Ungenaue Straßenkarte

Mike Evans' Darstellung der New Yorker Musikhistorie ist faktenreich und doch an einigen Stellen lückenhaft

Zum Glück hat dieses Buch einen guten Index. Als reines Nachschlagewerk ist „New York City Rock. Underground und Hype von 1950 bis heute“ (Ventil, 14,90 Euro) nämlich ganz gut zu gebrauchen, von Deckel zu Deckel gelesen ist es eine etwas mühselige Angelegenheit. Mike Evans kennt sich aus in der städtischen Musikhistorie, hat das, was er nicht mit eigenen Augen und Ohren wahrgenommen hat, recht akribisch recherchiert: die ersten tastenden Versuche des Rock’n’Roll durch die Doo-Wopper, den Tin-Pan-Alley-Mainstream, die Inkorporation der „Race Music“, vor allem des Blues, den durch die englischen Beat-Bands aufgescheuchten Garage-Rock der Stooges et alii, die Folk-Bohème in Greenwich Village, die Avantgarde-Szene (von den Fugs bis Velvet Underground) etc. etc. – bis zum Strokes-Hype in der Jetzt-Zeit. Aber es gelingt ihm nicht, seine Fakten, Fakten, Fakten engzuführen, das heißt, sie analytisch auszubeuten oder in eine auch nur halbwegs stringente Erzählung zu verweben. Sein Text bleibt Flickwerk, immer wieder verliert er sich in Aneinanderreihungen von kurzen, oftmals banalen Bandbiografien, die nur lose, wenn überhaupt miteinander verbunden sind. Und nur selten gelingt es ihm wirklich einmal, ein historisches Milieu wieder zum Leben zu erwecken. Am farbigsten sind die Kapitel zur Entstehung der Folk-Gegenkultur mit Dylan als Gravitationszentrum und die Punk bzw. New-Wave-Explosion eine Dekade später, ausgerechnet das sind dann aber die bereits sattsam dokumentierten und interpretierten Paradigmenwechsel der Pop-Geschichte.

Die Anordnung der Kapitel ist chronologisch-genetisch. Evans versucht so etwas wie eine lange Traditionslinie des New York City Rock zu zeichnen, der – so seine These – vornehmlich eine Musik der kleineren Clubs sei. Die zeitgenössische schwarze Musik – also Rap und HipHop – kommt ihm deshalb nur am Rande in den Blick. Zwangsläufig! Hier handelt es sich wohl tatsächlich um zwei alternative Biotope mit immer noch eher geringer Berührungsfläche. Aber wo es so etwas gibt, etwa bei den Crossover-Bands aus dem Def-Jam-Stall wie Public Enemy oder Beastie Boys, da nimmt er sie auch wahr. Beim Heavy Metal hingegen hat er Scheuklappen auf. Der wird von ihm völlig separiert, mit ein paar dürren, ärgerlich idiosynkratischen Worten aus dem Traditionszusammenhang entlassen ganz so, als ob es in diesem Genre keine Club-Kultur gäbe, nie gegeben hätte und die Grenzen zum Punk, Grunge etc. sich nicht längst aufgelöst hätten.

Aber Heavy Metal gehört offenbar immer noch zu den unreinen Berufungen, die der wahre Underground-Zunftgenosse nicht einmal mit der Kneifzange anfasse. Nun, die meisten Leser werden diesen weißen Fleck auf dem musikalischen Stadtplan wohl verschmerzen können. Schwerer wiegen da schon Evans‘ schlichte, wenig nuancierte Wegbeschreibungen. Ständig sind die Songs „heftig“, die Gitarren entsprechend „lärmig“, „kratzig und aggressiv“ oder „verzerrt“, ist das Schlagzeugspiel „treibend“, hört er „pulsierende Beats“ – und einmal sogar „schneidende Bassläufe“. Wie das? Und der Gesang ist einmal zu oft „harmonisch“. Kurzum: ein bisschen mehr Expressivität zumal bei den sprachlichen Annäherungen an akustische Ereignisse hätte dem Buch sicher ganz gut getan – und ein etwas strengeres Lektorat auch: „Geografisch liegt Brooklyn direkt an der Brooklyn Bridge…“ Man dachte sich schon so etwas.

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