Von Karrierewegen und Schreibprozessen: Das Damen-Duo Boy ist mit neuem Album zurück

Vor vier Jahren lieferten sie den schönsten Sommerhit und verschwanden. Nun ist das Frauenduo mit dem Jungsnamen endlich zurück. Hat sich das Warten gelohnt?

Ende 2013 war auch ihre zweite Amerikatournee zu Ende gegangen. „Wieder zu Hause hatten wir uns vorgenommen, erst mal überhaupt keine Musik mehr zu machen“, erzählt Glass. „Erst nach ein paar Wochen konnten wir wieder mit dem Schreiben anfangen. Das bedeutet bei uns: sich komplett absetzen und ganz bewusst aus der Öffentlichkeit verschwinden. Dabei war es absolut richtig, dass wir uns so viel Zeit genommen haben.“

Dank ihrer ausgedehnten Songbastelei haben Boy das Glück, dass sich um sie herum eine Art geschäftliches Dream-Team gebildet hat: angefangen bei ihrem Manager, Arne Ghosh vom 380-Grad-Management-Team, über Musikverleger-Urgestein Walter Holzbauer von Wintrup bis hin zu Herbert Grönemeyers Indie-Label Grönland, mit dem im Mai 2011 ein langfristiger Vertrag unterschrieben wurde. Im Ausland konnten dazu jeweils unabhängige Lizenzpartner gefunden werden, etwa Decca in Großbritannien und Nettwerk in den USA, die eine entsprechend engagierte Betreuung gewährleisten. So blieb ein naheliegender Schritt nach dem überraschenden kommerziellen Erfolg aus: Es gab keinen mit einem ordentlichen Scheck versüßten Wechsel zur Plattenindustrie. „Auf gar keinen Fall wollten wir zu einem Major­label rübermachen“, sagt Glass. „Das gute Verhältnis, das sich da entwickelt hat, finden wir wohl nirgendwo anders.“

Kurioserweise halfen auch die zwei Nationalitäten der Boy-Frauen beim Kickstart in die Karriere. Die halbstaatlichen Kulturförderungsbüros sahen sich gegenseitig für die Band zuständig. Mal deutsch, mal schweizerisch – wie es gerade passt. „Wir verstehen uns als internationale Band“, sagt Glass. Und Steiner ist milde amüsiert: „Durch unsere 50/50-Besetzung ist es doch völlig in Ordnung, wenn beide Länder uns fördern wollen.“

Nach Förder-Pop klingen Boy glücklicherweise nicht. Valeska Steiner beschäftigt sich seit ihrer Jugend mit US-Songwriterinnen, sie schätzt Suzanne Vega und Shawn Colvin. Von ihnen lernte sie, kleine persönliche Geschichten zu Songs zu verarbeiten, die stets eine gewisse Dis­tanz zum Erzählten wahren. „Als ich mit 15 oder 16 anfing, mich intensiver mit Musik zu beschäftigen, ging der Blick wie automatisch nach Amerika“, erzählt sie. „Ich habe auch schon immer englisch gesungen. Mir war klar: Das ist die Sprache, in der ich mich am wohlsten fühle, ich habe sie von klein auf im Ohr.“

Ihre Songs spielen allerdings im deutschen Hier und Jetzt. „Waitress“ handelt von Valeskas Zeit als Kellnerin in Hamburg-Ottensen. Ihr „Boris“ ist ein klassischer Aufreißertyp mit fiesen Machosprüchen, dem im gleichnamigen, fast bluesigen Track Stadtverbot erteilt wird. „Ich habe einen Notizblock. Manchmal sieht man ja Sachen oder erlebt
etwas, von dem man denkt, das könnte in einen Song rein. Anderer­seits“, sagt sie, „muss man sich die richtig guten Ideen nicht aufschreiben. Die halten sich eh eine Weile im Kopf.“ Etwa das wirbelnde „Silver Streets“ oder, noch besser, die Uptempo-Nummer „Oh Boy“, schwungvoll eingetrommelt von Phoenix-Drummer Thomas Hedlund (der auch auf „We Were Here“ wieder dabei ist). Im Video staksen sie dazu in eckiger Bauhaus-Tanz-Manier durch eine Kaktuslandschaft. „The choreography is either genius or disastrous …“, kommentiert ein YouTube-User.

„Wir sind definitiv keine Band, die abends auf Tour im Hotelzimmer noch jammt“, beschreibt Sonja Glass die Arbeitsweise von Boy. „Wir haben in den vergangenen Jahren eine ganze Menge Inspiration aufgesogen, meist unbewusst. Doch das wurde dann erst viel später zu Songs verdichtet.“ Im Grünen Salon der Berliner Volksbühne spielen Boy ihren halboffiziellen Premieren-Gig zum neuen Album in Triobesetzung. Akustisch, zerbrechlich, bestuhlt. Viel Glamour brauchen sie erwartungsgemäß nicht – ein rauschendes Szene- oder Hipstertreffen sieht anders aus. Einige Freunde sind da, die örtlichen Presseleute, ihre Korona aus Management, Plattenfirma, Musikverlag, Tourbookern. Eher Jeanshemd als Champagner. Auf der kleinen Bühne herrscht ein Hauch Nervosität. Und klar: Im abgespeckten Clubformat wirken die neuen Stücke eher unspektakulär.

Doch die Vorabsingle, „We Were Here“, schallt in diesem Sommer aus allen Cafés und Cabrios und verströmt melancholisches Fernweh. „And when the city sleeps/ It dreams of us“, singt Valeska, dann setzt eine kühle Gitarre ein, die ein bisschen an The xx erinnert, marschierende Drums, ein schöner Chorus, jubilierende Keyboard-Fanfaren, sanft schraubt sich der Song gen Himmel. Der präzise arrangierte Track mit seinen collagenartig montierten Erinnerungs­sequenzen einmal rund um den Globus bleibt hängen.

Boy haben ihre Studiozeit mit Produzent Philipp Steinke genutzt, um mächtig an den Arrangements zu feilen. Eine Langzeitkür der gehaltvollen Leichtigkeit, wie man sie früher nur von der amerikanischen West-Coast kannte. Der Juno-106 der Firma Roland, den Glass sich zum Komponieren zugelegt hat, beschert auf Platte einige zarte Synthieflächen: Die Social-Media-Meditation „Hit My Heart“ mit ihrem hübsch gedehnten „Peeer-to-Peeer“-Chorus hat noch am ehesten das Zeug, die Gute-Laune-Nachfolge von „Little Numbers“ anzutreten. Beim zweistimmigen „Flames“, das sie in Berlin zum ersten Mal live spielen, klingen sie wiederum so zerbrechlich wie die frühen Carpenters. Als sie dann nach herzlichem Applaus zur Zugabe anheben, gibt es wieder ein rockfreies „Lonely Boy“.

„Wir versuchen uns von einem normalen Karriereweg freizumachen“, sagt Sonja Glass. „Es heißt ja, es brauche alle zwei Jahre ein Album, um dranzubleiben. Wir haben uns jetzt doppelt so viel Zeit genommen. Für uns ist es wichtig, dass wir unser eigenes Tempo gehen.“ Jetzt geht es erst mal weiter: Ihre Tour im September ist bereits so gut wie ausverkauft.

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