Abstraktion mit Gefühl

Auf dem ersten regulären Album nach vier Jahren glänzt BJÖRK wieder mit köstlichen Irritationen

Jaja, wir müssen alle sterben. Das anhaltende Gejammer der Plattenindustrie über den drohenden Untergang, lakonisch kommentiert von einer, der im allgemeinen ja eine gewisse Gasförmigkeit nachgesagt wird.

Eisfee, Waldprinzessin, Elfenkönigin – wir kennen das, müssen aber nicht. Björks Verbundenheit mit ihrer isländischen Heimat, exzentrische Reaktionen wie Journalistenkloppe und ihre kindhaft erscheinende Sicht der Welt und der Dinge darin mit dem verschlissenen Mäntelchen der Ignoranz zu bedecken – das ist für jene, die ihr Heil lieber in Schubladen aufbewahren, als sich etwas köstlicher Irritation hinzugeben.

Björk ist ein seltsamer Popstar. Nicht nur das Gegenteil all dessen, was momentan den Popstar-Begriff vor sich her trägt wie ein Brustimplantat, auch unter erprobten Exoten die einzige ihrer Art. Gutmundsdottir, nicht Ciccone – aber schon glamourös, wenn sie barfuß auf der Bühne steht. Macht sie Roboter-Liebe im Video, kriegt die Kunstwelt sich nicht ein. Trägt sie etwas wie das serpentinenförmige Schwanenkleid bei der „Oscar“-Verlosung, sieht die aufgedonnerte Zelebritätenmeute aus wie Lieschen Müller. Jäckchen mit Puffärmeln und Satinkleid in gedeckten Tönen trägt sie mit dem lässigen Alltagsflair von Jeans unfd T-Shirt. Konzentriert und mit einer Hingabe, die für einen Popstar fast unanständig erscheint, erklärt Björk die Koordinaten ihrer Musik. Das kann durchaus die notorische E- und U-Musik-Debatte streifen. Wenn sie sich mit dem US-Elektronik-Duo Matmos Kollaborateure auf das neue Album holt, die derzeit zum Abstraktesten gehören, das zu haben ist, dann ist nicht etwa „Grenzüberschreitung“ ihr Ziel: „Ich weigere mich einfach, die neuen, allgemein als abstrakt geltenden Musiken als solche zu hören“, erläutert sie. „Natürlich ist Matmos‘ Musik bis zum gewissen Grad abstrakt, aber nur über den Kopf funktioniert sie auf keinen Fall. Sie hat viel Gefühl und Humor. Wir sind zuerst mal fast ein Jahr lang zusammen um die Häuser gezogen, haben geredet, getrunken solche Sachen, bevor die Arbeit begann. Wenn ich die Menschen nicht kenne, mit denen ich arbeite, kann ich mich auch nicht öffnen.“ Man glaubt ihr das aufs Wort.

„Hspertine“, das aktuelle Album, ist wieder einmal die Übererfullung aller Erwartungen an ein neues Björk-Werk, die nach jedem Vorgänger ohnehin übergroß scheinen. In diesem Fall gab es vor kurzem allerdings nicht „nur“ ein (Soundtrack-) Album, sondern auch den brillanten Film „Dancer In The Dark“. Björk scheint unberührt von jeglichem Druck seitens ihres Publikums. Sie klingt eben so, wie sie wohl ist: Schillernd, komplex und spielerisch bringt sie die verschiedensten Facetten zusammen, wie andere einen Strauß binden. Folk, für Björk. Pop, forsure. Alltagsmusik aus Alltagsgeräuschen. Gar nicht gewöhnlich allerdings.

„Mir ist die Musik wichtig, sonst gar nichts“, bringt Björk den Gedanken zum großen Plattenfirmensterben zu Ende. „Und die Musik wird überleben – egal, was passiert. Es ist noch nicht so lange so, dass Musiker zur Spitze der gesellschaftlichen Pyramide gehören. Wenn wir uns zum nächsten Interview nicht mehr in einem teuren Hotel, sondern in einem Zelt treffen sollten – mir soll’s recht sein!“ Mir auch.

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