Arne Willander schaut fern: „Tina mobil“ – so gut, noch in dreißig Jahren wird man an die Serie denken

Ein Meisterwerk des Kleine-Leute-Films: Die Serie „Tina mobil“, geschrieben von Laila Stieler, in der Mediathek des RBB

Die schönste sogenannte Vorabendserie war in den 70er- und noch in den 80er-Jahren „Drei Damen vom Grill“ mit Brigitte Mira und Günter Pfitzmann. Ewig und drei Tage konnte man dabei zusehen, wie der Hallodri Pfitzmann Würstchen ausliefert und die drei Färber-Frauen eine Imbissbude betreiben. Heinz Oskar Wuttig und Ulrich del Mestre schrieben diese herzhaften Berliner Schwänke.

Man muss daran denken, wenn nun Gabriela Maria Schmeide als Tina Sanftleben mit ihrem Verkaufswagen durch Brandenburg
fährt. Der Kleine-Leute-Film ist ein heikles Genre, denn der Kitsch ist immer nah. Tina wird von der Großbäckerei entlassen, für die sie zwanzig Jahre Backwaren ausgefahren hat. Sie findet keine neue Arbeit und macht sich mit eigenem Bus selbstständig. Sie hat zwei Töchter und einen Sohn, der andere Sohn ist gestorben, darüber ging ihre Ehe in die Brüche. Der Vater der Kinder ist Fensterputzer. Tina hat eine große Klappe, sie ist sentimental, ungerecht, unvernünftig, impulsiv und überfordert, kurz: Bombe.

Niemand kann Alltagsgeschichten so gut schreiben wie Laila Stieler

Niemand kann Alltagsgeschichten so gut schreiben wie Laila Stieler. Seit „Stilles Land“ (1992) hat sie die Drehbücher für den Regisseur Andreas Dresen verfasst, darunter „Willenbrock“, „Gundermann“ und „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“. Es gibt einfach keine falschen Töne in ihren Dialogen. Tina geht von einer kleinen Katastrophe in die andere kleine Katastrophe. Als der „Lütte“ in der Schule wegen Trinkerei und Marihuanahandels verhört wird, hält Tina ein Plädoyer wie im amerikanischen
Filmgerichtssaal.

„Tina mobil“ ist auch eine Meisterleistung der Besetzung: Gabriela Maria Schmeide, eine der besten deutschen Schauspielerinnen, wenn nicht die beste, berlinert unwiderstehlich, nun, echt. Max Hopp spielt Kowalski, den lauernden Leiter der Großbäckerei, der ein Auge auf Maria geworfen hat, als erotischen Faun. Steffi Kühnert, Ursula Werner, Monika Lennartz, Carmen-Maja Antoni, AnneKathrin Gummich und Alexander Hörbe gehören zum Dresen-Stieler-Kosmos, aber verpflichtet wurden diese grandiosen Schauspieler von Regisseur Richard Huber und der im Januar verstorbenen Casting-Koryphäe Simone Bär.

Die sechs Folgen von „Tina mobil“ wurden 2020 gedreht; man kann sie noch einmal in der Mediathek des RBB sehen. Noch in dreißig Jahren wird man an sie denken wie an „Drei Damen vom Grill“.

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