
Alben von Electric Light Orchestra waren wie Luftschokolade
Eine Erinnerung zum unspektakulären Bühnenabschied von Jeff Lynnes wundersamem Electric Light Orchestra.
Im Jahr 1999 brachte Randy Newman eine Platte heraus, „Bad Love“. Darauf ist ein Song über all die Bands, die niemals aufhören. Und Newman zählte auch sich selbst dazu, nur dass er niemals mit einer Band aufgetreten ist und nur sehr selten mit einem Orchester: „I’m Dead (But I Don’t Know It)“.
Im Konzert machte er eine selbstironische Show-Nummer daraus, aber es ist einer seiner traurigsten Songs: „Each record that I make is like a record that I made/ Just not as good.“ Zwanzig Jahre vorher hatte er einen wirklich lustigen Song geschrieben, „The Story Of A Rock And Roll Band“: „They were six fine English boys/ Who knew each other in Birmingham/ They bought a drum and guitar/ Started a rock ’n’ roll band/ And Johnny played a little violin/ And Bobby Joe played the big violin/The one that stands on the floor/ They were all in the rock ’n’ roll band.“
Man hört dann resolut gespielte Violinen. „Right off, they needed a name/ Someone said, ‚How ’bout The Renegades?‘ Johnny said, ‚Well, I don’t know. I prefer E.L.O.‘“
Fantasie eines Stubenhockers
Das ist natürlich alles ausgedacht. Und das Electric Light Orchestra war natürlich gar keine Rock’n’Roll-Band, sondern eine Erfindung von Jeff Lynne, der tatsächlich aus Birmingham kam. Electric Light Orchestra war die Fantasie eines Stubenhockers. Später nannte Lynne eine Soloplatte „Armchair Theatre“. Vom Hügel seines Anwesens blickte er auf Los Angeles. Im Wohnzimmer stand der Goldene Otto von „Bravo“.
ELO gingen 1970 aus The Move hervor, bei denen Lynne, Roy Wood und Bev Bevan gespielt hatten. „Sie wollten da weitermachen, wo die Beatles mit ‚I Am The Walrus‘ aufgehört hatten“, heißt es treuherzig bei Wikipedia. Vielleicht machten sie auch da weiter, wo die Beatles mit „Penny Lane“ und „Strawberry Fields Forever“ nicht aufgehört hatten.
Nachdem Wood 1973 eine Band namens Wizzard gegründet hatte und nahezu alle assoziierten Musiker gegangen waren, bestand das Electric Light Orchestra aus Lynne und dem Trommler Bevan. Lynne schrieb und produzierte alle Songs.
ELO war ein Raumschiff, das von einem Grizzly mit Hut und Sonnenbrille gesteuert wurde. Zu Recht singt Randy Newman: „I love their ‚Mr. Blues Skies‘/ Almost my favorite is ‚Turn To Stone‘/ And how ’bout ‚Telephone Line‘?/ I love that E.L.O.“
Lynnes Meisterwerke „Eldorado“, „A New World Record“, „Out Of The Blue“ und „Discovery“ bestimmten die zweite Hälfte der 70er-Jahre. Jeff Lynne nahm den Rock’n’Roll der 50er-Jahre und ergänzte die Harmonien der Beatles und der Beach Boys. Jeder Song war ein Treffer.
„A New World Record“ hatte Lynne 1976 in einem Münchner Biergarten geschrieben. ELO, das waren Platten wie das längste Eis am Stiel, wie eine riesige Tafel Luftschokolade. Mochten andere die Goombay Dance Band oder Showaddywaddy hören – noch bis „Hold On Tight“ gab es keine besseren Jukebox-Hits als die von Jeff Lynne.
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Ein paar Jahre später klangen plötzlich auch Bob Dylan, Roy Orbison, George Harrison und Tom Petty wie das Electric Light Orchestra. Sie und Lynne nannten sich Traveling Wilburys. Nach der zweiten gemeinsamen Platte starb Roy Orbison.
Randy Newman schrieb 1988 für „Land Of Dreams“ eine Hommage an ELO, „Falling In Love“. Jeff Lynne produzierte den Song.
Bei seiner Abschiedstournee trat Lynne mit ELO an jenem Wochenende in Manchester auf, da sich Ozzy Osbourne in Birmingham mit und von Black Sabbath verabschiedete. Bei Ozzy waren nahezu alle Granden des Heavy Metal anwesend, bei Jeff Lynne hätte man Paul McCartney erwartet.
Lynne war malad, er konnte nicht mehr Gitarre spielen. Das allerletzte Konzert in London musste er absagen. Aber was kümmert es den, der mit dem Raumschiff entschwebt?