Helene Hegemann im Theater – Das wilde Leben im Zitat

Der Regisseur Bastian Kraft hat Helene Hegemanns Anfang des Jahres hitzig diskutierten Roman "Axolotl Roadkill" am Hamburger Thalia Theater auf die Bühne gebracht.

Viele Menschen halten Helene Hegemanns Roman „Axolotl Roadkill“ für eine Art Party-Protokoll aus dem Berliner Club Berghain. Ein Update von „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ mit dem offenbar alles entscheidenden Makel: „Wunderkind hat Roman im Internet geklaut“ („Tagesanzeiger“). Das 17-jährige „Arschkind“ war leider nicht vor Ort, um in Darkrooms und Toiletten authentische Dinge zu tun. Stattdessen verließ sich die Autorin auf ihre sprudelnde Fantasie und das Fachwissen des Bloggers Airen. Allerdings ohne Quellenangabe. Die altehrwürdigen Feuilletonisten, die das Wunderkind vorher angebetet und besungen hatten, tobten und schrien danach wochenlang durcheinander, wie Schüler in den Umkleidekabinen einer Turnhalle. Dass „Axolotl Roadkill“ in der ersten Hälfte ein sensationelles, in der zweiten Hälfte immerhin noch ein gutes Buch ist, das hat lange Zeit keinen mehr interessiert.

Jetzt hat der junge Regisseur Bastian Kraft Helene Hegemanns Roman für das Hamburger Thalia Theater bearbeitet. Seine Inszenierung, die Ende November Premiere feierte, ist ein fabelhafter, höchst unterhaltsamer Remix, der die Handlung strafft, einzelne Stellen herausarbeitet – auf Fremdtexte aber komplett verzichtet: „Sonst wäre das in der Rezeption wieder das Hauptthema gewesen“, glaubt Kraft. Dabei hat sich Helene Hegemann immer zum Prinzip des Samplings und des kreativen Diebstahls bekannt: „Ich bediene mich überall, wo ich Inspiration finde und beflügelt werde, Mifti. Filme, Musik, Bücher, Gemälde, Wurstlyrik, Fotos, Gespräche, Träume … weil meine Arbeit und mein Diebstahl authentisch werden, sobald etwas meine Seele berührt. Es ist egal, woher ich die Dinge nehme, wichtig ist, wohin ich sie trage.“ „Es ist also nicht von dir?“ „Nein. Von so ’nem Blogger.“ Das Publikum lacht an dieser Stelle, viele glauben, das sei ein Witz, ein Kommentar zur Debatte. Aber genau so steht es im Roman.

„Der Grund, eine Bühnenfassung zu machen, war vor allem die Stärke der Sprache, die neue Textform, die Helene Hegemann gefunden hat“, sagt Regisseur Kraft. Und diese Sprache ist ein wildes Brodeln, ein abenteuerlicher Mix aus Internet-Jargon, Theorie-Sprech und Teenager-Gebrabbel. Die renitente Heldin Mifti hat eben viele Stimmen in ihrem Kopf – und wird deshalb von fünf Schauspielern verkörpert, darunter auch ein Mann. Alle auf unterschiedliche Weisen großartig, fahren sie fast pausenlos auf einem Laufband am Publikum vorbei. Die einzelnen Szenen sind dadurch sehr pointiert, extrem schnell getaktet und erinnern so an eine Revue.

Die Identitätskrise eines Teenagers wird auf diese Weise auch zum Modell für Erwachsene, die ihr Leben nicht kategorisieren lassen möchten – wer weiß schon immer ganz genau, wer er ist und was er will? „Irgendwann empfindet Mifti das nicht mehr als Mangel, sondern ihr gefällt der Gedanke, dass sie sich so von der Konvention befreien kann, immer authentisch sie selbst sein zu müssen“, behauptet Regisseur Kraft, der in Miftis spielerischer Einbildungskraft auch eine Nähe zu Alice im Wunderland erkennt. Der Autorin hat die Inszenierung übrigens gut gefallen. Sie amüsierte sich offensichtlich. Ein Happy End für „Axolotl Roadkill“.

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