Die Angst der Stasi vor den Rolling Stones

Eine Podiumsdiskussion, ein Zeitzeugengespräch und ein Film erinnern am 27. September an „unerwünschte“ Musik für Jugendliche in der DDR. Aus "Die Welt": Wie ein erfundenes Konzert auf dem Axel-Springer-Verlagsgebäude Hunderte Jugendliche ins Gefängnis brachte

Unter dem Motto „Rock und Revolution – DDR-Subkultur, die Rolling Stones und die Stasi“ findet am 27. September eine Podiumsdiskussion statt, es gibt ein Zeitzeugengespräch und einen Film. Dazu treffen sich in der ehemaligen Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg Experten wie der Journalist Erik Kirschbaum und der Historiker Dr. Ilko-Sascha Kowalczuk. ROLLING STONE präsentiert, der Eintritt ist frei.

Eine „Welt“-Reportage erinnert an ein leider nicht stattgefundenes Konzert der Stones in West-Berlin:

Die Angst der Stasi vor den Rolling Stones

Wie ein erfundenes Konzert auf dem Axel-Springer-Verlagsgebäude Hunderte Jugendliche ins Gefängnis brachte.

von Sven Felix Kellerhoff

Vierundzwanzig Monate Haft sind eine harte Strafe. Besonders für einen Jugendlichen von gerade einmal 16 Jahren. 762 Tage saß Eckard Mann in der Untersuchungshaftanstalt Berlin-Mitte und im Gefängnis Dessau, weil er „Freiheit, Freiheit!“ gerufen und angeblich bei seiner Festnahme einen Volkspolizisten geschlagen hatte. Eigentlich aber wurde der 1953 geborene Ost-Berliner bestraft, weil er zu einem Konzert wollte, das nicht stattfand und auch nie hatte stattfinden sollen. Trotzdem galt es der DDR-Staatssicherheit als so gefährlich, dass Hunderte Jugendliche mit Haftstrafen für den Wunsch zuzuhören büßen mussten.

Im September 1969 hatte sich Kai Blömer, ein bekannter Moderator des West-Berliner Senders Rias, einen Scherz am Mikrofon erlaubt: Am 7. Oktober, pünktlich zum 20. Jahrestag der DDR, würden die Rolling Stones auf dem Dach der Hochhauses des Axel-Springer-Verlages ein Konzert geben. Noch während der selben Sendung aber musste er erklären, dass er nur einen Witz hatte machen wollen. Es nützte nichts: Das Gerücht machte sich selbstständig, vor allem in Kreisen von Stones-Fans in der DDR. Anfangs nahm auch die Stasi diesen misslungenen Scherz nicht ernst, wie eine jetzt der Öffentlichkeit vorgestellte Dokumentation der Stasiunterlagen-Behörde (BStU) zeigt – kurz vor dem tatsächlichen Konzert der Rolling Stones in der Berliner Waldbühne am kommenden Dienstag.

Zunächst gab es keine Berichte über Blömers Scherz. Ein umgehend dementiertes Gerücht schien ungefährlich, sogar für das notorisch um die absolute Macht der SED besorgte Ministerium für Staatssicherheit. Doch das änderte sich, als Flugblätter zu kursieren begannen, in denen Stones-Fans aus der DDR ihre Altersgenossen aufforderten, am 7. Oktober 1969 nach Ost-Berlin zu kommen. „Treffpunkt: Axel Cäsar Springer“ stand auf einem maschinengeschriebenen Blatt, von dem die 18-jährige Evelies Gerhardt und ihre Freunde nicht einmal ein Dutzend Exemplare in Umlauf brachten. Sie wurden von einem Spitzel denunziert; dabei forderte das Flugblatt „die Alten“ lediglich auf: „Sie sollen uns in Ruhe lassen, sie sollen uns so leben lassen, wie es uns gefällt!“

Derlei war in der DDR nicht vorgesehen. Am 5. Oktober 1969, zwei Tage vor dem vermeintlichen Konzert, wanderte Evelies ins Gefängnis. Nach ausführlichen Ermittlungen und Verhören, kam sie am 19. Februar 1970 frei, weil inzwischen keine Wiederholungsgefahr mehr bestehe und weil – welch Hohn für einen DDR-Bürger – keine „Fluchtgefahr“ bestehe. Evelies Gerhardt hatte sogar noch Glück im Unglück. Denn sie saß am 7. Oktober 1969, dem „20. Jahrestag“ der Ulbricht-Diktatur, hinter Schloss und Riegel. So konnte sie nicht der aufgeregten Staatsmacht in die Quere kommen. In der Broschüre ist ein 15-seitiges Tagesprotokoll der Stasi auszugsweise abgedruckt, das minutiös alle Ereignisse mit Bezug auf das vermeintliche Konzert festhielt. Schon um 12 Uhr hatten sich auf östlicher Seite der Mauer „ca. 80–100 Jugendliche gegenüber dem Springerhaus“ gesammelt. Wenige Stunden später registrierte die Stasi Hunderte weitere Jugendliche, darunter viele „Gammler“, also unangepasste Halbwüchsige, die sich nicht in die Staatsjugend FDJ pressen lassen wollten.

Und es kamen immer mehr. Die Leipziger Straße wurde durch eine Postenkette gesperrt. Unter den Jugendlichen war Eckard Mann. Dem Musikbegeisterten nahm die Enge der Diktatur die Luft zum Atmen. Er rief „Freiheit!“ und „Ulbricht weg!“. Wegen angeblichen „Rowdytums“ erhielt Mann seine Gefängnisstrafe. Und obwohl er sich dagegen auflehnte, wurde er Mitte Oktober 1971 wegen „guter Führung“ nach Westdeutschland entlassen. In Wirklichkeit hatte die Bundesregierung ihn freigekauft. Indirekt verdiente das SED-Regime mit dem vermeintlichen Stones-Konzert also sogar noch rare Devisen.

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