Parole Brandi: Der Ball ist dumm

Unsere Kolumnistin kommt aus der Fußball-Stadt Dortmund. Kein Grund, eine Eloge über den BVB zu schreiben. Oder?

Laut Umfrage auf meinem Social Media Account haben sich die meisten von euch zuletzt eine Kolumne zum Thema „BVB“ gewünscht. Was mich in Schwierigkeiten bringt, um ehrlich zu sein. Sowohl die Bedeutungswucht als auch die Komplexität, beziehungsweise die fehlende Komplexität des Phänomens „Beispielverein Borussia Dortmund“ erschlagen mich. Ich habe keine Ahnung, von welcher Seite ich mich dem Thema nähern soll. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, bin ich eine von vielleicht vier Dortmunderinnen, die sich für Fußball nicht die Bohne interessiert. Und ich meine nicht die Bohne.

Dabei habe ich es versucht! Aber Fußball war immer eine Sache, die in meinen Augen ein so dermaßen überemotionales Versprechen jedes einzelne Mal nicht einlöst, dass es mich Null wundert, dass Männer dahinterstecken.

Männer können übrigens im Fußball alles leben, was sie sich im normalen Dasein nicht leisten können: Emotionalität und grenzdebile Blödheit. „Wäre wäre Fahrradkette“, wer sich vor laufender Kamera mit derlei Sprachblüten entlarvt, ist im wahren Leben, wie mensch im Ruhrgebiet sagt: „Zu allem fähig aber zu nichts zu gebrauchen.“

Oder auch das mit den „großen Emotionen“. Wo sind die zum Beispiel in einer Partnerschaft? Wo sind die, wenn der Mann sich auch mal verletzlich zeigen muss, wenn er eine Niederlage verarbeiten oder sich nicht eingeübte Gefühle eingestehen muss? Warum bekommt das Stadion die Dinge, die Männer traditionell gerne Frauen andichten, nämlich Fühligkeit und Schlichtheit? Es bleibt einfach ein Rätsel.

Ein Sommer mit Andy Möller

Wenigstens ist hiermit bewiesen, dass wir mehr sind als die Prägungen unserer Eltern, denn mein Vater ist als geborener Dortmunder ein Riesen-BVB-Fan, und das hat 0,0 auf mich abgefärbt. Dass er darüber hinaus noch Schlagzeuger ist, das hat wohl schon abgefärbt (siehe vorherige Kolumne), aber seine martialischen Ausbrüche bei einem BVB-Spiel haben mich nicht dazu gebracht, dass ich mich je für diesen Verein interessiert hätte – bis auf diesen halben Sommer im Jahr 1996. Da habe ich kurz gedacht, jetzt muss ich aber mal gucken, was es damit auf sich hat und mir dann diese Sammelkarten mit Bildern von Stéphane Chapuisat, Matthias Sammer oder Andy Möller am Kiosk geholt, von denen ich weder weiß, wo die abgeblieben sind, noch was ich damals damit gemacht habe. Die angeguckt? Erwachsene Männer, ich bin elf, aber sie sind beim BVB, therefore it’s okay?

Was mich am Fußball am allermeisten frustriert, ist seine Unterkomplexität. Da sind elf Männer, die auf dem Platz stehen und den Ball so lange hin und her schachern, bis er halt ins Tor geht – oder nicht. Und das war‘s. Das pure Storytelling im Fußball steht für mich in keinem Verhältnis zu seiner gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Dominanz.

Ich kann mich erinnern, dass mein Vater, wenn der BVB verloren hatte, wirklich tagelang eine dunkle Wolke um seinen Kopf trug und es teilweise heute noch tut. Da muss ich sagen, sowas ist ein metaphysisches Versagen.

Was war zuerst da, die schlechte Laune oder der schlechte Fußball?

Was ich auch schon immer komisch fand: wie Männer sich vor den Bildschirmen zusammenrotten und dann da hineinschreien. In einer Bar, beim public viewing oder zu Hause. Sie werfen den Spielern auf dem Platz auf diesem Wege vor, dass sie das offensichtlich Gebotene gerade unterlassen. Das finde ich absurd. Als Kind zum Beispiel sitzt du daneben und denkst, äh, die können euch doch gar nicht hören …

Ich bekam als eben dieses Kind die Wucht der Emotionen und der lautstarken Forderungen nicht mit der offenkundigen Störung im Sender-Empfänger-Verhältnis zusammen, und deswegen dachte ich, naja, das hier sind ja immerhin Erwachsene, dann gibt es vielleicht einfach doch Magie, dann ist das vielleicht einfach so?

Jedoch, in meinem Leben gab es bislang nicht genügend Vorkommnisse, die das Vorhandensein von Magie gestützt hätten. Die mickrige Anzahl an möglicherweise herbei gebrüllten Freistößen hat mich jedenfalls nicht überzeugt.

Ungelebte Erotik?

Ganz eventuell wäre die Homoerotik im Fußball noch ein Thing, was ich interessant fände. Also Männer, die sich nicht eingestehen, dass sie auf junge Männer stehen. Männer, die sich nicht eingestehen, dass sie auf Jürgen Klopp stehen. Männer, die sich alles Mögliche nicht eingestehen, Gefühle nicht leben können, die sie eigentlich hätten, von denen sie auch gar nicht wissen, dass sie sie haben. Und dass das heimlich doch alles unter der Oberfläche brodelt und sich zu einer erotischen Gerichtetheit verdichtet, die den Mann unterbewusst immer wieder ins Stadion zieht. Das würde mich vielleicht noch bei der Stange halten, aber selbst damit komme ich nicht wirklich weiter, weil der durchschnittliche Dortmund-Fan in Sachen Homoerotik tendenziell dicht macht. Entweder die lachen dich aus oder hauen dir aufs Maul. Besonders mit älteren Männern darüber sprechen zu wollen hat sich als, äh – unergiebig erwiesen.

Ein anderer Ansatz wäre natürlich noch, über den BVB als mittlerweile monströse Firma zu schreiben. Ob dies ein Verein ist, der kapitalistisch noch ekelhafter schürft als andere Vereine, die einem vielleicht „sympathischer“ sind. Das habe ich aber leider auch nie verstanden, wie einem ein Fußballverein „sympathisch“ sein kann oder „unsympathisch“. Klar kann einem der FC Bayern München unsympathisch sein, weil einem einfach reiche, erfolgreiche Männer unsympathisch sind.

Gähn …

Rhythmisch klatschende Einzeller

Ich könnte auch aus so einer entliehenen, altlinken Perspektive was über Vereinsmeierei schreiben, da, genau beim Fußballfan, da fängt der Faschismus an, das hat doch was, oder? Nicht hinterfragte deutsche Vereinsmeierei, ein klares Feindbild, massenhaft Testosteron und viel Alkohol – was soll da schon schief gehen? Selbst Einzeller schaffen intellektuell den Weg zur Südtribüne und wissen, wer der Gegner ist. Und wie lenkbar sind solche Herden von besoffenen Männern eigentlich? Fragwürdig ist übrigens ein von allen verharmloster und tapfer wegignorierte Ritus, nämlich das rhythmische Klatschen in die Hände und das Recken der Arme bei dem Wort „Sieg!“

Sieg? Sieg – was? Geht‘s noch?

Ach, aber mir fehlt schlicht die Energie, jetzt dieses Fass aufzumachen.

Es bleibt festzustellen: Ich als Dortmunderin sollte Fußball mögen, aber ich tu es einfach nicht. Mein Herz schlägt nicht schwarz-gelb, und ich empfinde sie nun einmal nicht, die „Echte Liebe“.

So zumindest habe ich viele Jahre lang gedacht…

Als ich vor geraumer Zeit auf einem USA-Trip so einen stiernackigen Türsteher in Portland, Oregon kennenlernte, der auf den Club aufpasste, in den ich im Begriff war zu gehen, sah ich auf seiner Jeansjacke einen kleinen, schwarzgelben Aufnäher. Der Mann war offenbar glühender BVB-Fan. Ich sagte, dass ich zufällig aus Dortmund sei. Wir kamen sofort ins Gespräch und er gab mir ein Bier aus. Dieser schwarz-gelbe Aufnäher hatte ihm soviel Vorschusssympathie von mir eingebracht, dass ich mich total mit ihm verquatschte und das Tanzengehen völlig vergaß. Am Ende seiner Schicht gingen wir zu ihm nach Hause.

Mittlerweile leben wir in einem Reihenhaus in Witten-Annen und haben elf Kinder, alles Söhne. Wenn die alle halten, was der Trainer uns verspricht, werden mein Mann und ich schon in wenigen Jahren nie wieder arbeiten müssen.

Heja!

 

 

 

 

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