ROLLING-STONE-Guide: Die Alben der Talking Heads im Check

Das fast makellose Gesamtwerk der Talking Heads in der ROLLING-STONE-Diskographie.

Eine amateurhafte Aufnahme des frühen „I Feel It In My Heart“ (1976) zeigt die allerliebste Tina Weymouth mit gescheitelter Kurzfrisur an ihrer großen Bassgitarre, die sie ja bediente wie kein anderer Mensch – sie gab stets das Muster für das Bassgitarrespielen überhaupt. Der nervöse David Byrne singt dieses zarte, verzweifelte Lied über jemanden, der gern Freude an seiner Arbeit hätte und der Familie ein Sonnenschein wäre. Er müsste es halt nur noch entschiedener versuchen, glaubt er.

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Damit war der Ton vorgegeben, der die Studien in Soziopathie auf „77“ (★★★★★) bestimmt. Zum trockenen Groove besingt Byrne die Nöte und Wonnen von emotional tauben Existenzen: „No Compassion“, „Tentative Decisions“, „Don’t Worry About The Government“.

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Auf „More Songs About Buildings And Food“ (1978, ★★★★★), der ersten Co-Produktion mit Brian Eno, variierte Byrne in sardonischen Liedern wie „Found A Job“ und „I’m Not In Love“, erweiterte den Horizont aber mit der Cover-Version von „Take Me To The River“ und dem epischen Stück, mit dem die Amerika-Forschung der Talking Heads begann und das jene Satelliten-Topographie der Vereinigten Staaten auf dem Rück-Cover erklärt: „The Big Country“.

„Fear Of Music“ (★★★★1/2) ist nicht so kohärent wie die früheren Platten: Mit „I Zimbra“ wird der afrikanische Beat gesetzt, das bizarre „Life During Wartime“ verschärft den Funk. „Cities“ ist einer von Byrnes prägnantesten und lakonischsten Songs, „Heaven“ wäre fast romantisch, hätte das Stück nicht einen Zug ins Nihilistische. Fabelhaft sind die auf der CD/DVD-Fassung Beigefügten Ausschnitte aus dem Auftritt bei „Rock/Pop in Concert“ im deutschen Fernsehen, 1980, wo die Heads in größerer Besetzung „Cities“ und „I Zimbra“ darboten.

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„Remain In Light“ (1980, ★★★★★), das radioaktive Rhythmus-Monster, hatte „Crosseyed And Painless“ und „Once In A Lifetime“ . Die Texte von Byrne und Eno sind zum Stammeln degeneriert, zu Formeln, panischen Anfällen: „Facts lost facts are never what they seem to be/ Nothing there! No information left of any kind/ Lifting my head – looking for danger signs.“ Alles kulminiert in dem tautologischen Singsang „I’m still waiting“. Am Ende stehen das unwirklich schöne, stille „Listening Wind“ und das unheimlich dräuende, fast bewegungslose „The Overload“. Eine Platte, von der sich die 80er Jahre nicht mehr erholten.

„Speaking In Tongues“ (1983, ★★★★1/2), ohne Eno aufgenommen, markiert den Übergang zur Popularität der Band. Es war wundersam, wie die ehemaligen Kunststudenten mit ihrer hermetischen Musik plötzlich zu Lieblingen in den Discotheken avancierten. Das wummernde, parolenhafte „Burning Down The House“, der zickige Funk von „Slippery People“ und „Girlfriend Is Better“, die Eingängigkeit von „Pull Up The Roots“ und „This Must Be The Place“ bereiteten den Weg zu „Stop Making Sense“.

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„Little Creatures““ von 1985 (★★★★1/2) galt als kecke Hinwendung zum Pop, ja zum „Mainstream“, spiegelt jedoch bloß Byrnes Interesse am amerikanischen Süden. Mehr noch „True Stories“ (★★★★1/2), Songs aus Byrnes Film, glühende Balladen, Orgel-Tanztee, Gospel-Gottesdienst, Country & Western und ländlicher Schwof. Es ist Byrnes „Cood Old Boys“.

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„Naked“ (1988, ★★★★1/2) schließlich ist ein Abgesang auf die Zivilisation, fulminant und berauschend mit Bläsern, Percussion, mit afrikanischen Idiomen, Rai und Salsa einerseits. Andererseits ein depressives letztes Brummen: „The Facts Of Life“, „The Democratic Circus“, „Cool Water“. Das Ende war eine bacchantische Feier, und es war ein Totentanz.

Als David Byrne noch einmal begann, mit „Rei Momo“, tanzte er den Mambo in Südamerika. Der Psychopath von nebenan war ein Launebär geworden.

Michael Putland Getty Images

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