Arne Willander schaut fern: Einmal Mecklenburg und zurück
Annika Pinskes lakonischer Heimatfilm „Alle reden übers Wetter“ ist ein Juwel in der ARD.
Clara (Anne Schäfer) ist Assistentin an einer Berliner Universität, sie promoviert über Hegel. Sie ist 38,
lebt in einer Kreuzberger Wohngemeinschaft, hat eine Affäre mit einem Studenten, und manchmal kommt ihre 15-jährige Tochter zu Besuch, die bei ihrem Vater wohnt. Ihre Mutter lebt in einem Dorf in Mecklenburg, dem Dorf, aus dem Clara stammt. Sie ist nicht entkommen. Sie lebt dort nicht mehr. Zu Mutters Geburtstagsfeier reist Clara mit Tochter Emma. Hauptsache, es regnet nicht.
„Alle reden übers Wetter“ ist nach einigen Kurzfilmen das Spielfilmdebüt von Annika Pinske, die bei „Toni Erdmann“ die Assistentin von Maren Ade war. Der Film zeigt zwei Sphären: die Universitätsroutine, in der das Joviale schnell ins Giftige umschlägt – Claras Doktormutter Margot (eisig: Judith Hofmann) begegnet auf dem Gang einer Gastdozentin (Sandra Hüller), die vor zwanzig Jahren ihre Studentin war und die sie nun nicht erkennt. Sie sei eine schreckliche Dozentin gewesen. „Ja, und jetzt soll ich mich entschuldigen?“
Die andere Sphäre ist die mecklenburgische Provinz. Mutter Inge (Anne-Kathrin Gummich) erkundigt sich nach der Doktorarbeit. „Das dauert ja ganz schön lange.“ – „Kannst ja mal lesen.“ Die Geburtstagsfeier ist ein Dorf- Schwof mit bestellten Buletten und Nudelsalat. Etwas fehlt, Clara will es monieren, aber alle sagen: „Wat soll ’n jetzt der Aufriss? Is doch eh zu viel.“ Man tanzt zu „Tage wie diese“ vom Tonband.
Vielleicht gelingt einem ein so wahrhaftiger Film nur ein Mal
Claras Jugendfreund Marcel führt die Kneipe. Die beiden betrinken sich mit Schnaps, werfen auf die Dart-Scheibe und tanzen umschlungen zu einem sentimentalen Schlager. Marcel hat alles erreicht. Clara will noch etwas erreichen. Es führt kein Weg zurück. Oma und Opa knarzen im Garten, Mutter legt die Wäsche zusammen. Das Wochenende ist vorbei. Clara und Emma fahren nach Berlin. „Habt ihr alles?“
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Annika Pinske kommt selbst aus dieser Region, und sie hat Philosophie studiert. Vielleicht gelingt einem ein so wahrhaftiger Film überhaupt nur ein Mal. Wie Anne Schäfer vor einer Abendgesellschaft an ihren Achselhöhlen riecht. Alle reden in ihren Jargons und spielen ihre Rollen, die Professoren wie die Dorfbewohner. „Du musst dich nicht dafür entschuldigen, dass du noch etwas willst“, sagt Dozentin Margot.
Aber Clara sieht aus, als wäre sie sich nicht so sicher.