Amerikas böse Grenze

In der Wüste zwischen Arizona und Mexiko regiert das Faustrecht der Gewalt. Waffennarren und DespeRados jagen auf eigene Rechnung Flüchtlinge aus dem Süden. Die behörden schauen zu. EIne Reportage vom rande der Zivilisation

Alle Wagenfenster sind weit aufgerissen – und Piggy singt aus vollem Hals. Nailer, Orlog, Jester und Icon befinden sich vor uns und donnern in einem klapprigen Pick-up-Truck über die Straße zur mexikanischen Grenze. Auf der Stoßstange klebt eine seitenverkehrte US-Flagge – populär bei denen, die ihren Unmut über den Zustand des Landes auch optisch ausdrücken wollen. Wir sind auf der Jagd nach illegalen Mexikanern.

Nailer, 53, ist der Kopf der Gruppe. Endlose Stunden in Arizonas Wüste haben ihm jedes Gramm Fett aus dem Körper gebrannt und seiner Haut die Farbe eines gut eingerittenen Sattels gegeben. Auf seinem Rücken trägt er ein aufwendiges Tattoo, das Don Quichotte beim Kampf gegen eine Bande aufdringlicher Skelette zeigt. Alle Männer tragen Camouflage und kugelsichere Westen und sind mit Handfeuerwaffen, Mobilfunk, Munition und AR-15-Maschinengewehren bestens ausgerüstet. Nur der 39-jährige Piggy, überzeugter Freidenker mit hüftlangem Haar und einem eheähnlichen Verhältnis zu zwei Frauen, bevorzugt statt der AR-15 eine exotische „Fabrique Nationale“ aus Belgien.

„Man kann den Mexikanern nicht mal einen Vorwurf machen“, ruft er mir nach hinten zu. Er steuert einen Jeep und muss aufs Gas drücken, um den Kontakt zu Nailers Pick-up nicht abreißen zu lassen. „Man braucht schon dicke Eier, um zu Fuß diese Wüste durchqueren zu wollen. Ich sag dann immer scherzhaft: Man sollte sie deportieren, ihnen aber ein Maschinengewehr und 300 Patronen in die Hand drücken. Und ihnen sagen:, Wir verstehen ja, warum ihr über die Grenze wollt. Mexiko ist scheiße. Ich würd’s an deiner Stelle genauso machen. Aber hier ist ein Gewehr, hier ist Munition – sieh zu, dass du dein Problem selbst geregelt kriegst.'“

Das Funkgerät beginnt zu knistern. Junkyard, ein etwas tattriger Vietnam-Veteran, sitzt auf dem Beifahrersitz und bringt sein Gewehr auf dem Fensterrahmen in Anschlag. (Wie alle Männer benutzt er ausschließlich seinen CB-Funk-Namen, wenn er auf Patrouille ist.) Wraith, im Hauptberuf Automechaniker, sitzt neben mir auf dem Rücksitz und sucht mit seinen Augen die Umgebung ab. Ein paar Kilometer weiter nach rechts beginnt Mexiko, links die riesige Sonora-Wüste. Wir durchqueren gerade das Altar Valley – einen 52 Meilen langen Korridor, der „Amnesty Trail“ oder „Cocaine Valley“ genannt wird, weil dies die Hauptroute für Drogen und illegale Einwanderer ist.

Im Lauf der letzten Jahre haben sich mindestens ein Dutzend Gruppen gebildet, die die Überwachung der mexikanischen Grenze selbst in die Hand nehmen. Einige von ihnen sind finanziell gut ausgestattet und straff organisiert – ideale Sammelbecken für gefährliche Außenseiter. Eine Gruppe namens Project Bluelight wird von einem ehemaligen Söldner geleitet, der zur Zeit des „Iran-Contra“-Skandals die Rebellen in Nicaragua ausbildete. Eine Gang namens U.S. Border Guard wurde von dem Ex-Marine und Neonazi J. T. Ready geführt, der im Mai 2011 seine Freundin, deren Tochter samt Freund und Baby erschoss, bevor er sich selbst hinrichtete. Einige der selbst ernannten Grenzschützer sind über Drogenschmuggel und illegale Einwanderung ehrlich empört, andere suchen schlicht das Abenteuer in der Wüste. Wütende weiße Amerikaner finden in Arizona jedenfalls den willkommenen Spielplatz, um ihren Frustrationen freien Lauf zu lassen.

Schon in früheren Jahren war Arizona die Heimat von Milizen wie den Minutemen, einer losen Vereinigung von Anti-Einwanderungs-Aktivisten, die vor allem zu Zeiten von George W. Bush Schlagzeilen machten. Doch während die Minutemen eigentlich nichts anderes taten, als auf Gartenstühlen an der Grenze zu hocken und mit Feldstechern auf die andere Seite zu spähen, ähneln die Organisationen von Nailer und Ready eher paramilitärischen Verbänden. Sie sind schwer bewaffnet, stürmen Häuser, planen nächtliche Operationen, kontrollieren mit ihren Konvois die Straßen am Rand der Wüste, legen sich an den Schmuggler-Routen auf die Lauer, um Mexikaner einzukassieren – und laden dann Videos bei YouTube hoch, in denen sie sich mit ihrer Beute präsentieren. „Wir erledigen die Sachen, die die Bundespolizei nicht anpackt“, sagt Ian Houston, ein ehemaliger Marine, der immer wieder gerne von Kämpfen mit bewaffneten Drogenbanden erzählt. „Und das bedeutet, dass wir diese Landstriche mit militärischer Gewalt absichern.“

In gewisser Hinsicht scheinen diese Gruppen die Arbeit der offiziellen Grenzpolizei zu unterstützen. Die zuständige Polizeibehörde hat sich zwar von den Milizen distanziert, doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Die Bürgerwehren tauschen Informationen mit der Grenzpolizei aus und informieren sie über eigene Operationen. Nailer behauptet sogar, direkten Zugang zu den geheimdienstlichen Informationen der Behörde zu haben. In einem Fall, den ich mit eigenen Augen verfolgen konnte, arbeiteten Grenzpolizei und Bürgerwehr jedenfalls Hand in Hand zusammen, um eine Schar illegaler Immigranten dingfest zu machen.

„Wir haben ein Objekt“, ruft Piggy und zeigt zu einem mit Sträuchern bewachsenen Hügel gen Norden. Das sind die Momente, für die diese Männer leben. Die Jagd auf Immigranten ist nun mal spannender als der Job an der Berufsschule, die Piggys regulärer Arbeitsplatz ist.

„Das ist ein BP“, sagt Wraith – und meint damit die Border Patrol.

„Nein“, sagt Piggy, „er hat einen Wasserschlauch.“

Vor uns hat Nailers Pick-up inmitten einer riesigen Staubwolke angehalten. Nailer und Jester, ein stämmiger Kranführer, springen mit ihren Waffen heraus und laufen über die Straße. Orlog, der als Telefonist für eine karitative Stiftung arbeitet, folgt ihnen auf den Fersen. Ein dunkel gekleideter Mann steht einige Hundert Meter entfernt unter ein paar Bäumen. „Die Vorhut für einen Drogentransport“, ruft Nailer – auch wenn viele Migranten, die mit Schmuggel nichts am Hut haben, dunkle Kleider bevorzugen, weil man in ihnen nachts problemloser über die Grenze kommt.

Der Mann vom Hügel kommt zögernd auf uns zu. Nailer läuft erst nach links, dann durch ein trockenes Flussbett wieder nach rechts, um einen möglichen Fluchtweg abzuschneiden. Für einen peinlichen Augenblick stehen sich die beiden Männer wortlos gegenüber.

„Hände hoch“, sagt Nailer schließlich. Der Mann tut, wie ihm befohlen. Nailer tastet ihn ab und holt einen Ausweis aus seiner Tasche.

Der Mann heißt Fermin und ist 43 Jahre alt. Er trägt eine schwarze Jogginghose, ein schwarzes T-Shirt und hat einen fast leeren Wasserschlauch in der Hand. Er ist sichtlich am Schwitzen und offenbar am Ende seiner Kräfte.

„Du hast … compañeros?“, fragt Nailer.

„Tres días“, antwortet Fermin.

„Tres más?“, fragt Nailer.

„No, tres días“, sagt Fermin und versucht radebrechend zu erklären, dass er drei Tage in der Wüste war.

„Tres días“, sagt Nailer zu Orlog. „Es gibt noch 30 weitere Leute.“

Nailer dirigiert Fermin zur Straße, wo die anderen warten. „Niemand fuchtelt ihm mit der Knarre im Gesicht rum“, ordnet er an. Er gibt Fermin eine Flasche Wasser und deutet auf die Ladefläche des Pick-up. Fermin, der auf dem Weg zu seinem Bruder in Los Angeles war, klettert hinauf, lässt sich nieder und trinkt gierig das Wasser. Jedes Jahr sterben Hunderte von illegalen Einwanderern in dieser Wüste. Nailer behauptet deshalb, den Mann „gerettet“ zu haben. „Er kann hinten auf dem Truck sitzen und frische Luft schnappen“, sagt er. „Er ist auch in keiner Weise inhaftiert. Wenn er will, kann er jederzeit vom Wagen herunterspringen.“ Es ist eine zynische und etwas verquere Logik der Selbstjustiz, die schlicht die kritische Frage umschifft, ob Nailers Gruppe sich einfach der Freiheitsberaubung schuldig macht – oder aber die Menschenrechte verletzt.

Eine Stunde später parken wir neben drei weißen Trucks, die mit den grünen Streifen der Border Patrol gekennzeichnet sind. Nailer will Fermin den Grenz-Polizisten übergeben. Ein Beamter mit schusssicherer Weste kommt zu unserem Wagen und fragt barsch: „Was liegt an?“

„Wir wollen einen sicario überstellen“, antwortet Nailer und benutzt das spanische Wort für Auftragskiller.

Der Polizist schaut Fermin von oben bis unten an. „Was ist los?“, fragt er ihn auf Spanisch. „Bist du bereit?“

„Ja“, sagt Fermin. Die Grenz-Beamten schieben ihn in einen Metallcontainer auf ihrem Truck.

„Armer Kerl“, sagt Wraith, als wir wenden und auf der Straße zurückzufahren.

„Wenigstens ist er nicht tot“, meint Piggy lakonisch. „Zumindest können wir sagen, dass wir an diesem Wochenende ein Menschenleben gerettet haben.“

Nailer zog es zur Grenze, nachdem er im Finanzcrash von 2008 Job und Haus verloren hatte. Er war auf Großbaustellen im Raum Phoenix tätig, doch als der Immobilienmarkt implodierte, gab es kaum noch Arbeit. Er konnte seine Hypothek nicht mehr zahlen, und wenig später pfändete die Bank sein Haus. Als nette Abschiedsgeste schüttete er Zement ins Abflussrohr seines Pools.

Nach ergebnisloser Jobsuche kehrte der verbitterte Kranführer 2010 in seine Heimat Arizona zurück und schwor, etwas gegen die Einwanderer zu unternehmen, die er für seine Arbeitslosigkeit verantwortlich macht. Tagsüber streunte er herum, nachts schlief er in seinem Truck. Er ist ein Freund wild wuchernder Verschwörungstheorien: Die Präsidentschaftswahlen seien getürkt, die FEMA (Federal Emergency Management Agency) habe heimlich im ganzen Land Konzentrationslager gebaut – und Obama sei nichts anderes als ein „schwulstlippiger Lügner“ aus einem fremden Land. An den amerikanischen Traum könne man nur noch glauben, wenn man sich im Tiefschlaf befinde.

Nailer bezog eine Lehmhütte in der Nähe der Grenze und brachte sie auf Vordermann. Er investierte in einen Kühlschrank, einen Internetanschluss und eine Metallstange für seine Klimmzüge. Er studierte bereits vorhandene Anti-Einwanderungs-Websites, lud Videos auf YouTube hoch und eröffnete eine Facebook-Seite namens „Arizona Border Recon“. Sein Name machte die Runde, seine Lehmhütte wurde zum Hauptquartier für einschlägige Operationen. Nailer behauptet, dass seine Gruppe seit 2010 rund 500 Immigranten und Schmuggler abgefangen habe. Grenzbeamte, deren Namen er nicht nennen will, würden ihm ein Kopfgeld für jeden überstellten Gefangenen zahlen – zusätzlich zu einer monatlichen Pauschale für sachdienliche Hinweise. So ungewöhnlich die Umstände auch sein mögen: Nailer hat sich hier an der Grenze eine neue Existenz aufgebaut. Und er hat große Pläne. Er möchte eine Organisation auf die Beine stellen, die ganzjährig und rund um die Uhr Jagd auf Immigranten macht. „Wenn ich hier so was wie die Fremdenlegion etablieren könnte, würden wir den ganzen Sumpf im Nu trockenlegen.“

Längst geht es nicht mehr nur um illegale Einwanderer, die Amerikanern den Job wegnehmen. Für Männer wie Nailer ist Mexiko ein marodes Drogen-Mekka, dessen Gewaltpotenzial nicht nur die Grenze, sondern die Stabilität der gesamten USA bedroht. „Wir befinden uns im Krieg“, sagt einer der selbst ernannten Grenzjäger, „aber die wenigsten haben das mitbekommen.“ Die Regierung in Washington, fügt er an, spiele das wahre Ausmaß der Gewalt an der Grenze herunter. (Dass Obamas Regierung die Zahl der Grenzpolizisten erhöht hat und mehr Deportationen durchführen lässt als jeder Präsident vor ihm, wird dabei gerne ignoriert.)

Natürlich hat Amerikas unstillbarer Appetit auf Drogen die Situation an Arizonas Grenze dramatisch verschärft. Die Zahl der illegalen Einwanderer ist zwar zurückgegangen – ausgelöst durch die intensiveren Grenzkontrollen, aber auch durch die wirtschaftliche Malaise, in der sich die USA seit 2008 befinden. Den Bergen von Marihuana, die weiterhin nach Arizona geschmuggelt werden, hat dies allerdings keinen Abbruch getan. Und doch ist es ein potenzielles Pulverfass, die Grenzkontrolle in die Hände von privaten Milizen zu legen. Gefechte zwischen Bürgerwehren und Drogendealern könnten eskalieren und zu ernsthaften Konflikten zwischen den USA und Mexiko führen. Harmlose Immigranten könnten – unbeabsichtigt oder nicht – Opfer von rücksichtslosen Milizen werden. Im April 2011 etwa erschossen schwerbewaffnete Männer zwei Migranten in der Nähe von Tucson. Es war bereits der dritte derartige Vorfall seit 2007.

Nachdem er Fermin der Border Patrol übergeben hat, zieht sich Nailer mit seinem Team in das Lehmhaus zurück, um eine nächtliche Operation vorzubereiten. Nailer sitzt in seinem spärlich eingerichteten Wohnzimmer – Sofa und Sessel, ein paar Action-DVDs, diverse Maschinengewehre an der Wand – und streamt Google Earth von seinem Laptop auf einen riesigen Flachbild-Fernseher. Man sieht aus der Vogelperspektive die nähere Umgebung: Der Grenzzaun ist eine lange gerade Linie, die Wüste ein Meer aus Hellbraun mit gelegentlichen grünen Tupfern. Auf der anderen Seite der Grenze hat Nailer einige Stellen markiert, die er für geheime Landebahnen, Wachposten oder Sammelpunkte des Sinaloa-Kartells hält. Ich höre von Gerüchten, dass Nailer im Alleingang nächtliche Aufklärungs-Patrouillen nach Mexiko unternommen habe, um die Informationen zusammenzutragen. Der Plan für heute Nacht sieht vor, dass sich fünf Mann durch unwegsames Terrain zu einem Ort namens Smuggler’s Canyon durchschlagen, um dort einen Hinterhalt vorzubereiten und auf Schmuggler zu warten.

„Wenn jemand getroffen wird, lassen wir ihn unter keinen Umständen zurück“, hämmert Nailer seinen Männern ein. „Weil wir alle wissen, was für eine Scheiße dann passiert: Sie tauchen in Videos der Drogenkartelle auf.“ Des Weiteren gilt: Auf keinen IA – die Abkürzung für illegal alien – wird mit einer Waffe gezielt. Ausweise werden fotografiert, Handys konfisziert. Jede Vermutung, dass der Gegner bewaffnet sei – Schmuggler werden oft von bewaffneten Eskorten begleitet – müssen von mindestens zwei Männern über Funk bestätigt werden. Wenn es einen Schusswechsel gibt, geht man in Deckung und wartet auf das Eintreffen der Polizei.

„Jedermann kennt alto“ – Stop – „und manos arribas“ – Hände hoch!, erklärt Nailer ihnen. „Lass die Waffen fallen heißt abajo las armas – ruft das immer zuerst. Wenn sie die gottverdammten Waffen nicht fallen lassen, braucht sich niemand Zurückhaltung aufzuerlegen. Wer den Wunsch verspürt, zuerst zu schießen, tut das gefälligst auch. Wir lassen nicht mit uns spaßen.“

Wir fahren zunächst Richtung Süden, weil Nailer einen Grenzpolizisten über unsere Operation informieren will. Am Grenzzaun – bestehend aus fünf Meter hohen rostigen Eisenträgern, die oben von Stahlplatten zusammengehalten werden – folgen wir einem Feldweg, der uns nach Westen führt. Nach ein paar Kilometern halten wir am Fuße eines Hügels an. Die Männer schultern ihre Gewehre und machen sich daran, auf einem schwindelerregenden Pfad nach oben zu klettern. Oben angelangt, verkündet Wraith, dass er bereits erschöpft sei und wieder nach Hause fahre. Unter uns zieht sich der Grenzzaun wie eine hässliche Narbe durch die Wüste.

Um fünf Uhr am Morgen ruft uns Nailer zu einer Lagebesprechung zusammen. In der Nähe befindet sich auf einem Berggipfel eine Hütte, die einst ein Rancher für seine Geliebte baute, die inzwischen aber von den Spähtrupps der Drogenkartelle als Anlaufstation genutzt wird. Die Hütte habe den Namen Love Shack, erklärt uns Nailer, und wir würden sie nun notfalls gewaltsam erstürmen.

Er führt uns auf einem Trampelpfad zu dem einstöckigen Steinhaus hinauf. Als wir das Love Shack fast erreicht haben, greift Orlog plötzlich an seinen Ohrhörer. Icon hat sich über Funk gemeldet. „Zwei Männer schleichen gerade den Weg hoch“, flüstert er aufgeregt. Das Team versteckt sich hinter Felsbrocken. Ein paar Minuten später sehen wir, wie die Männer den Pfad hinaufgehen. Orlog und Jester, das Gesicht mit grüner Tarnfarbe beschmiert, springen aus dem Versteck und reißen ihre Maschinengewehre hoch.

„Alto, alto!“, schreit Jester. „La mano!“

Die beiden Männer heben ihre Arme, und Jester rammt einen von ihnen unsanft zu Boden. Nailer rennt den schmalen Pfad hinunter. „Habt ihr sie?“, ruft er. „Macht bloß keine Dummheiten!“

Einer der Männer hat dunkle Locken und ein jungenhaftes Gesicht, der andere trägt neue schwarze Jeans, Cowboyboots und einen sauber getrimmten Schnurrbart. Beide liegen sie mit dem Bauch auf dem Boden und stehen sichtlich unter Schock.

Nailer stellt sich über den Mann mit den Jeans und sucht in seinem Portemonnaie nach Papieren.

„Sicario, oder?“, sagt er.

„Nein, nein“, antworten beide. „Kein sicario.“

„Brandneue Klamotten“, sagt Nailer. „Sinaloa?“

„Nein, nein“, ruft der Mann mit den schwarzen Locken.

Orlog öffnet die Rucksäcke der Männer und findet Toilettenpapier, saubere Hemden, einen Apfel und ein Buch mit religiösen Aphorismen. Nailer ist aber noch immer überzeugt, dass es sich bei den Männern um Späher handelt, die sich für ein paar Tage im Love Shack niederlassen wollten, um von hier aus die Bewegungen der Grenzpolizei zu beobachten und per Funk Drogenkuriere oder Immigranten dirigieren zu können. Aber die Männer haben keine Funkgeräte, und der Lockenkopf erzählt mir später, dass er aus Guatemala komme und einem Schleuser 4 700 Dollar bezahlt habe, um ihn sicher über die Grenze zu bringen. Von Arizona aus wollte er weiter nach Chicago, wo er in einem chinesischen Restaurant Arbeit bekommen würde.

Nailer glaubt ihnen nicht. Er instruiert Orlog, über Funk mit Junkyard in Verbindung zu treten, der wiederum die Border Patrol informieren solle, dass sie hier zwei „Späher“ abholen könne. Er gibt den beiden Migranten zu verstehen, dass sie sich bis dahin aufrecht setzen könnten.

Jester holt sein Handy heraus, um ein Erinnerungsfoto zu schießen. Er will den Mann mit den Cowboyboots dazu animieren, für den Schnappschuss das „Daumen hoch“-Zeichen zu machen. Der Mann folgt seinem Wunsch, bis ihm sein Begleiter den Arm sanft nach unten zieht.

„Gracias“, sagt Jester. „Welcome to America.“

Dass ein Kranführer aus Phoenix zwei Einwanderer aus Guatemala mit dem Gewehr bedrohen kann, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen werden zu können, ist symptomatisch für das juristische Niemandsland, in dem sich jeder in dieser Grenzregion bewegt. Die vertrackte Situation ist das Resultat zweier Faktoren, die sich gegenseitig ergänzt und verstärkt haben: Zum einen ist es das politische Klima in Arizona, das traditionell einwanderungsfeindlich ist, zum anderen der Versuch der Bundesbehörden, die lange Grenze möglichst hermetisch abzuriegeln. Nachdem der Einwanderungsstrom in den 80er- und frühen 90er-Jahren immer weiter anschwoll, begann die Grenzpolizei damit, beliebte Einfallsschleusen in El Paso und San Diego dicht zu machen. Mit dem Resultat, dass die illegalen Einwanderer nun die Großstädte meiden und den Übergang lieber in entlegenen – wenn auch weit gefährlicheren – Gegenden suchen.

Um die neuen Schleichwege abzuriegeln, hat die Grenzpolizei zuletzt zu außergewöhnlichen Maßnahmen gegriffen: Man kontrolliert das Grenzgebiet inzwischen mit Predator-Dronen, baute einen „virtuellen Hightech-Zaun“ mit Radar und Wärmebild-Kameras (der sich allerdings als wenig effizient erwies), man produzierte sogar migra corridos – Songs, die plastisch die Gefahren der Wüste schildern – und sorgte dafür, dass sie von den mexikanischen Radiostationen gespielt wurden. Seit dem Jahre 2000 wurde die Zahl der Grenzpolizisten im Südwesten der USA auf 17 000 Mann verdoppelt – womit die Truppe nach der New Yorker Polizei die zweitstärkste Einheit der USA ist.

Anfang 2012 diskutierte Arizonas Parlament sogar einen Gesetzentwurf, der die Bildung einer „Special Missions Unit“ vorsah, die aus bewaffneten Freiwilligen rekrutiert werden sollte. Als der Entwurf keine Mehrheit fand, schworen die Bürgerwehren, auf die Entscheidung keine Rücksicht zu nehmen. Jack Foote, langjähriges Sprachrohr der Bewegung, der auch am Zustandekommen des Gesetzentwurfes beteiligt war, gab sich ungebrochen: „Dann werden wir die Dinge eben nach unseren eigenen Vorstellungen regeln.“

De facto haben die Bürgerwehren die Zustände, die sie bekämpfen wollen, oft genug nur weiter angefacht. Eine Bewegung namens Ranch Rescue, von Foote mitbegründet, löste sich 2003 auf, nachdem sie von zwei Immigranten aus San Salvador verklagt worden war, die bei der Festnahme offenbar misshandelt wurden. Im Laufe der nächsten Jahre warfen zwei andere Minutemen-Gruppen ebenfalls das Handtuch, weil sie sich in internen Richtungskämpfen und Gerichtsprozessen verstrickt hatten. 2009 erschoss das ehemalige Minutemen-Mitglied Shawna Forde bei einem Überfall ein neunjähriges Mädchen und ihren Vater, die zwar aus Lateinamerika stammten, aber die amerikanische Staatsbürgerschaft besaßen. Forde hatte geplant, Drogenhändler zu überfallen, um mit dem geraubten Geld ihre eigene Splittergruppe zu finanzieren. Im Februar 2011 wurde sie wegen Mordes zum Tode verurteilt.

Wenn es unter den militanten Einzelkämpfern aber einen unangefochtenen Star gibt, ist es der ehemalige Söldner Joe Adams. Anfang der Achtziger arbeitete Adams als Bodyguard für Adolfo Calero, den Führer der nicaraguanischen Contras. In den undurchsichtigen Netzwerken – von privaten Quellen finanziert und der CIA orchestriert -, mit denen die Rebellen unterstützt und ausgebildet wurden, spielte Adams offensichtlich eine zentrale Rolle. Im Laufe der Jahre arbeitete er als Informant für die Drogenpolizei, als Privatdetektiv und als freischaffender Söldner, der sich unter anderem in Kroatien und Burma verdingte. Seine Husarenstücke sind berüchtigt: Als Kopfgeldjäger tötete er unabsichtlich einen Mann mit einer Elektroschockwaffe (ein Vorfall, den er bestätigt); den Führer einer Sekte warf er in einen Vulkan in Costa Rica (er habe nicht gewusst, dass es sich um einen Vulkan gehandelt habe, sagt er).

2007 heiratete er eine wohlhabende Geschäftsfrau und lebt seitdem in einer mit Türmchen umbauten Villa in St. Louis, in deren Untergeschoss sich Waffen und Autos nur so stapeln. Seit fünf Jahren leitet er Project Bluelight, eine Bürgerwehr, die sich damit brüstet, mehr als 1 000 illegale Einwanderer und Schmuggler dingfest gemacht zu haben – überwiegend Latinos, aber auch „Somalis, Orientalen und Iren“. Während Nailer bewaffnete Möchtegerne um sich schart, die sich in einer veränderten Umwelt nicht mehr zurechtfinden, hat Adams eine effiziente Armee zusammengestellt – vermutlich die größte und liquideste Bürgerwehr, die es in den USA gibt. Er investierte 500 000 Dollar allein in das Equipment, besorgte kapitalkräftige Sponsoren (Namen will er nicht verraten) und rekrutiert bevorzugt ehemalige Soldaten oder Polizisten, die auf ihre letzte Mission gehen wollen.

Bluelights Ausgangslager ist die Caballo Loco Ranch, eigentlich ein Campingplatz für Wohnmobile, etwa 30 Meilen nördlich der Grenze. Bei einer Operation im Oktober ist Adams morgens um halb fünf auf den Beinen, um eigenhändig Kaffee an seine Männer auszugeben. Er ist klein, gedrungen und der geborene Feldwebel. Jahrelang kommunizierte er praktisch nur über Funk – nun hat er einen knappen Kommandoton kultiviert, mit dem er seine Befehle herausbellt. 16 Bluelight-Mitglieder – allesamt in Camouflage, mit Revolvern und Schnellfeuergewehren ausgerüstet – haben sich an einem Mesquite-Baum versammelt. Der Boden ist mit Tierknochen übersät, an einem Ast hängt eine Strohpuppe mit Sombrero – sie stellt einen Mexikaner dar.

Die meisten neuen Mitglieder der paramilitärischen Truppe stammen aus St. Louis (Adams hat ihnen den Flug nach Tucson bezahlt), unter ihnen ein ehemaliger Monstertruck-Fahrer namens Bigfoot, ein Starkstrom-Spezialist, der sich Brown Hornet nennt – und nicht zuletzt Albert Depoutot alias Gunfighter, der 1944 bereits bei der Landung der Amerikaner in der Normandie dabei war, inzwischen in seinen Achtzigern ist und ein Glasauge hat.

Adams zündet sich eine Zigarre an und klettert in „Pepe“, einen umgerüsteten Jeep, der ihm als mobile Kommandozentrale dient. Wir verlassen Caballo Loco und parken wenig später auf einer Anhöhe mit Panorama-Blick über das Altar Valley. Draußen wird es gerade erst hell. Ein paar mehrköpfige Bluelight-Teams schwärmen über die naheliegenden Hügel aus, während vier Mann zu Fuß Richtung Wüste marschieren. Bobby Tsiaklides, ein Irak-Veteran, schnallt seine AK-47 auf den Rücken und macht sich mit einem Motocross-Bike auf den Weg. Ziel der Operation ist es, einen gern benutzten „Supertrail“ innerhalb des Tales unter die Lupe zu nehmen und mögliche Bewegungen der Grenzpolizei zu melden.

Aufgrund der wachsenden Gewaltbereitschaft an der Grenze – laut Adams sei drei Mal auf seine Männer geschossen worden – hat seine Organisation inzwischen davon Abstand genommen, Grenzgänger eigenhändig festzunehmen. Vorbei seien die goldenen Tage, an denen man mit Gewehr und Taschenlampe hinter einem Busch hervortreten konnte „und die Illegalen sich brav auf den Boden setzten. Sie haben inzwischen gelernt, dass wir rechtlich nicht in der Lage sind, sie aufzuhalten. Alle Argumente sind auf ihrer Seite – Bürgerrechte und der ganze Kram. Wir sind gezwungen, Abstand zu halten. Eine optimale Mission besteht deshalb für uns darin, überhaupt nicht gesehen zu werden.“

Adams hatte sich ursprünglich den Minutemen angeschlossen, sah dort aber keine Zukunft, weil es sich um „bemühtes, aber inkompetentes Personal“ handele. Er gründete Project Bluelight in der Absicht, der Border Patrol eine gut trainierte, aber diskrete Hilfstruppe an die Seite zu stellen. Er legt Wert darauf, neue Mitglieder selbst zu rekrutieren, und scheut sich auch nicht, „Fehlgriffe“ wieder auszusortieren – unter anderem seinen eigenen Sohn (wegen Ungehorsams) und den heutigen Nailer-Adlatus Icon (der es nur darauf anlege, „um jeden Preis einen Feuerwechsel anzuzetteln“).

„Es gibt Leute hier, die so gefährlich sind, dass sie die ganze Grenz-Bewegung infrage stellen“, kommentiert Adams, während er den Funkverkehr in seinem Wagen verfolgt. „Eine Menge der Jungs sind Extremisten. Ich selbst mag auch das Abenteuer und kann es obendrein noch als Patriotismus deklarieren. Ich weiß nicht, wie die Geschichte im Rückblick darüber urteilen wird, aber zumindest habe ich versucht, etwas zu ändern. Die meisten Leute legen nur die Hände in den Schoß.“

Vor drei Jahren spielte Adams gar mit dem Gedanken, aus dem Project Bluelight eine Reality-Show fürs Fernsehen zu machen. In dem existierenden Promoclip sieht man, wie er in Pepe durch die Wüste donnert, während Wagners „Walkürenritt“ aus den Lautsprechern dröhnt. „Menschen zu jagen“, hört man ihn sagen, „ist nun mal mit nichts vergleichbar.“

Adams startet den Motor und wir fahren zu einem Hügel, der vorne so steil in die Höhe schießt wie ein antiker Tempelbau. Als wir von der westlichen Flanke langsam nach oben fahren, meldet Bobby Tsiaklides‘ jüngerer Bruder Chris über Funk, dass er eine Gruppe von vier „Rehen“ gesichtet habe – Bluelight-Code für Schmuggler. Adams, der den CB-Namen Lone Ranger hat, instruiert die Teams auf den anderen Hügeln, ihre Positionen dementsprechend zu verlagern. Wenig später ruft er ein zweites Mal an, um alle zu informieren, dass sich die Gruppe – mit dem vermutlichen Späher vorab – genau in unsere Richtung bewege. Da größere Rucksäcke, in denen sich Marihuana befinden könnte, nicht gesichtet werden, handelt es sich vermutlich nur um illegale Immigranten.

„Scheiß auch“, schnaubt Adams, „ich will Dope sehen. Dope oder Gewehre.“

Er wirbelt Pepe herum, steuert den Wagen wieder zurück ins Tal und ruft unterwegs von seinem Handy ein Revier der Grenzpolizei an. „Wir haben vier Grenzgänger, die sich nordwärts bewegen“, sagt er, nachdem er sich als Chef von Project Bluelight vorgestellt hat.

Doch schon bald löst sich die große Jagd in Wohlgefallen auf. Der erhoffte Hubschrauber kommt nie an. Brown Hornet, das einzige schwarze Bluelight-Mitglied, ist samt seines Partners kurzzeitig verschüttgegangen. Von einem Hügel versucht einer von Adams‘ Männern, ein Border-Patrol-Team zu zwei flüchtigen Männern zu dirigieren. Die Polizisten starten eine halbherzige Suche, brechen sie aber schnell wieder ab. Ihre Schicht ist vorbei. Die weißen Pick-ups der Grenzpolizei drehen ab und machen sich auf den Weg zurück nach Tucson. Von den ursprünglichen 25 Migranten haben die Polizisten neun geschnappt. Die restlichen 16 befinden sich auf freiem Fuß und können sich nun entscheiden, ob sie weiter nach Norden wandern oder nach Mexiko zurückkehren.

Am nächsten Morgen startet Adams den letzten Trip dieser Operation. Wieder werden Aussichtsposten auf die Hügel des Altar Valley platziert. Adams beobachtet das Tal aus seinem Jeep und ist bester Laune. Um Punkt acht Uhr gibt er ein Live- Interview für „The Gunshow“ – eine Radiostation in Missouri, die sich ausschließlich mit dem Thema Waffen beschäftigt und natürlich auch das Grundrecht auf Waffenbesitz vehement verteidigt.

„Wir sind mehr oder minder eine Aufklärungsoperation“, erklärt Adams dem Moderator Matt Canovi, einem ehemaligen Marine. „Wir sammeln Informationen, geben sie an die Border Patrol weiter und koordinieren die Akteure. Wir haben gute Leute zusammengetrommelt – ehemalige Soldaten und Polizisten, bestens ausgebildet. Es geht hier zu wie früher im Wilden Westen.“

„Es ist unfassbar“, sagt Canovi. „Da machen Sie diese Arbeit nun schon seit Jahren – und trotzdem will uns unsere Regierung weismachen, dass die Zustände an der Grenze besser seien als je zuvor. Es ist offensichtlich, dass das Gegenteil der Fall ist. Man will uns mit Propaganda abfüttern und ruhigstellen.“

„Es ist hundert Mal gefährlicher als noch vor sieben Jahren“, sagt Adams. „Wenn diese Geschichte wirklich einmal explodiert und in die USA überschwappt, müssen wir mit Häuserkämpfen zwischen US-Bürgern und mexikanischen Kartellen rechnen.“

Ein Mann namens Bob aus Battlefield meldet sich in der Sendung. „Nach dem, was ich höre“, sagt er, „sind unsere Colleges bereits von der Muslim Brotherhood unterwandert. Kommen diese Leute auch über die mexikanische Grenze? Haben sie sich den Drogenkartellen angeschlossen, um unser Land zu zerstören? Und was können wir Christen tun, um unsere amerikanischen Mitbürger wachzurütteln?“

„Beides trifft zu“, sagt Adams. „Die Leute, die nicht legal einreisen können, kommen über diese Grenze – und zwar in erheblichen Stückzahlen. Man sollte eigentlich jeden Moslem in den USA deportieren und sein Eigentum konfiszieren. Denn wenn das nicht geschieht, werden sie ihr Hab und Gut gegen uns einsetzen. Ich frage mich inzwischen wirklich, was für uns gefährlicher ist: das kommende Moslem-Problem oder die Drogenkartelle.“ Die amerikanischen Moslems, fügt er hinzu, „haben die Absicht, uns zu zerstören. Sie liefern keinen Beitrag zum American way of life.“

Adams verabschiedet sich. Ein paar Minuten später tauchen aus heiterem Himmel drei Gestalten im Gebüsch vor uns auf – nicht mal 50 Meter entfernt. Ein weiterer Mann, eine Wasserflasche in der Hand, geht sogar ungeniert über die Straße. Adams schaltet die Polizeisirene seines Wagens an und ordert per Funk Unterstützung. Wenig später höre ich ein Geräusch, das sich aus Westen nähert und wie ein überdimensionaler Ventilator klingt. Bluelights Luftwaffe greift in den Kampf ein.

„Ich hasse es, das Flugzeug nur wegen einem einzigen Scheiß-Migranten zu holen“, flucht Adams und spuckt Zigarrentabak auf den Boden.

Ein einsitziger motorisierter Gleitsegler tuckert langsam heran und fliegt dabei nur knapp über dem Talboden – das Segel natürlich in den US-Farben rot, weiß und blau. Er wird von Ace gesteuert, einem selbst ernannten Archäologen, der hier in der Gegend zu Hause ist. Es streift über den Boden des ausgetrockneten Flussbettes, um dann eine schwungvolle Kurve zu ziehen und die Strecke erneut abzufliegen. Wenige Minuten später kracht es mit etwa 35 km/h in einen Mesquite-Baum. Ace wird nicht verletzt, aber Bluelights Luftwaffe ist am Boden zerstört: Die Metallstreben sind eingeknickt, der Propeller verbogen – und das Gleitsegel hängt im Baum wie ein Bettbezug, der von der Wäscheleine geblasen wurde.

Während andere Bluelight-Mitglieder das Wrack in einem Trailer verstauen, treten Adams und Ace zur Seite und sprechen in gedämpftem Tonfall. Kurz vor seiner ungeplanten Landung hat Ace im Flussbett etwas gesehen, das offensichtlich wie eine menschliche Leiche aussah. Adams wirkt beunruhigt. In seinen fünf Jahren in der Wüste ist er auf mindestens ein Grab gestoßen, im letzten Mai auch auf die Leiche einer mexikanischen Frau. Sie war offensichtlich von einer Klapperschlange gebissen worden, wurde dann aber von ihrer Gruppe ungerührt zurückgelassen. Adams, der eine lebende Frau liebend gerne der Grenzpolizei gemeldet hätte, investierte einigen Aufwand in den Versuch, ihre Familie in Mexiko aufzutreiben und sie über den Todesfall zu informieren. „Mich störte nicht die Art und Weise ihres Todes“, sagte er, „sondern die Art und Weise, wie man sie behandelte. Wie eine gottverdammte tote Kuh.“

Auch wenn er dadurch kostbare Zeit verlieren wird – er sieht bereits vor seinem geistigen Auge, wie sich inkompetente Sheriffs des Falls annehmen -, entschließt sich Adams, einen Suchtrupp loszuschicken. Zusammen mit Ace, gefolgt von Brown Hornet und Chris auf vierrädrigen Gelände-Bikes, steuert er den Jeep über einen steinigen Pfad, der mit Gestrüpp so dicht bewachsen ist, dass ihre Funk-Antenne aus dem Sockel gerissen wird. Nach einigen Meilen hält Adams an. Als er über die Leiche flog, hat Ace mit GPS eine Standortbestimmung gemacht – und offensichtlich sind wir diesem Punkt nun sehr nah. Die Männer gehen zu Fuß über eine Geröllhalde – und da, zwischen Sträuchern und Schutt, liegt ein Körper: Es ist der blanke Schädel einer Kuh. Gleich daneben liegt ihr Fell, säuberlich gefaltet wie ein abgelegter Mantel.

Adams ist erleichtert: Man kann sich die aufwendige Bergung einer Leiche sparen. Die Operation ist abgeschlossen, und das Bluelight-Team kehrt bester Laune nach Caballo Loco zurück. Adams hält eine abschließende Rede. Den entkommenen „Rehen“ und dem Verlust des Motorseglers zum Trotz ist er voll des Lobes für seine Truppe. „Dies war eine der besten Operationen, die wir in den vergangenen Monaten durchgeführt haben“, sagt er.

Brown Hornet und drei weitere Mitglieder stellen sich in Reih und Glied, und Adams hängt ihnen ein Stück Fallschirmseil mit einem stilisierten Totenkopf um den Hals. Tsiaklides schleicht sich von hinten heran und schüttet einen Eimer Wasser über ihre Köpfe. „Hiermit taufe ich euch“, ruft Adams. Sie sind nun offiziell vollwertige Mitglieder im Project Bluelight-Team.

Später am Nachmittag – die Pistolen und Gewehre sind bereits gereinigt und verstaut – werden die Bierdosen aufgemacht. Alle lassen sich auf Campingstühlen unter einem Mesquite-Baum nieder. Adams, der stolze Kommandant, sitzt lachend vor seinem Wohnwagen und lässt eine Flasche Rum kreisen. Jim, der Besitzer des Campingplatzes, rollt in einem elektrischen Golfwagen heran, auf dem Beifahrersitz einen gefleckten Hund. Ein angeheiterter Kriegsveteran schaut mit seiner Frau vorbei. Beide sind langjährige Minutemen-Mitglieder und erzählen davon, dass sie auf einer nahegelegenen Ranch eine neue Operation ins Leben rufen wollen.

„Ich hoffe, dass die Minutemen endlich einen auf den Deckel kriegen“, flüstert mir Adams zu. „Es würde der ganzen Bewegung nur gut tun.“

3.144 Kilometer

Die Grenze zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten verläuft im Westen zwischen der südkalifornischen Stadt San Diego und Tijuana. Im Osten zwischen Brownsville (Texas) und Matamoros. Der Grenzverlauf zieht sich entlang des Rio Grande und führt weiter bis zum Golf von Mexiko. Westlich verläuft die Grenze durch die Sonora und Chihuahua-Wüste, das Colorado-Delta und die niederkalifornische Halbinsel bis zum Pazifik.

Nach Angaben der International Boundary and Water Commission ist die Grenze 3 144 Kilometer lang, die im normalen Austauschverkehr jedes Jahr von rund 250 Millionen Menschen überquert wird. Die Zahl der illegalen Einwanderer beträgt jährlich geschätzt 350 000.

Um diesen Übertritt zu verhindern, bewachen die USA die Grenze zum Nachbarland mit martialischen Mitteln. Der Grenzzaun wurde im Jahre 2006 auf 1 125 Kilometer verlängert. Rund 6 000 Wachleute und Grenzpolizisten sichern diese Anlagen. Jährlich sterben nach unterschiedlichen Schätzungen 250 bis 500 Menschen aus Mittel- und Südamerika beim Versuch, die Absperranlagen zu überwinden – manche sind einfach verdurstet in den unwirtlichen Wüstengebieten der Region, während sie unter glühender Sonne auf professionelle Schlepperteams warteten.

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