Desperados im Lotterbett

Die Anzüge der Tindersticks sind immer faltenfrei, aber die Personen darin sehen ziemlich zerknittert aus. Verschnupft, übermüdet, verkatert. Und der Tag, den Stuart Staples nicht mit einer Kopfschmerztablette beginnt, ist ein verlorener Tag. Mit seinem kleinen Pop Orchester bewältigt er am liebsten Aufgaben, die gar nicht zu bewältigen sind. Das treibt ihn in einen virtuellen Wahn, die Grundlage für alles Schaffen der Tindersticks ist Ohne Selbstaufgabe keine Selbstfindung, ohne Leiden kein Drang.

„Ballad Of Tindersticks“ heißt der zum Beispiel und befindet sich auf dem neuen Album. Staples nuschelt einen Reisebericht über das Dasein zwischen den Orten, Wurlitzer und Geige hallen aus der Ferne wie in einem schlechten Traum. Manhattan, I«A., Vegas, überall springen die Briten kurz aus dem Flieger, und dann, verschnupft und übermüdet und mit zerplatzenden Champagner-Perlen im Schädel, zurück nach London: „We are artists, we are sensitive and important.“ Die Tindersticks machen ein Riesen-Theater um ihr Riesentheater, und sie sind die ersten, die sich darüber lustig machen.

Überhaupt kichert Stuart Staples viel, wenn er nicht gerade seine Elegien auf der Bühne auffahrt. In der Bar des Londoner Institute of Contemporary Art will er mir jetzt erklären, daß es doch nun wirklich nicht auf einen Song ankommt: „Das Arrangieren des Songs ist wichtiger als er selbst. Einen Song schreiben kann schließlich jeder. Well, hihihi.“

Staples hat wieder mal ein paar Nächte nicht geschlafen. Gerade sind die Aufnahmen zu „Curtains“ abgeschlossen, dem bislang ambitioniertesten Werk. Doch statt sich ein paar Wochen Ruhe zu gönnen, haben die Tindersticks im Anschluß einen fünftägigen Konzert-Zyklus im Institute of Contemporary Arts anberaumt, bei dem sie ihr Repertoire mit changierender Instrumentierung durchspielen wollen. Wie das alles klappen soll, weiß Staples nicht, aber Sorgen macht ihm das keineswegs: „Wir suchen nach excitement. Deshalb war uns auch die Arbeit an dem Soundtrack zu dem Film ,Nenette Et Boni‘ wichtig. Früher haben wir nur in Alben gedacht, auf einmal mußten wir jedoch den Fokus auf kurze Sequenzen legen.“

Eine Erfahrung, die sich auf das neue Album niedergeschlagen hat, doch man muß bei den pointierten Arrangements genau hinhören, um Änderungen mitzubekommen. Denn erst mal scheint in der Welt der Tindersticks alles beim alten: Staples gibt den Desperado und singt davon, wie er es mit seiner Geliebten auf dem Boden des Badezimmers treibt.

Die Aufnahmen waren wieder der totale Irrsinn. Ein bißchen Selbstausbeutung, ein bißchen Odyssee, ein großes Abenteuer. Dave Boulter, der musikalische Leiter, berichtet: „Wir waren mit dem kubanischen Trompeter Jesus Alemany und seiner Band im Studio, von denen sprach keiner Englisch. Jedes Detail wurde so zur riesigen Sache.“

Pragmatismus ist für die Tindersticks ein Sakrileg und der Teufel ein Ökonom. Magie, sagen sie, läßt sich nicht in Pfund aufrechnen. Apropos: Wie kam dieses Kitsch-Gemälde, das man für zwei Pfund in einem Ramschladen erstehen kann, auf das Cover des ersten Albums? „Wir haben es zur Zeit der Aufnahmen in einem chinesischen Restaurant gesehen. Das mußten wir unbedingt haben, aber der Besitzer wollte es nicht verkaufen. Nachdem wir ihm 15 Pfund gegeben hatten, durften wir es wenigsten fotografieren.“ Ach ja, eingekleidet werden sie von Timothy Everest.

Der Tag, den Stuart Staples nicht mit einer Kopfschmerztablette beginnt, ist ein verlorener Tag.

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