Denk-Zettel

Zu Beginn der sechziger Jahre drehten sich Pop-Lyrics fast nur - und meistens sehr oberflächlich - um romantische Themen. Erst durch den Einfluss von Bob Dylan fand die Popmusik zu Hirn und Eloquenz.

Während die einen drüben auf ihrer Insel noch fröhlich „„she loves you yeah yeah yeah“ jubilierten, waren die anderen in den Folkzirkeln von New York schon damit beschäftigt, in ihren Songs den Lauf der Welt zu reflektieren. „Masters Of War“ statt „„Baby I Love You“. Vor allem einer war es, der dem Pop die Fähigkeit zur lyrischen Differenzierung federführend implantierte: Bob Dylan. Als Songwriter schöpfte er aus dem reichen Humus der amerikanischen Folktradition. Musikalisch bediente er sich dabei so ungeniert bei alten Vorlagen, wie das Folksänger schon immer getan hatten. Egal ob es sich um englische Volksweisen oder überlieferte Songs aus den Appalachen handelte, Leute wie Dylan spielten sie, versahen sie gelegentlich mit neuen Textzeilen und aktualisierten sie so für ihr Publikum. Und selbstverständlich übernahmen sie dabei auch als Dichter die journalistische Perspektive, die archaischen Musikformen wie Folk und Blues schon immer zu eigen war.

Die Folgen: Als Dylans „„Blowin‘ In The Wind“ 1963 in der Version von Peter, Paul & Mary zum Welthit wurde und Vertreter der jungen, gesellschaftskritischen US-Folkszene – etwa Joan Baez, Tom Paxton und Phil Ochs – im Kielwasser von Dylan allmählich Pop-Status erlangten, inspirierte deren zeitkritisches Werk auch die junge Beat- und Rockszene. Allen voran natürlich die englischen Trendsetter jener Tage, Beatles, Stones, Kinks und andere. Ab etwa 1965 eiferten diese nun dem gottgleichen Guru Dylan nach, der seinerseits just in jenem Jahr aus der engen Folkgemeinde ausgebrochen und zum Rocker konvertiert war. Wie wichtig der Text sein konnte, demonstrierte er im Promofilm zu „Subterranean Homesick Blues“, als er die Worte auf Papier schrieb und in die Kamera hielt – nachhaltige Denkzettel für die Popgemeinde.

Prompt tauchten in den Charts erste sozialkritische Texte auf, Barry McGuires „„Eve Of Destruction“, „„My Generation“ von The Who oder auch die Singles der Kinks, bei denen Ray Davies mit scharfem Blick die sozialen Begleitumstände des british way of life erkundete („„A Well Respected Man“). Die Beatles bekamen plötzlich philosophische Anwandlungen („“Nowhere Man“) und machten aus der leidigen Einkommenssteuer griffigen Pop („“Taxman“), während die Stones mit „„Paint It Black“ ganz allgemein schwarz malten und in „„Satisfaction“ genervt ihren Zivilisationsfrust rausließen.

Mit der rasend schnellen Evolution des Beat zur komplexen, sich aus allen Stiltöpfen bedienenden Rockmusik und der parallelen Etablierung des Album-Formats erweiterte sich das Spektrum auch der Texte bis in Bereiche, die bis dahin ein Fall fürs Feuilleton gewesen waren. Dass einer wie Pete Townshend mit der Rockoper „Tommy“ gleich auf vier Plattenseiten eine komplizierte Geschichte mit sozialkritischen Bezügen erzählte, war schon 1970 nichts Besonderes mehr. Rocklyrics galten schließlich längst als Spiegel der Zeit. Dylan allerdings sang derweil lieber „Lay, Lady, Lay“ und schrummelte mit Johnny Cash Countrysongs. Er hatte ohnehin genug Jünger gefunden. Und der Pop hatte das Denken inzwischen gelernt.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates