Jon Muths Graphic Novel „M“ :: Zeitloser Untergang

Was für ein wahnwitziges Konzept: Da nimmt sich einer Fritz Langs Filmklassiker „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ von 1931 vor, um ihn im stillen Medium Comic neu zu inszenieren, ausgerechnet Längs ersten Tonfilm also, in dem sich der von Peter Loire unvergleichlich verkörperte Kindermörder durch das Pfeifen eines Liedes verrät. Dafür bittet Jon J Muth Freunde, Familienmitglieder, Schauspieler und Fremde, in seiner Heimatstadt Cincinnati einzelne Passagen nachzuspielen; er fotografiert diese Reenactments und macht sich anschließend mit Graphit, Silberstift, Ölfarben und anderen Maltechniken ans zeichnerische Werk; zwei Jahre sollte ihn diese Arbeit in Anspruch nehmen. Der i960 geborene Comic-Künstler und Illustrator hat seiner Graphic Novel „M“ (Cross Cult, 25 Euro) eine faszinierende Tiefenschärfe und Vielschichtigkeit verliehen und zugleich einen Dialog zwischen unterschiedlichen Kunstformen angeregt. Die kinematographische Vorlage, in der die soziale Verfasstheit am Vorabend der faschistischen Machtübernahme bereits anklingt, wird zur Abfolge von ebenso berückenden wie beunruhigenden Panels; das stilistische Nebeneinander von expressionistischer Lichtsetzung und Neuer Sachlichkeit vereint sich bei ihm zu einem ausgeblichenen Fotorealismus, der einzelne Motive farblich akzentuiert, Konturen verwischt und eine durchweg zwielichtige Atmosphäre erzeugt. Muth gelingt dabei das Kunststück, Längs Meisterwerk neu zu lesen, gar zu ergänzen und doch nie zu verfälschen oder plump zu aktualisieren. Vielmehr wird die Jagd nach dem Mörder durch postmoderne Verfremdungen zu einer quasi zeitlosen Reflexion über Schuld und Verantwortung, individuelle und staatliche Gewalt, Paranoia und Denunziation.

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