Lindemann-Porno: Bei wem wird Lust durch Demütigung getriggert?

Wir sind stärker als je zuvor von sexueller Selbstbestimmung geprägt. Woher dann die Sexnegativität?

„Von der Hand, in den Mund / manuell und oral / von dem Mund, in die Hand / wer die Qual hat, hat die Wahl“ singt Till Lindemann in üblicher, simpler Haudrauf-Sprachästhetik im Text des Rammstein-Lieds „Till the End“. Zu dem Song, der auf einem Gedicht des Musikers beruht, existiert ein vor drei Jahren entstandenes Pornovideo – ein qua Definition waschechter Porno mit allem Drum und Dran: Im Vordergrund stehen sexuelle Handlungen inklusive sichtbarer primärer Geschlechtsmerkmale, ausgeführt von/an Till Lindemann und jungen, schlanken Frauen; bei einigen Szenen wurde auf die Musik verzichtet, was ihren bildlichen Inhalt verstärkt; und man kann, auch weil die Darstellerinnen teilweise durch Till-Lindemann-Masken anonymisiert werden, sowohl von einer „apersonalen Sexualität“ als auch von einer „Degradierung des Menschen zum bloßen auswechselbaren Objekt“ sprechen.

Den Einsatz eines seiner Bücher als missglückter Versuch eines literarischen „Glory Holes“ hat für Lindemanns Verlag Kiepenheuer & Witsch das Fass zum Überlaufen gebracht, wobei das Video auch ohne diese Requisite vermutlich für KiWi ausgereicht hätte, um die Zusammenarbeit zu beenden.

Pornografie ist in Deutschland nicht verboten, sondern nur bestimmten Regelungen, etwa einer Altersbeschränkung unterworfen. Und ob das Video „Gewaltpornografie“ darstellt, die tatsächlich unter ein „Verbreitungsverbot“ fallen würde, lässt sich schwer definieren: Die Darstellerinnen (inklusive Lindemann) sehen zwar nicht aus, als würde ihnen der Sex Spaß machen, Lindemann als einziger, wie ein frustrierter, alter, weiß geschminkter Clown wirkender Schwanz im Raum scheint eher von einer Abneigung gegen Frauen generell, und damit auch gegen seine eigene Sexualität, seine Lust und seinen Körper getrieben – der Film suhlt sich in Selbsthass, der auf einer Metaebene zur Selbstinszenierung Lindemanns als kaputter, aber potenter Sexteufel beitragen soll.

Doch Zwang kann man in dem siebenminütigen Film nicht ausmachen: Auf einer Pornowebsite würde er unter „rough sex“, und damit in eine der beliebtesten Kategorien eingeordnet werden. Und „Unterwerfung“, auch wenn der Film weit von den konsensuellen, achtsamen Regeln der BDSM-Gemeinde entfernt ist, ist in der Sexualität erlaubt.

Neben den (noch) nicht offiziell erwiesenen Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs, mit denen der Sänger momentan konfrontiert wird, lässt einen dieses Video dennoch verstört und hilflos zurück: Wie kann es in einer Zeit, die stärker als jemals zuvor von sexueller Selbstbestimmung, umfassenden Möglichkeiten weiblicher Selbstermächtigung und sexpositiver Aufklärung geprägt ist, zu dieser Art von Sexnegativität kommen? Gibt es tatsächlich so viele Menschen, deren Lust durch Demütigung getriggert wird? Kann man davon ausgehen, dass junge Frauen in der durch misogyne Machtstrukturen und klassischen Sexismus geprägten Mainstream-Mackerrockszene wissen, was sie tun, wenn sie sich von ihrer Lieblingsband als „auswechselbares Objekt“ inszenieren lassen – vor allem, wenn ihre Schwärmerei sie toleranter gegenüber fragwürdigem Verhalten werden lässt? Und fällt die Verachtung, die die Frauen erfahren, nicht stark auf die Ausführenden, in dem Fall auf Lindemann zurück?

Man würde sich wünschen, dass die schaurigen Vorgänge um Rammstein die Armseligkeit der Gesamtkonstruktion beleuchten – und die machistischen Strukturen im (schlechten) Mainstream-Heteroporno damit endlich nachhaltig erschüttern. Aber zu dieser Art der Erkenntnis bedarf es vermutlich noch einer riesengroßen Menge an Therapiesitzungen.

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