Aus nächster Nähe

Jon Avnet

Warten auf die Tränen. Im vergangenen Jahr weinten wir bei „Die Brücken am Ruß“, davor trocknete immerhin das Ende von „Schlaflos in Seattle“ unsere feuchten Augen. Es ist bald wieder Herbst. Zeit für ein Melodram. Hat eine Frühlingsliebe den Sommer nicht überlebt, könnte eine Romanze mit Hollywood kurzweilig die Löcher im Herzen stopfen.

Give me some illusion, baby!

Das Kino ist größer ab das Leben, da es die Summe seiner Teile sowie eine Symbiose von Erfahrungen und Erfindungen darstellt Es kann ängstigen und erheitern, polarisieren und belehren, erschüttern und unterhalten. Ein Thriller aber bleibt stets ein Thriller, selbst authentische Fakten zeigen nur einen Ausschnitt innerhalb dramaturgischer Fiktion. Man erhält eine Vorstellung davon, wie es sein könnte. Nur das Melodram steht nie im eigenen Recht Denn es spielt mit Gefühlen, die jeder irgendwie erlebt hat und die unsere wunden Herzen berühren. Es bewegt, weil wir Situationen zusehen, die unser Schicksal ungeklärt läßt; und weil die Liebe hier Wege geht, die unser Leben nicht zuläßt Wäre es nicht tröstlich zu wissen, was ein geliebter Mensch nach der Trennung empfindet, aber einem nicht sagt? Wer wünscht sich nicht, nach viel Schmerz und Streit zum Happy-End zu kommen – oder einen Verlust immerhin mit Würde und Mut zu tragen? Das Leben mag die besseren Geschichten schreiben, die romantischeren passieren im Kino. Ein Humphrey Bogart, der wie in „Casablanca“ edel auf lnrid Bergman verzichtet, ist kaum im Leben zu finden. Kopiert das Leben das Kino, wird auch daraus wieder Kino. Meg Ryan schluchzt in „Schlaflos in Seattle“ über „Die große Liebe meines Lebens“ mit ihrem Traummann Cary Grant Im Kino heult man miteinander – im Leben gegeneinander „Aus nächster Nähe“ begann im Leben von Jessica Savitch. Die Nachrichtensprecherin von NBC war populär, schön und reich. Sie verliebte sich in ihren Förderer, hatte nach der Trennung einen Nervenzusammenbruch und starb bei einem Autounfall. Biographien enthüllten den desolaten Charakter der Karrierefrau, ihren rüden Ehrgeiz, ihre jähzornigen Attacken und selbstzerstörerische Kokainsucht Ihr Ehemann erhängte sich. Ein Leben wie aus dem Drama „Ein Stern geht auf“ (1937) von William Wellman – also sollte auch Savitch ins Kino. Disney kaufte das Drehbuch. Und obwohl Ali McGraw mit ihrem Tod in „Love Story“ Millionen rührte, wollte das Studio seine Figur nicht sterben lassen. So wie Disney aus dem Drehbuch „3000“ über eine verzweifelte Hure, die aussteigen will, die Liebeskomödie „Pretty Woman schuf, blieb von der Savitch-Story nach rund 30 Entwürfen „Aus nächster Nähe“ übrig. Regisseurjon Avnet wäre alles andere zu depressiv gewesen. Schon in „Grüne Tomaten“ und „Das Baumhaus“ ging es ihm um versöhnliche Gefühligkeit statt Seelenpein.

„Aus nächster Nähe“ handelt vom Flair. Der ist mit dem TV-Milieu ohnehin bemüht. Die Sinnlichkeit dazwischen liegt in den Gesichtern von Robert Redford und Michelle Pfeiffer. Redford ist der letzte Lakoniker unter den alternden Superstars. Ein handsome guy, der seine Rollen nur noch mit seinem milde-männlich zerrütteten Gesicht ausfüllt, hinter dem vor allem junge Frauen verklärte Väterattribute wie Weisheit, Unabhängigkeit, Stärke und Erfolg vermuten. So diente er mit gebieterischer Gelassenheit in Filmen wie Jenseits von Afrika“, „Havanna“ und „Ein unmoralisches Angebot“, und daher ist er der geeigneste für den Part des Warren Justice. Der Nachrichtenleiter einer lokalen Fernsehstation in Miami nimmt die unbedarfte Tally Atwater unter seine Fittiche. Michelle Pfeiffer, Hollywoods hinreißendste, hingebungsvollste Gespielin, gibt der Figur ihren unbeirrbaren Liebreiz und unbekümmerten Aufstiegswillen. „Sie frißt das Objektiv“, verteidigt Warren seine Novizin, obwohl die ehemalige Schönheitskönigin und Casino-Angestellte aus der Provinz als seine Assistentin versagt und als Wettersprecherin ein entzückendes Desaster ist Schonungslos schult er die zähe Tally zur Spitzenreporterin, wofür sich die Blondine ihre Haare tönen läßt und mehrmals die Frisuren wechselt So funktioniert auch der Film: schön anzusehen und über die Oberfläche ins Herz. Die Kamera liebt Michelle Pfeiffer, und Tally dankt Warren für seinen Drill mit Liebe. Jessica Savitch wurde einst von ihrem Mentor mißhandelt. Redford rutscht immerhin einmal die Hand aus. Die Sequenz wurde herausgeschnitten.

Statt dessen läßt Regisseur Avnet sein Traumpaar während der Flitterwochen durch wildromantische Urlaubsbilder beim Baden, Kuscheln und Grillen am Strand hopsen. Das Ende segnet diese Sehnsucht ab. Als einstiger Korrespondent im Weißen Haus gerät Warren durch Tallys Erfolg in eine Midlife-crisis. Als Kriegsreporter sucht er eine Herausforderung. Sie trägt ihm am Flughafen noch seine Boots hinterher…

„Aus nächster Nähe“ ist eine soap opera und weit weg vom Leben. Tragischer Kitsch. Schämen Sie sich für ihre Tränen!

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