Was Stanley Kubrick zum (vielleicht) größten Film-Regisseur machte

Zum 25. Todestag: Gedanken über den ersten und letzten Perfektionisten des Weltkinos.

Stanley Kubrick: Das sind seine 10 besten Filme

10. Die Rechnung ging nicht auf (1956, im Original: The Killing)

Chronologie eines zunächst erfolgreichen und dann ziemlich missratenen Überfalls auf die Kassen einer Pferderennbahn. Prototypisches Heist-Movie mit Bezügen zur Schwarzen Serie. Die Story wird nicht-linear erzählt und aus verschiedenen Standpunkten gezeigt, was später Quentin Tarantino stark beeindruckte.

9. Lolita (1962)

„Wie konnten sie aus „Lolita“ nur einen Film machen?“ Diesen Slogan packten die Verleiher auf das Poster für die Vorstellung der mal rabenschwarzen, mal feinsinnigen Komödie, die vor allem vom faszinierenden Spiel zwischen Mason und Sellers lebt. Natürlich wirkt der Film inzwischen viel zu züchtig für seinen Stoff (Lolita-Darstellerin Sue Lyon erweckt eher den Eindruck, ein draller Teenager zu sein – was der Brisanz der Vorlage zuwiderläuft), aber er demonstriert, dass Kubrick schon mit 34 Jahren ein Meister des subtilen Wort- und Bildwitzes war. Die Neuverfilmung von Adrian Lyne blieb näher an der Vorlage von Nabokov.

8. Eyes Wide Shut (1999)

Als „Eyes Wide Shut“ in die Kinos kam, hatten die Kritiker einiges zu mäkeln. Sie bemängelten die zu steife Erzählhaltung, Theaterhaftigkeit, gähnend langweilige erotische Szenen und wollten gar zwischen dem Ehepaar Cruise/Kidman keinerlei Chemie ausmachen. Hauptkritikpunkt war aber, dass der Stoff vom 19. ins 20. Jahrhundert verlagert wurde und der soziohistorische Kontext einfach nicht stimmig war. Verstecktes Urteil: Kubrick sei nicht mehr up to date. Aber das ist Kubricks Ideologie in „Eyes Wide Shut“: Das ganze Drama zwischen den Geschlechtern bleibt, trotz sich vorwärts oder rückwärts entwickelnder Moralvorstellungen, immer gleich. Es gibt keinen gesellschaftlichen Fortschritt, nur sich ändernde Diskurse übers Sexleben. Und ganz freudianisch schließt der Film mit der Erkenntnis, dass es doch immer nur um das eine geht.

7. Full Metal Jacket (1987)

Ein Kriegsalbtraum in zwei Teilen: Erst wird den Rekruten die Seele aus dem Leib geschrien und geprügelt. Dann warten Langeweile und Stumpfsinn im Krisengebiet. Natürlich ein dunkler Kontinent und ein fabrikhaftes Seelenabbild der geschundenen Protagonisten. Mit großem Aufwand holte Kubrick den Vietnamkrieg nach England (der Regisseur wollte die Insel aus Flugangst nach einem Flugzeugabsturz nicht mehr verlassen). Die ersten und die letzten 20 Minuten sind reiner Wahnwitz, der Rest ist da fast schon egal.

6. Shining (1980)

„Shining“ ist nicht nur ein Horrorfilm – es ist auch ein Film über den Horrorfilm. Eine mit allen akustischen und visuellen Mitteln des Kinos beschleunigte Symphonie des Grauens mit dermaßen plakativer Symbolik, dass allein daraus ein gewisser Schrecken entsteht. Die wunderbare Mockumentary „Room 237“  beschäftigt sich nicht nur (ironisch) mit den zahlreichen Fan-Theorien zum Film, sondern beweist auch nebenher, wie viele Zeichen und Referenzen auf den Zuschauer einschießen, ohne dass er es bemerkt oder gar bemerken kann.

Das Steadycam-Verfahren, das es ermöglichte mit der Kamera durch die Flure des Hotels zu schweben, gibt dem Film einen beunruhigenden Fluss. Stephen King fühlte sich natürlich veräppelt. Doch Kubrick war der Hintergrund der Romanfiguren egal. Er konzipierte sie als Archetypen. Und die Zuschauer sollten darüber schaudern, dass der ganze Urschleim des psychoanalytischen Vater-Mutter-Kind-Theaters nicht ausgerottet werden kann. Es läuft eine Dauerschleife.

5. Barry Lyndon (1975)

Der vermutlich schönste Film aller Zeiten, mit atemberaubendem Aufwand verfilmt. Kubrick tröstete sich damit wohl über sein gescheitertes Napoleon-Projekt hinweg. Natürlich staunen die Cineasten über die Aufnahmen mit Kerzenlicht und Szenen, die Gemälde der Malerei imitieren und wie tableaux vivants daherkommen. Andere Zuschauer, die sich zufällig in das Historiendrama verirrten (vielleicht wegen der schönen Musik von Händel, Schubert, Mozart und Bach), fühlten sich von Langeweile gequält.

Aber die Langeweile ist hier das Ereignis: „Barry Lyndon“ erzählt von einer Zeit ohne ein Gefühl von Zeit, und vor allem von Figuren, die von ihrem Schicksal partout nichts verstehen und ihm auf Gedeih und Verderb ausgesetzt sind.

4. Wege zum Ruhm (1957)

Das erste Meisterwerk von Stanley Kubrick. Ein humanistisches Drama und eine bittere Parabel auf destruktive Herrschaftsstrukturen. Ein Film, der fast ausschließlich in Schützengräben und Verhandlungszimmern stattfindet. Kirk Douglas spielt einen Colonel mit Gewissen. Zum Schluss singt ein junges deutsches Mädchen für die Soldaten und rührt sie zu Tränen. Nicht anders erging es Kubrick. Die junge Sängerin namens Christiane Harlan nahm er nach den Dreharbeiten zur Frau.

Neben zahlreichen filmischen Verfahren, die Kubrick hier zum ersten Mal zaghaft ausprobierte und in späteren Filmen wiederholte, fasziniert auch das deutliche Bekenntnis gegen die Todesstrafe. Ende der 50er-Jahre im Kino eine Seltenheit. Immer wieder wurde „Wege zum Ruhm“ als Glanzstück des Antikriegsfilms gelobt. Kubrick sah es anders: Seiner Meinung nach ist es nicht möglich, mit den Kinobildern gegen die Kriegsbilder anzukämpfen. Vielmehr gieren die Soldaten nach allem, was das Kino über den ewigen Kreislauf der Gewalt zu erzählen bereit ist, um es dann nachzuspielen.

3. Uhrwerk Orange (1971)

„2001 – Odyssee im Weltraum“ endet mit dem Blick des unschuldigen Sternenkindes auf die Welt. „Uhrwerk Orange“, der sinnige Nachfolger und auch ein ernstzunehmendes Spiegelbild der in dem Film ausgelegten Motive, beginnt mit dem Blick eines  schuldigen Gewalttäters, der aus Spaß an der Freude und zu den Klängen von Beethovens „Ode an die Freude“ vergewaltigt und mordet, in die Welt. Mit drastischen Bildern – aber auch begleitet von einem ungeheuer ausgeklügelten musikalischen Erzähl- und Visualisierungsrhythmus – adaptierte Kubrick den Kultroman von Anthony Burgess.

„A Clockwork Orange“ hat ein ausgefeiltes, geniales Musikkonzept, das „2001“ in nichts nachsteht
„A Clockwork Orange“ hat ein ausgefeiltes, geniales Musikkonzept, das „2001“ in nichts nachsteht

In seiner Wahlheimat wüteten nach der Premiere gewalttätige Rabauken durch die Stadt und verkleideten sich wie die Droogs im Film. Schweren Herzens und ohne dazu aufgefordert worden zu sein, sorgte Kubrick dafür, dass der Film in England nicht mehr gezeigt werden durfte. Kein anderer Regisseur hätte sich das erlauben können.

2. Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben (1964)

Wie wäre die Karriere von Stanley Kubrick wohl verlaufen, wenn er aus „Dr. Strangelove“ wie beabsichtigt einen sturen Katastrophenfilm gemacht hätte? Die Romanvorlage „Bei Rot: Alarm! Der Roman des Drucktastenkriegs“ von Peter George hätte genau das hergegeben. Doch Kubrick entschied sich um, weil er viel lieber die Idiotie der Macht entlarven wollte. und auch, weil er unbedingt mit dem von ihm verehrten Peter Sellers noch einmal zusammenarbeiten musste. Dem Schauspieler verpasste er gleich mehrere Rollen (neben dem Ex-Nazi „Dr. Seltsam“ auch Captain Mandrake und US-Präsident Muffley) und ließ ihn größtenteils improvisieren.

Am Set von „Dr. Strangelove“: Diese Szene wurde im Film nicht verwendet
Am Set von „Dr. Strangelove“: Diese Szene wurde im Film nicht verwendet

Die Szenen im War Room, vom großartigen späteren Bond-Film-Architekten Ken Adam gestaltet, überbieten sich an urkomischen Dialogen („Hello? Uh, hello? Hello, Dmitri? Listen, I can’t hear too well, do you suppose you could turn the music down just a little?“) und sprudelnden Pointen. Nur die bereits abgedrehte finale Essenschlacht schnitt Kubrick vorsichtshalber noch einmal heraus. Eine Satire braucht Wahn – aber auch Timing und Würde. „Dr. Seltsam oder Gebrauchsanweisung für Anfänger in der sorgenfreien Liebe zu Atomwaffen“, wie der Film in Österreich heißt, wäre Kubricks größter Wurf gewesen. Wenn der Regisseur danach nicht den Weltraum erobert hätte.

1. 2001 – Odyssee im Weltraum (1968)

Es gibt nur eine oder vielleicht zwei Handvoll Filme, die wären es wert, dass man sie in eine Kapsel verpackt und ins All schickt, um einer außerirdischen Intelligenz zu zeigen, was die Menschheit mit dem Kino hervorzubringen in der Lage ist. „Vertigo“ von Alfred Hitchcock wäre ein Kandidat. Natürlich auch „Citizen Kane“ von Orson Welles. Aber eben auch Stanley Kubricks Weltraumoper. Der Regisseur  hat sich stets darüber lustig gemacht, dass der Experimentalfilm kaum in der Lage ist, der großen Leinwand etwas Andächtiges zu übergeben. Mit „2001 – Odyssee im Weltraum“ setzte er selbst den größten Experimentalfilm in die Welt.

„2001 - Odyssee im Weltraum“ ist ein Erlebnis vor allem im Kino - hier bei einer Aufführung mit begleitender Filmmusik
„2001 – Odyssee im Weltraum“ ist ein Erlebnis vor allem im Kino – hier bei einer Aufführung mit begleitender Filmmusik

Eine Reise von den Urgründen der Menschheit bis zur Dimension danach. Dialoge? Gibt es kaum. Oder sie sind belanglos. Die Story? Im Grunde ein biblischer Stoff, simpel erzählt, von atemberaubenden Bildern und Klängen in Bewegung versetzt. Natürlich ist der HAL-9000-Computer der größte und allwissendste Bösewicht, der sich denken lässt. Eine Maschine, die nur Auge ist. Bei Kubrick sind Blicke eben alles. Nach HALs melancholischem Tod beginnt die Reise in eine andere Welt, die neben dem berühmten Knochenwurf mit anschließendem Cut auf die im Walzer sich windenden Raumschiffe zu den meist zitierten Szenen in der Historie des Kinos zählen. „2001 – Odyssee im Weltraum“ muss man auf der großen Leinwand sehen. Mehrmals.

Der Autor kann sich noch gut daran erinnern, wie er mit staunenden Augen seinen ersten Kubrick gesehen hat („Uhrwerk Orange“). Eigentlich war er noch nicht alt genug dafür. Seitdem ist alles anders. Folgen Sie dem Verfasser dieser Zeilen, wenn Sie mögen, auf Twitter und auf seinem Blog („Melancholy Symphony“).

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