Das letzte große Sofa-Solo

Das legendäre Game „Guitar Hero“ wird 2011 nicht mehr neu aufgelegt – dabei hieß es doch stets, Musikspiele seien die Zukunft des Pop-Business. Ist die tolle Geschäftsidee schon am Ende?

Der „Guitar Hero“ hat seinen Schlussakkord gespielt – die Meldung ging im Februar durchs Netz wie ein Kugelblitz. Konnte das sein? Eben noch hatten alle ihre Lobeshymnen auf den Erfolg des sogenannten Music Gaming gesungen, Steven Tylers digitale Lippe bestaunt und Green-Day-Songs auf Plastik-gitarren nachgespielt. „Guitar Hero“ (die Mutter des Genres) oder „Rock Band“ (der Nachfolger), ganz egal – endlich mussten wir auch beim Konsolenspiel nicht mehr auf gute Musik verzichten. Im Gegenteil: Wir konnten sie sogar selbst fabrizieren. Oder es uns zumindest einbilden.

Auf Nachfrage beeilt sich Herstellerfirma Activision Blizzard mit einer Klarstellung: Die Meldung zum angeblichen Ende von „Guitar Hero“ besage nur, dass im Jahr 2011 kein neues Produkt der Marke veröffentlicht werde. Ob es also 2012 weitergehe? Dazu will sich der Game-Multi nicht äußern. Dass dessen Chef Robert Kotick – einer der am meisten gefürchteten Männer der Branche – seine Geschäfte ohne große Rücksicht auf Sentimentalitäten führt, ist bekannt: Auch das Funsport-Spiel „Tony Hawk“, jahrelang Herzstück des Activision-Angebots, wurde vom Markt genommen. Vor dem Hintergrund des miesen Geschäftsjahres kann „Guitar Hero“ kaum Musik in den Ohren des rigorosen Spielführers sein. Dass die Geschäfte beim Music Gaming nicht gut laufen, weiß man – auch die letzten „Rock Band“-Editionen waren keine Hits. Aber warum ist es „Guitar Hero“ so besonders schlecht ergangen?

Das Problem sei nicht zuletzt hausgemacht, glaubt der deutsche Branchenexperte Tom Putzki. „Der Hype hat sich ausgebrannt. Die Geschäfte, die Activision sich vorgestellt hat, sind nicht mehr realisierbar.“ Putzki ist Chef einer Consulting-Firma, die Unternehmen der Games-Branche berät, und Mitbegründer von G.A.M.E., dem Bundesverband der Entwickler von Computerspielen. „Nachdem ‚Rock Band‘ am Start war, kam doch im Bereich der Rhythm und Music Games praktisch alle zwei Monate eine Neuveröffentlichung zum Vollpreis heraus. Wer soll denn das alles kaufen?“, fragt er. Außerdem erkennt Putzki eine etwas unglückliche Verengung der Zielgruppen: „Wenn eine Metallica-Edition auf den Markt kommt, sind doch vor allem Fans der Band angesprochen, die aber gleichzeitig Gamer sein müssen. Da ist die Schnittmenge überschaubar.“ Nach allem, was man hört, blieben auch die Verkaufszahlen der Beatles-Edition bei „Rock Band“ hinter den Erwartungen zurück – bei Lizenzgebühren von angeblich zehn Millionen Dollar.

Überhaupt: die Lizenzen. Wenn „Guitar Hero“ alle paar Wochen neue Songs zum Download anbietet (übrigens auch für die absehbare Zukunft), braucht es dafür nicht nur den üblichen Programmieraufwand – auch die Künstler und Verlage halten die Hand auf. Wohl hört man ab und zu, wie Musiker exklusive Songs bereitstellen oder Bands wie Aerosmith über „Rock Band“ plötzlich eine jüngere Kundschaft erschließen. Die Lizenzen drücken trotzdem dauerhaft aufs Geschäft. Denn natürlich muss ständig neuer Content her – sonst steht die Plastikgitarre bald in der Ecke. Musikspiele sind vor allem Partyunterhaltung, Karaoke mit Instrumenten. Immer dasselbe Lied nachturnen? Langweilig.

Der Pionier „Guitar Hero“ scheint auch aus anderen Gründen ein Problemfall zu sein: Nachdem die Entwicklerfirma Harmonix Music Sys-tems ihr Spiel 2006 an Activision verkaufen musste, entwickelte sie die Idee weiter – und kam 2007 mit „Rock Band“ auf den Markt. Jetzt konnten mehrere Spieler gleichzeitig an verschiedenen Instrumenten spielen – was „Guitar Hero“ ein bisschen alt aussehen ließ. „Das sehe ich nicht so“, widerspricht Greg LoPiccolo, Senior Vice President bei Harmonix. „Beide Spiele vermitteln sehr unterschiedliche Spielerlebnisse.“ LoPiccolo räumt ein, dass die Verkäufe derzeit nicht besonders gut seien, sieht aber langfristige Perspektiven: „Music Gaming ist schon jetzt ein wichtiger Faktor für die Musikindustrie und eröffnet völlig neue Möglichkeiten, Fans und Musiker in Verbindung treten zu lassen. Wir haben jede Menge Ideen, das Genre weiterzuentwickeln – mit ‚Rock Band‘, aber auch mit völlig anderen Spielen.“

Tatsächlich eröffnen die Eingabemöglichkeiten der Wii-Konsolen sowie von PlayStation Move und Xbox Kinect neue Horizonte. Es wird Zeit für das nächste Level – womöglich zieht sich Activision auch deshalb zurück. „Music Gaming ist nicht am Ende“, konzediert auch Linda Breitlauch, Professorin für Game-Design in Düsseldorf. Sie sieht sogar einen ganz neuen Gamer-Typus. „Ich sehe bei meinen Studenten eine große Musikaffinität. Diese Gamer-Generation klebt nicht mehr an den Sesseln, um nachts auf Highscore-Jagd zu gehen. Sie ist vielseitig interessiert und spielt gern in Gemeinschaft. Die Klischees stimmen nicht mehr.“

Für die Zukunft sieht Breitlauch die Chance, dass die für das Music Gaming entwickelten Eingabemöglichkeiten bald eine Rolle für den Musikunterricht eröffnen – interaktive Lernvideos also. Auch las man nach dem Release von „Rock Band“ von steigenden Verkäufen echter Instrumente. Das wäre ganz im Sinne der Harmonix-Entwickler, die selbst Musiker sind. „Wir haben haufenweise Geschichten von Gamern, die über, Rock Band‘ zum Musikmachen gekommen sind“, sagt LoPiccolo. Ein pädagogischer Auftrag? Dann muss „Guitar Hero“ gerettet werden!

Plastik-Pop

Es klang bescheuert: Würden sich Game-Freunde Plastikgitarren umschnallen, um sich per Knöpfchen durch ihre Lieblingssongs zu hangeln? Tatsächlich wurde „Guitar Hero“, 2005 eingeführt, zum Riesenerfolg für Game- und Musikbranche. Über 35 Millionen verkaufte Spiele meldete Activision Blizzard noch 2009, Special Editions mit Metallica, Slash oder Nirvana (u.) stürmten den Markt – vorübergehend.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates