land hat eine Kinokultur wie kaum ein anderes.

Deine letzte Theaterproduktion ist eine Weile her. Ist es vorstellbar, dass du dich wieder einem Ensemble anschließt oder zumindest als Gast auf der Bühne stehst?

Das kann durchaus sein. Wer weiß das schon? Ich bin nicht so ein Planer. Aber sich in eine Theatergruppe, eine Art Arbeitsfamilie zurückzuziehen kann sehr schön sein. Wenn ich zum Beispiel Steven Spielberg sehe, der seit 20 Jahren dieselbe Basisgruppe um sich herum hat, das finde ich toll, das liebe ich sehr. Auch die große Sicherheit durch diese Familie, diese Arbeitsfamilie, gefällt mir.

Was macht Spielberg aus? Kann man ihn erklären?

Es gibt Menschen, bei denen ich den Eindruck habe, sie hätten eine Ahnung davon, was die Welt im Innersten zusammenhält – und können das auch mitteilen. Ich weiß das auch ein bisschen, aber ich bin noch nicht so gut im Mitteilen. Das ist sehr selten, glaube ich. Solche Menschen haben so was Friedvolles. Costa-Gavras ist auch einer dieser Menschen. Ein Bild von einem Mann, und das meine ich nicht homoerotisch. Er strahlt einen Zauber aus, der hat etwas mit einer Ruhe zu tun, mit einer Erdverbundenheit, das ist beeindruckend. Es ist toll, wenn man mit solchen Leuten arbeiten kann.

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