Kettcar und der Tiefsinn des Tanzbären

Die Doppelbelastung als Musiker und Label-Besitzer können Kettcar gut ertragen. Sie dürfen dafür machen, was sie wollen: Popmusik mit großen Emotionen, zum Mitfühlen und Glücklichwerden.

Alle mögen Kettcar. Sollte man meinen, denn von ihrem Debüt „Du und wieviel von deinen Freunden“ haben die Hamburger immerhin fast 30 000 Exemplare verkauft – nachdem Sänger Marcus Wiebusch und Bassist Reimer Bustorff erst mit Thees Uhlmann (Tomte) ein Label gründen mussten, damit man das Werk zu hören bekam. Wenn’s darum geht, ob kleine, unabhängige Label Erfolg haben können, wird nun immer Grand Hotel Van Cleef genannt.

Aus mir persönlich unbegreiflichen Gründen mögen trotzdem einige Menschen Kettcar nicht. Das liegt vielleicht an Zeilen wie diesen: „Manche sagen, es war einfach, ich sage, es Ist schwer/ Denn du bist Audrey Hepburn und ich Balu der Bär/ Immer pläneschmiedend dastehen/ So schön und stumm/ Und ich fang an zu tanzen/ Und werf erst mal alles um.“ Das stammt aus „Balu“, dem zentralen Song des neuen Albums „Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen“. Kettcar sind uncool, machen wir uns nichts vor. Sie beschreiben das Leben, das wir alle führen, kein besonderes. Sie erzählen von der Liebe und was da alles schiefgehen kann. Eine Menge. Und sie benutzen dafür Worte, die einem oft so bekannt vorkommen – wahrscheinlich, weil man sie selbst schon mal ähnlich gesagt oder gedacht hat. Uhlmann nennt das „kümmernde Songs“, und Wiebusch sagt: „Ich mag Lieder, in denen man sich wiederfindet, mit einem guten emotionalen Kern.“

Musikalisch sind Kettcar meist einer Meinung, textlich auch. Bloß bei einem neuen Song gab es leichte Diskrepanzen: dem surrealen „Stockhausen, Bill Gates und ich“. Wiebusch steht dahinter: „Ich wollte einen Song schreiben, der nichts bedeutet. Auch wenn die Leute vielleicht nur tiefsinnige Songs wollen. Kriegen sie jetzt eben nicht. Ich wollte mir das Recht rausnehmen, einen Gaga-Song zu bringen und mich mal nicht so wichtig zu nehmen.“ Die Band hat längst aufgehört, Internet-Foren zu lesen, in denen über ihre Texte diskutiert wird. Macht einen nur irre. Wiebusch verlässt sich lieber auf sein eigenes Gefühl: „Die einzige Instanz ist die Band. Ich habe keine Plattenfirma, die mir was sagt; ich kann machen, was ich will, solange es die Band versteht. Und das ist ein Luxus, den ich genieße.“

Wie froh Kettcar sind, dass es ihnen gelungen ist. es sich so gemütlich einzurichten, hört man im Song,,Handyfeuerzeug gratis dazu“. Die Kernzeile ist „Man lässt nie los, was man liebt/ War, ist, bleibt: immer Musik“, aber der Rest klingt nicht so positiv. „Das Grand Hotel steht ja unter dem unmittelbaren Eindruck, dass Musik auch Ware ist – und gerade radikal entwertet wird. Diese perversen Mechanismen – zum Verramschen des Trash-Samplers gibt’s ein Geschenk dazu – stehen im Gegensatz zu dem, wie wir Musik empfinden. Und wir wissen natürlich, dass wir in einer privilegierten Stellung sind, da wir anders arbeiten können.“

Dafür haben Kettcar die Doppelbelastung: Sie sind Musiker und Geschäftsmänner. Bustorff wiegelt ab: „Natürlich, wenn man aus dem Studio kommt und die Platte fertig ist, muss man gleich ran und sich um den anderen Kram kümmern. Und selbst während der Aufnahmen muss man ja noch im Büro auftauchen. Man ist nicht nur ein Künstler, der sich auf die Songs konzentrieren kann. Aber andererseits ist die Firma natürlich als Gegenentwurf gedacht, als Plattform für Bands wie Marr, Olli Schulz, Bernd Begemann. Was wir uns damit aufladen, war uns bewusst.“ Sie haben’s trotzdem getan, weil sie „so eine romantische Vorstellung“ hatten, wie man auch erfolgreich werden kann: „Die ist einer Band wie Element Of Crime nicht unähnlich. Man macht einfach immer weiter seinen Scheiß. Zwar Promotion und auch mal ein Video, aber eigentlich geht es nur um das Album, das gut sein muss. Alles andere ist Nebensache.“

Und selbst die Musik ist nicht das Allerwichtigste. Als Wiebusch am ersten Album schrieb, war er nicht gerade glücklich. Jetzt geht es ihm „sehr, sehr gut“ – er macht, was er liebt, hat eine kleine glückliche Familie. „Im Grunde scheint mir die Sonne aus dem Arsch. Trotzdem kann ich traurige Songs schreiben, ich muss ja nicht alles selbst erlebt haben. Aber ich kann aus vollem Herzen Hoffnung geben, weil ich weiß, dass es irgendwie weitergeht.“ Und gilt das auch fürs Musikgeschäft? „Keine Ahnung! Aber das Private ist doch viel, viel wichtiger als das bescheuerte Musikgeschäft. Dass es einem persönlich gut geht, ist viel, viel wichtiger als die Frage, ob es bald nur noch Klingeltöne oder doch gute CDs gibt. Wir machen so oder so immer gepflegt weiter.“ Wenn das kein guter Plan ist.

>>>> Zurück zur Themenseite „10 Jahre Grand Hotel van Cleef“

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates