Björk :: Selmasongs

Kino im Kopf: Der Soundtrack zu "Dancer In The Dark" ist kongenial

Es war, so hört man, ein zwischenmenschliches Debakel. Der visuelle Sonderling Lars von Trier trifft auf den auditiven Sonderling Björk, und das doch eigentlich verbindende Heim im künstlerischen Abseits wird zum Ort eines Geschwisterkrieges. Björk ist zu schwierig, von Trier verlangt zuviel, Abbruch, öffentliche Verunglimpfung, die Kunst, man weiß das, die verlangt schon ihre Opfer.

Nachdem die Leichen gezählt und die Wunden geleckt sind, werden sich wohl beide übers gemeinsame Werk „Dancer In The Dark“ freuen. Lars von Trier über ein Filmwunder, Björk über ihre Darstellung der tragischen Heldin Selma – und auch über den Soundtrack, den die begabte Dame in Personalunion bestellte. „Selmasongs“ heißt das Album, und es ist weit mehr als eine Pflichtbeschallung geworden. Björk unterwirft in sieben Liedern den eigenen Hang zum musikalischen Experiment der emotionalen Weite des Films: Raus muss die Kälte der Maschinen, rein darf die analoge Wärme eines großen Filmorchesters. Björk vermählt der Aufgabe gemäß Stilgriffe des klassischen Musicals mit dem obligaten digitalen Produktionsdesign und setzt Selmas Eskapismus um in freundlich assoziative Klänge von anheimelnder Wärme und großer emotionaler Dichte, die tief berührt.

Mittendrin „I’ve Seen It All“, bei dem Thom Yorke – allerdings ohnehin omnipräsent und der Sänger, dem die Frauen vertrauen – das wohl überraschendste Duett der letzten Zeit wahr werden lässt: Zu einer Melodie, die einem in ihrer schlichten Schönheit den Atem nimmt, singen die beiden Meister der Introspektion ein Lied übers Augenlicht, das Ewiges weiß und Endliches schaut – man möchte in die Hände klatschen, um die Magie herauszulassen, in so einer Art Übersprunghandlung: Man flöge doch weg, wenn man bloß stillhielte. Also klatscht man, windet den Kopf wie Stevie Wonder und sieht den Himmel offen.

Wie ein Soundtrack klingt „Selmasongs“ übrigens gar nicht. Natürlich schwelgt das uneingeschränkt standardgemäß werkelnde Orchester, aber das könnte auch ein Stil-Accessoire sein, das Björk auf der eigenen ewigen Klangreise kurz ins Gepäck geladen hat – schließlich turtelte die Künstlerin auch schon bei „It’s Oh So Quiet“, dem verwirrend beschwingten Sonderlied des Albums „Post“ von 1995, mit Musical-Motiven. Außerdem musste man sich bei Björk den Film ja ohnehin immer denken, um überhaupt eine Chance in den obskuren Assoziationsdschungeln der Isländerin zu haben.

Und so ist „Selmasongs“ ein erstaunlich zugängliches Kino im Kopf, ein mächtiger Klangwald windrauschender Unsagbarkeiten – und eines der besten Alben, die Björk unter vielen guten Werken je gemacht hat.

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