Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Song To Bobby

Bei Bob Dylans Auftritt im Mainzer Volkspark sind auch wieder all die Folklore-Dylans da, die um die Veranstaltung herum Lieder des Sängers darbieten und daran erinnern, wie die von der drolligen Sphinx regelmäßig auf der Bühne geschredderten Lieder ursprünglich mal klangen.

Folge 184

Im nahen Außenbereich eines Cafés sitzt eine Truppe, die zur Schrammelgitarre „Like A Rolling Stone“ intoniert; nach dem Auftritt kreuzt ein Instagram-Hippie-Paar auf, das „Oh, Sister“ in formvollendeter Zweistimmigkeit darbietet. Derlei Verhalten wäre bei Shows von, sagen wir: Paul McCartney einigermaßen sinnlos. Da Dylan aber bekanntlich die Jukebox verweigert und wenig am Konzept der Werktreue interessiert ist, haben die begleitenden Auftritte singender Fans für manch einem Zuschauer wohl eine Trost-Funktion: Wenn der Schöpfer seine Songs schon nicht mehr so spielt, wie es sich gehört, laufen immer noch genug Imitatoren herum, die sich um die Angelegenheit kümmern.

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Bob Dylan selbst kommt überpünktlich um 19 Uhr auf die Bühne geschlurft und eröffnet wie seit Jahren mit „Things Have Changed“. Das ergibt Sinn: Die Dinge ändern sich ja ständig, immer ist irgendwas. Und so ganz nebenbei ist es natürlich auch ein wunderbarer Eintrag ins Buch der Nachschrammler. Gleiches gilt für „It Ain’t Me, Babe“, diese fröhliche Beschwörung des Nicht-zur-Verfügung-Stehens, bei der Dylan aufs Schönste sein gefürchtetes Tatütata-Tastenspiel erklingen lässt.

Weitere Höhepunkte sind eine verstiegene Fassung von „Don’t Think Twice, It’s Allright“ und als Finale „Gotta Serve Somebody“, dem ein Instrumentalpart kredenzt wird, der an eine Katzenmusik-Variante von Thin Lizzy gemahnt. Bei „Like A Rolling Stone“ versuchen ein paar besonders Engagierte mitzuklatschen. Stimmlich wählt der Meister dieser Tage einen Ausdruck, der irgendwo zwischen dem wilden Heulen der 70er und der Grunz-Phase des vergangenen Jahrzehnts liegt.

Bob Dylan als Wanderzirkussänger

Aus der Ferne erinnert der Mann, der sich fast während des gesamten Auftritts hinter seinem Flügel verschanzt, manchmal an den Bob Dylan der Rolling-Thunder-Ära, deren Irrsinn Martin Scorsese kürzlich in einer großartigen Netflix-Doku nachzeichnete. Auch am Merchandise-Stand sind fast ausschließlich Produkte zu erstehen, die jener Ära huldigen, in der sich Dylan mehr als Wanderzirkussänger mit Schminkfimmel verstand.

Von dem Furor jener Tage ist heute natürlich nichts zu spüren. Der unermüdlich reisende Dylan wirkt heute, mit 78, wie ein vergrummelter Bar-Sänger, der auch in irgendeiner Südstaaten-Pinte aufspielen könnte, und das ist ein absolut sinnstiftender Entwurf. Vorne an die Rampe kommt er fast gar nicht mehr, der Aktionsradius der Musiker auf der Bühne ist deutlich eingeschränkter als noch vor ein oder zwei Jahren. Um Dylan muss man sich indes keine Sorgen machen: Seine gesanglichen Phrasierungen klingen so spontan wie eh und je, man spürt, wieviel Freude er daran hat, die vertrauten Wort-Girlanden immer neu umzuhängen.

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Als das Konzert um kurz nach neun endet, ist es immer noch hell. Während man sich noch mit zahllosen Englischlehrern und Alt-Hippies in der Nachbesprechung befindet, rollt Dylans Nightliner vom Gelände. Auf zu neuen Abenteuern, in die nächste seltsame Stadt.

Bob Dylan ist auch beim Konzert von Cat Power in der Kölner Live Music Hall anwesend. Schon relativ früh singt Chan Marshall ihren „Song to Bobby“, eine nicht besonders gute, aber in seiner Unverstelltheit berührende Ode an das Idol: „I’ve always wanted to tell you / But I never had the chance to say / What I feel in my heart from the beginning till my dying day“.

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Man kann an diesem Abend die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören. Marshall, unterstützt von einer Gitarristin, einer Schlagzeugerin und einem Gitarristen/Keyboarder, beginnt unglaublich leise – und wird zusehends leiser. Stellenweise wähnt man sich in einer konzertlangen „Twin Peaks“-Szene.

Der Plan geht auf: Man hängt der im Halbdunkel über die Bühne schleichenden Sängerin für die volle Länge des Konzerts an den Lippen. Oder studiert ihre Spleens: Marshalls Bühnen-Gebaren schwankt immer noch aufs Schönste zwischen Verhuschtheit und Diventum. Die Interaktion findet primär zwischen ihr und dem Tontechniker statt, dem sie während des gesamten Konzertverlaufs gestenreich das korrekte Lautstärkeverhältnis ihrer beiden Mikrofone zu vermitteln bemüht ist.

Cat Power beschenkt ihr Publikum

Irgendwann nehmen die Dinge etwas mehr Fahrt auf – nicht, daß es das gebraucht hätte! –, aber bald schon ist man wieder zurück in Twin Peaks, wo die Stecknadeln fallen. Am Schluss steht Marshall am Bühnenrand und flüstert hippie-eske Love- und Dankesbekundungen in den frenetischen Jubel. Beim letzten Mal verteilte sie an dieser Stelle Blumen aus dem Backstageraum ans Publikum. Und, als die Blumen aus waren: Taschentücher.

Draußen vor der Halle ist niemand bemüht, gitarrespielend die Erinnerung an die frühe Chan Marshall aufrecht zu halten. Was ein bisschen schade ist.

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Er sei immer noch auf der Suche nach dem Heiligen Gral, sagt Dylan am Ende der Rolling-Thunder-Doku und formuliert damit wohl nicht nur sein, sondern das Credo zahlreicher tourender Musiker. Er wird ihn weder in Mainz, noch in Stuttgart und auch nicht beim Konzert im Londoner Hyde Park gefunden haben. Zum Glück nicht. Aber zwei Tage nach der Show in Mainz hat er – nach Jahren! – mit „Ballad of a Thin Man“ einen neuen Eröffnungssong aus dem Hut gezaubert. Wie gesagt: Ständig ist was!

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