DAVID BOWIE

Hat Bowie zuviel Lynch geschaut, oder hat Lynch zuviel Bowie gehört? Schwer zu sagen, wer mehr Einfluß auf den anderen ausübt, auf jeden Fall haben die beiden Davids eine ähnliche Auffassung davon, was Kunst zu leisten hat. Schocken und immer weiter gehen muß sie, gerne darf sie sich später einmal als nicht haltbar erweisen, solange sie nur nicht im Moment ihrer Aufführung langweilt, sondern die Rezeptoren in Schwung hält. Veränderung ist alles, Sicherheit nichts. Und schon verloren hat im Pop, wer glaubt, es gäbe da so etwas wie eine sichere Nummec Denn die fuhrt immer in die Sackgasse.

David Bowie aber düst den Highway runter. Die Richtung ist dabei erst mal egal, Hauptsache, der Mittelstreifen flackert wild und erregt die Sinne wie die Titelsequenz von David Lynchs „Lost Highway“, in der Bowie seinen Song „I’m Deranged“ singt. Wenn man sich in dem schönen Geschwin digkeitsrausch mal verliert, hat man immerhin die Chance, sich später einmal wirklich wiederzufinden. Dann fühlt man sich wie neugeboren – das ist der Punkt auf den Bowie zurast. Nur kein alter Sack will er sein, auch wenn er bereits ein halbes Jahrhundert alt ist.

Deshalb beginnt er sein Konzert in Hamburgs Club Großer Freiheit, das kurzfristig als deutscher Tour-Auftakt anberaumt wurde, mit „I’m Deranged“, und an diesem Abend präsentiert ihn Bowie als Breakbeat-Stakkati – ein Club-Konzert im wahrsten Sinne des Wortes. Ein paar Tracks später bläst er berstend das Saxophon, erst Tenor und dann Bariton, und dabei bewegt er sich wie der Schauspieler Bill Pullman, der in „Lost Highway“ einen Free-Jazzer mimt.

Eine verwirrende Angelegenheit ist dieser erste Teil des Auftritts, in dem Bowie gerne mal aus dem Spotlicht heraustritt ins DunkeL Als Workshop in Sachen Drum’n’Bass ist das Set angelegt, in dem der Engländer vertraute Songs wie „V-2 Schneider“ im unvertrautenJungle-Gewand spielt Plakativ unplakativ, sozusagen. Und als er nach einer knappen Stunde für eine Pause von der Bühne geht, ist es nicht er, sondern sein Publikum, das ziemlich derangiert ausschaut.

Bowie nimmt in Kauf, sein Publikum durcheinanderzubringen. Auf Oldie-Paraden könnte er eine stattliche Rente einfahren, indem er alte Hits runterhaut. Doch der Pop-Künstler scheint mehr daran interessiert, seine aufgeschlosseneren Anhänger mit sich zu ziehen in eine Zukunft, die so aufregend zu werden verspricht wie es die Vergangenheit war. Da läßt es sich nicht vermeiden, ein paar ewig Gestrige zu verprellen. Als Indiz für diese Taktik muß auch die Tatsache gedeutet werden, daß er darauf verzichtet hat, Lou Reed in seine Tourband aufzunehmen. Das war ursprünglich geplant und hätte die Produktionskosten nur unwesentlich erhöht. Nichts gegen Reed, aber der knorrige Rock-Prediger würde die Live-Auffuhrung in die falsche Richtung treiben. Was nicht bedeutet, daß Bowie ganz mit seiner Vergangenheit bricht. Wie sollte das auch gehen bei jemandem, für den die Reihung von Brüchen eine Form der Kontinuität darstellt?

Als Bowie nach der kleinen Verschnaufspause zurück auf die Bühne der Großen Freiheit kommt, singt er den Klassiker „The Man Who Sold The World“ – um später im Programm seinen neuen Techno-Rocker „Telling Lies“ folgen zu lassen. So geht es dann die nächsten eineinhalb Stunden. Glam-Rock in seiner reinsten Form wie das zwirbelnde Stück rjean Genie“ trifft auf ausgetüftelten Drum’n’Bass-Pop im Stil von „Satellites“ oder „Little Wonder“. Der Gitarrist Reeves Gabreis und Pianist Mike Garson, zwei alte Wegbegleiter, halten dabei der neuen Elektronik^ alte Eigentümlichkeiten aus Bowies riesigem ästhetischen Fundus entgegen.

Dem Chef selbst, der sich da elegant auf der Bühne wiegt, geht natürlich nie die Luft aus. Der wächst mit der Aufgabe, Parallelen in den auseinanderstrebenden Stilen aufzuzeigen. Er wächst so sehr, daß die für seine Verhältnisse eh viel zu kleine Bühne des Kiez-Qubs ganz unter seinen Füßen verschwindet Da ist nur noch David Bowie im Raum, so nah und doch in weiter Ferne. Anfassen ist bei so einem natürlich nicht.

Der Mann wechselt die Stile so oft wie die Tönung für seine Haare – seine Identität formt sich darunter aber nur um so stärker aus. Er ist einer der wenigen im Pop, die alles mitmachen, dabei jedoch konsequent einen Status ab Autor behaupten. Deutlich zeigt dies ,JZarthUng“, sein aktuelles Album – das beste seit „Scary Monsters“. Drum-’n’Bass liefert hier die Kulisse, vor der sich dieser ehrenwerte Selbstdarsteller mal wieder perfekt in Szene setzen kann. Wo etwas In der Luft liegt, da ist auch David Bowie anzutreffen.

Klar, daß er mit The Prodigy auf Open-air-Tour geht. Bei ihnen glaubt er ein Publikum zu finden, das auch für ihn attraktiv ist. Schließlich rast der Berserker lieber auf verlorenen Highways, als in geordneten Bahnen zu tuckern. Und die Engländer bringen die Kids mit hochgepitchten Techno-Rock dazu, ihre Schule abzufackeln und ihre Eltern zu verkaufen.

Vor so was hat Bowie Respekt. Deshalb ist es für ihn selbstverständlich, daß Prodigy zwei Tage später beim Auftakt des „Go-Bang!“-Festivals in Lübeck nach ihm spielen. Die Band aus Essexjagt über die Bühne, schlägt zu stets überdrehten Beats ihre Birnen gegen die Bühnenwand. Diese Musik ist ganz einfach, und sie wird zweifellos die Stadien für den Techno öffnen. Prodigy haben ihr neues Album noch nicht draußen, aber selbst neue Stükke wie „Mindfields“, nicht unbedingt das beste der Band, werden vom Publikum wie alte Hits gefeiert Aber wahrscheinlich interessieren sich die Kids sowieso am meisten dafür, welche Haarfarbe der Komiker Keith Flint gerade trägt.

Eine Frage übrigens, die auch David Bowie nicht nebensächlich finden dürfte. Denn Style ist für ihn ein wichtigerer Maßstab als Soul. Durch Mode, so weiß er, kannst du dich objektiv unterscheiden, Seele aber beansprucht jeder Idiot für sich. Natürlich: Bowie hat schon alles gesehen und gehört, aber das reicht ihm nicht Wenn da irgendwo ein neuer Tanz aufgeführt wird, will er wissen, was es damit auf sich hat. So funktioniert der Klassiker „Fashion“ auch bei seinem Auftritt in Lübeck als Imperativ, sich mit aktuellen Trends auseinanderzusetzten. Erstaunlich, wie dieser quietschende und zickende New-Wave-Song noch immer zu strahlen vermag.

So wie der Mann, der ihn singt. Auch der sieht prächtig aus, als er sich da oben in einem wehenden weißen Leinenanzug im Abendrot wiegt Das Publikum vor der Bühne, im Durchschnitt wohl noch etwas jünger als Bowies Sohn, schwankt zwischen Respekt und Begeisterung, und ab der ältere Künstler „All The Young Dudes“ anstimmt, fühlt sich das an, als umarme ein Vater seine Kinder. Insgesamt gibt sich Bowie milder als in Hamburg. Das Repertoire ist komprimiert, die Drum’n’Bass-Beats klingen vermittelnder. Auch auf der großen Festivalbühne läßt er seiner Bassistin Gail Ann Dorsey einige große Auftritte, etwa bei „Under Pressure“. Ein bißchen süßlich vielleicht klingt dieser vom Baß getriebene Hit, doch die jungen Menschen liegen sich selig in den Armen.

Ganz zum Schluß rollt Bowie ein paar riesige Bälle auf die Bühne, die aussehen wie aus dem Kopf gekratzte Pupillen. Erst hopst er lustig darauf rum, dann wirft er diese monströsen starren Augen ins Publikum. Als wäre David Lynch ein Animateur in Disney World.

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