19 CAN-Remixe – Sich selbst mit den Ohren anderer hören

„Can wen ourclarion cail, our initiation to our future.“ – Thurston Moore (Sonic Youth)

„When I worked on the pieces I nearly always found the original better than what I had done.“ – Brian Eno

Studio-Alben brachte die Kölner Gruppe Can von 1969 bis 1978 heraus, doch der Einfluß dieser Werke strahlt bis in die jüngste Gegenwart. Auch wenn Can in der damaligen Szene zu den populärsten deutschen Bands gehörten und beim Wiederhören somit Erinnerungen wie Haschkrümelsuchen im Flokati unausweichlich sind, klingen ihre Platten noch heute so irisch und so visionär wie immer schon. Neben Kraftwerk waren sie die unbestritten wichtigsten Vertreter innovativer Musik aus dem Deutschland jener Epoche, hatten internationale Erfolge und werden von Musikern der unterschiedlichsten Richtungen und Geburtsdaten immer wieder als ein wichtiger Einfluß zitiert.

Nun erscheint eine Doppel-CD, an der sich die Geister scheiden werden. Auf Initiative von Mute-Labelchef Daniel Miller haben sich nun 19 Bands und Künstler alter Can-Tracks angenommen und diese auf elektronischem Wege umgearbeitet. Das Resultat ist ein Konglomerat mikroskopisch herausgetrennter Sequenzen, die nur selten den subtilen Fluß ihrer Vorlagen erreichen. Was Wunder! Einige Can-Verehrer auf Daniel Millers Liste, so Julian Cope, Mark E. Smith (The Fall) und John Lydon, hatten den heiklen Auftrag gleich abgelehnt, während sich die Remix-erfahrene Techno-Generation mit großer Begeisterung auf die (oftmals zu) schwierigen Rhythmen von Can stürzte.

„Einige wollten nicht mitmachen, weil sie es für ein Sakrileg hielten“, schmunzelt Can-Keyboarder Irmin Schmidt. „Deshalb heißt die Platte auch „Sacrilege“.

Manch alter Can-Hörer wird ihm da zustimmen. Von dem Song „Tango Whiskeyman“ etwa ist in dem Remix von A Guy Called Gerald nicht mehr viel zu erkennen. Da Can bekanntlich immer größten Wert auf die komplette Kontrolle über ihren künstlerischen Output gelegt haben, sei die Frage erlaubt, ob die Remixe von ihnen autorisiert wurden.

„Aber nein. Wir wollten niemandem reinreden. Wir fanden es spannend, uns selber mit den Ohren der anderen zu hören. Wir finden das Album auch alle gut, obwohl man nicht allzu respektvoll mit uns umgegangen ist. Uns reicht die Kontrolle über unsere alten Platten. Man muß es ja nicht so weit treiben, daß man gute Ideen ignoriert.“

Irmin Schmidt, der in diesem Mai 60 Jahre wird, darf sich zu Recht geschmeichelt fühlen, wenn die Stars der nachfolgenden Pop-Generationen seine teils jahrzehntealten Aufnahmen heute für absolut zeitgemäß erklären. Doch Can nahmen immer denselben Umweg: Abgesehen von „Spoon“ (1971 die Titelmelodie des Durbridge-TV-Krimis „Das Messer“) gab es für sie keine nennenswerten Charts-Erfolge. Dafür beeinflußten sie jedoch andere Musiker wie Brian Eno, David Bowie oder Sonic Youth, die ihrerseits in den internationalen Charts stehen.

Für die heutige Musiklandschaft gilt: Selten zuvor haben sich Can irgendwo so heimisch gefühlt wie in der Welt der elektronischen Percussion und Breakbeats. „Gerade im DJ- und Techno-Bereich gibt es so einige Sachen, die ich richtig gut finde. Can bedeutete immer höchste Disziplin, im Gegensatz zu überflüssigen Soli und musikalischer Geschwätzigkeit WestBam (dessen Can-Remixe von „…And More“ sind die erste Auskoppelung von „Sacrilege“) hat im Merve-Verlag ein Buch herausgebracht, in dem ich unsere damalige Haltung wiederfinde. Für ihn ist ein Rave einfach Kunst. Die Idee, aus Spontaneität eine offene Form zu schaffen, die niemals zum Ende kommt, entspricht unserem damaligen Ansatz.“

Es wäre verführerisch, wie im Falle Kraftwerk von einem spezifisch deutschen Sound zu reden oder gar das Krautrock-Revival ins Spiel zu bringen. Doch mit beidem haben Can sehr wenig gemein. Ihre Nähe zur heutigen Techno-Szene liegt darin begründet, daß bei ihnen immer der Rhythmus das Wichtigste war,und dieser Rhythmus war alles andere als deutsch. Ihre bekanntesten Sänger waren ein schwarzer Amerikaner und ein Japaner. Ihr Sound war international, dennoch paßten sie nie in das anglo-amerikanische Pop-Format, welches die meisten deutschen Bands nur wenig später wieder eingeholt hat.

„Im Grunde waren wir am ehesten von der ethnischen Musik beeinflußt Wir haben polyrhythmisch gespielt, jedoch Rock-Rhythmen verwendet, und unsere Art der Improvisation war anders als etwa beim Jazz. Aber mit so Kategorien muß man vorsichtig sein. In England kann ich zum Beispiel jederzeit einen Begriff wie Rock’n’Roll verwenden, jeder versteht, daß ich damit etwas meine, was voll aus dem Bauch kommt. In Deutschland geht das nicht. Hier ist Rock’n’Roll derzeit eher ein Schimpfwort.“

Bevor Irmin Schmidt zur Rockmusik kam, arbeitete er als ausgebildeter (und preisgekrönter) Dirigent und Pianist und jahrelang im Bereich der Klassischen Avantgarde. Eine denkbar große Umstellung, urplötzlich von einem Rockpubükum umjubelt zu werden.

„Es ist so gekommen, weil ich die jubelnden Leute wichtig finde und auch zusammenarbeiten wollte mit Leuten, die jubeln und feiern. Also hab ich diese Band gegründet, denn bei Cage und Stockhausen bt es mit dem Jubeln nicht weit her. Jaki hatte die gesamte Jazz-Geschichte durchspielt, Holger war noch neumusikalischer ab ich, und Michael Karoli war zehn Jahre jünger und brachte die Beat-Einflüsse mit, die uns völlig neu waren. Ich habe ja die Stones erst begriffen, nachdem ich Hendrix und Zappa gehört hatte. Dann besuchte uns Malcolm Mooney eines Tages im Studio und fing spontan an zu singen. Das war dann der Zündfunke. Plötzlich waren wir eine Rockband.“

Rockband ja, doch eine vergleichbare wurde nie mehr gefunden. Uhrwerkartig verzahnte, hypnotisierende Rhythmen, dieser gummiartige Klang vom Baß (Holger Czukay spielte oft mit Nylonhandschuhen), die minimalbtischen Orgel-Stakkati und dieses psychedelische Gitarrenflirren bildeten eine Mischung, die bis heute einzigartig geblieben ist und den Can-Sound zeitlos macht Ab Damo Suzuki, der vorher unter anderem in München bei dem Musical „Hair“ mitgewirkt hatte, 1970 ab neuer Sänger einstig, hoben Can in gänzlich neue Klang-Sphären ab und produzierten solche Meilensteine wie die Alben „Tago Mago“ und „Ege Bamyasi“.

„Das Besondere an Can war diese Innenspannung. Wir waren grundverschiedene Musiker mit den unterschiedlichsten Perspektiven und haben uns oft gestritten. Denn bei all der Spontaneität waren wir auch immer Perfektionbten. Nur in einer Sache waren wir uns immer einig: Wir waren auf der Suche nach den magischen Momenten, wo alles zusammenpaßt und die Musik sich sozusagen selber spielt.“

Glaubt man den Zeitzeugen, so gab es genug solcher Momente, und nicht wenige wurden sogar auf Tonträgern konserviert. Doch ab Damo Suzuki 1973 die Band verließ und ein Nachfolger nicht gefunden werden konnte, ging die Herrlichkeit langsam dahin. Ab Mitte der Siebziger traten Can musikalisch auf der Stelle, und auch die Integration neuer Mitglieder brachte nicht die gewünschte Entwicklung.

„Die permanente Spannung hatte uns über all die Jahre erschöpft. Es schlich sich Routine einlegen die jeder auf seine Weise ankämpfen wollte. Die Stimmung wurde aggressiver, und das Gruppengefühl geriet aus dem Gleichgewicht. Vielleicht kann ja so etwas nur höchstens zehn Jahre von Dauer sein.“

1988 lebte der alte Can-Spirit für kurze Zeit wieder auf. Das Album „Rite Time“ war ein durchaus positives Ergebnis. Wie ist es dazu gekommen? „Unser 20jähriges Jubiläum stand vor der Tür. Und da tauchte plötzlich ein Produzent auf, der uns eine ziemliche Summe zur Verfügung stellte. Da konnten wir halt nicht nein sagen und haben dieses Album gemacht.“

1998, zum 30jährigen Jubiläum, wird (nur) ein Live-Album mit alten, digital aufgehellten Cassetten-Aufhahmen erscheinen. Weitere Pläne – etwa eine Reunion – sind derzeit nicht im Gespräch: „Damals sind wir täglich zehn Stunden in unserem Studio gesessen um das zu erreichen, was wir wollten. Im Gegensatz zu dieser besessenen Leidenschaft käme mir eine Wiederholung ziemlich künstlich vor. Wenn wir eine Idee hätten, die Can so gar nicht ähnlich wäre, dann könnte es vielleicht klappen. Aber Can ab jederzeit verfügbares Remake im Stil von damals – um Gottes Willen!“

Derzeit arbeitet Irmin Schmidt an einer Oper, die im nächsten Jahr in einem ungewöhnlichen Rahmen (nämlich auf der Kölner PopKomm) uraufgeführt werden solL „Ich sage absichtlich Oper, denn in diesem Wort liegt für mich die ganze Schwere von Kunst, und das gefallt mir gut. Dennoch ist an dieser Oper das Wichtigste der Groove.“

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