Ich & Orson Welles :: Tobias Moretti, Moritz Bleibtreu

Jud Süß – Film ohne Gewissen ++¿

Regie: Oskar Roehler Start: 23. 9.

Ob das Gift des Antisemitismus, der manipulierende, menschenverachtende Ton des Originals auch heute die Massen erreichen würde, kann man zwar bezweifeln. Veit Harlans Machwerk von 1940 ist nach filmischen Kriterien aber zu perfekt, um es dem Vergessen überantworten zu können. Er ist der große Propagandafilm geworden, wie Joseph Goebbels ihn gewünscht hatte, ein nachhaltiges Dokument der nationalsozialistischen Rassenideologie. Die Beteiligten standen deshalb nach dem Krieg vor Gericht. Und natürlich wollte es keiner gewesen sein. Über die Verstrickungen gibt es viele Aussagen und Meinungen, eindeutig geklärt ist wenig.

So bleibt auch Roehlers Spielfilm über die Entstehung des Films eine Interpretation. Der Regisseur stützt sich recht lose auf Friedrich Knillis Biografie „Ich war Jud Süß“ über den Schauspieler Ferdinand Marian (Tobias Moretti). Der Frauenschwarm ist bestürzt, als ihn Goebbels (Moritz Bleibtreu) für die Hauptrolle auswählt. Seine Frau Anna (Martina Gedeck) versteckt im Gartenhäuschen einen jüdischen Kollegen, der vom SS-Freund (Robert Stadlober) ihrer Dienstmagd verhaftet wird. Marian versucht der Titelfigur sympathischere Züge zu verleihen, als Harlan (Justus von Dohnányi) es vorgesehen hat, doch Goebbels ist begeistert. Trotz oder wegen des Erfolgs wird Marian zum Trinker und rast 1946 mit seinem Auto gegen einen Baum.

Von Marians anfänglichem Ehebruch bis zu seinem Tod hat Roehler ein Melodram nach allen Regeln des Genres inszeniert. Politische Haltung, Aufklärung gar interessiert ihn nicht. Statt dessen menschelt, emotionalisiert, dramatisiert er wie im Schmierentheater. Sex ist wie stets bei ihm die Triebfeder der Handlung. Einer Schlüsselszene aus „Jud Süß“ nachgestellt, vögelt Marian wie im Delirium eine Bewunderin (Gudrun Landgrebe) und fällt beim eifersüchtigen Goebbels in Ungnade. Der Freudsche Kunstgriff wirkt eher lächerlich als bedrückend.

Unnötig fiktiv spitzt Roehler zudem die bedrohliche Lage für Marian zu, indem er Anna auf Goebbels‘ Befehl ins KZ bringen lässt. Auch Bleibtreu, den Roehler als „perfekten Imitator“ preist, übertreibt. Grinsend zeigt er nur ein Gesicht, gibt den mephistophelischen Hinkefuß, wie man ihn aus der Wochenschau kennt, und verbreitet mit Bombenstimmung die Aura eines reichen Onkels, von dem alle abhängig sind – und der einzig an allem Schuld ist.

Enter The Void ++¿

Paz de la Huerta, Nathaniel Brown

Regie: Gaspar Noé Start: 26.8.

„Enter – 24h open“ steht auf einer Neontafel gegenüber von Oscars (Nathaniel Brown) kleiner Tokioter Wohnung, wo er mit seiner Schwester Linda (Paz de la Huerta) lebt. Und „The Void“ heißt der schäbige Club, den der Kleindealer mit seinem Kumpel Alex (Cyril Roy) aufsucht. Der Tod, deutet Noé an, kann einen jeden Moment treffen. Tatsächlich wird Oscar kurz darauf bei einer Razzia von einem Polizisten erschossen. Nach seinem statisch komponierten „Menschenfeind“ und dem rückwärts erzählten Gewaltsog „Irreversibel“ mutet Radikalfilmer Noé dem Zuschauer wieder eine extreme visuelle Erfahrung zu. Bis zu Oscars Tod sieht man die ohnehin beklemmend engen Räume von Tokio ohne Schnitt nur aus seinem Blick – sogar das Klimpern der Lider ist konsequent eingebaut. Dann entweicht seine Seele seinem Körper, auf den er in einer dreckigen Toilette schaut. Sein Geist ist noch intakt: Er rast, taumelt, kreist über der Metropole und beobachtet Linda, die als Stripperin arbeitet, sich schmierigen Kerlen hingibt und an Selbstmord denkt. Dazwischen flackern Erinnerungsfetzen von schicksalhaften Ereignissen der letzten Tage, aus der Kindheit und vom brachialen Autounfall, bei dem seine Eltern starben. Noés Reflektion über Einsamkeit, Verzweiflung und Sinnlosigkeit entfaltet die hypnotische Wirkung eines Drogentrips. Trotz der Faszination braucht man viel intellektuelle Zähigkeit, um die bald ermüdende Redundanz auszuhalten. Im Schlussakt zeigt Noé in einem Liebeshotel Sex in allen bizarren Varianten, fallen Zeugung, Tod und Geburt zusammen und interpretiert er pessimistisch das Geworfensein: Schon das Leben ist die Leere.

Zac Efron, Claire Danes

Regie: Richard Linklater Start: 26.8.

New York 1937: Der Schüler Richard (Zac Efron) bekommt durch Zufall eine Nebenrolle im Stück „Julius Caesar“, das der junge aufstrebende Regisseur Orson Welles (Christian McKay) an seinem Mercury Theatre inszeniert. Sein Traum entpuppt sich jedoch als Spießrutenlaufen, Welles diktiert ohne Rücksicht auf Personen seine künstlerischen Vorstellungen. Als er sich zudem in die Regieassistentin Sonja (Claire Danes) verliebt, wird er ohne Chance zu Welles‘ Rivalen.

Mit Efron und der Lovestory schlittert Linklater knapp am Romantik-Kitsch vorbei. Auch der Kleinkrieg hinter den Kulissen um Finanzen und Rollen ist wenig von Bedeutung. Doch McKay trumpft in geschliffenen Dialogen groß auf: Schlitzohrig, herrisch, charmant und arrogant spielt er das charismatische Genie, wie die Legende es verlangt.

Rückkehr ans Meer +++Isabelle Carré

Regie: Françoiz Ozon Start: 9.9.

„Du bist ein Lebensretter“, sagt Louis (Melvil Poupaud), als der Dealer auftaucht. Morgens ist er tot. Seine Freundin Mousse (Isabelle Carré) überlebt den Trip und erfährt im Hospital, dass sie schwanger ist. Louis‘ Mutter will kein Enkelkind von einer Drogensüchtigen. Nur dessen schwuler Bruder Paul (Louis-Ronan Choisy) besucht sie an ihrem Zufluchtsort am Meer. Mit einem Mann, der auf hochschwangere Frauen steht, und zärtlichem Voyeurismus setzt Ozon für ihn typische provokante Ausrufezeichen. Ansonsten ist sein Kammerspiel über eine junge Frau, die weder mit ihrem noch dem ungeborenen Leben etwas anfangen kann, so unspektakulär, einfühlsam und tragisch-schön, wie es früher Eric Rohmer erzählt hätte.

Salt +++¿

Angelina Jolie, Liev Schreiber

Regie: Phillip Noyce Start: 19.8.

Sie sei keine Spionin, schreit Evelyn Salt (Angelina Jolie) im nordkoreanischen Folterknast. Sie arbeite weder für die Russen noch für die CIA, wird sie an anderer Stelle verkünden. Ihr Mantra ist das Herz eines Komplotts, das sich mit vielen Twists um Glaubwürdigkeit und Überzeugungen dreht. Sie wird gehetzt, treibt aber eher ihre Jäger vor sich her, verübt und verhindert zugleich Attentate. Die Raffinesse mutet etwas leicht an, die Rasanz vertuscht manche Unmöglichkeit. Doch Noyce („Die Stunde der Patrioten“) hat einen fulminanten Action-Thriller inszeniert, in dem noch richtig Blech demoliert wird und Jolie perfekt ist als eiserne Amazone.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates