Scorpions – Tourstart im Ausland

Deutschlands erfolgreichster Rock-Export tut sich schwer in der Heimat. War das der Grund, daß die Scorpions ihren Tourstart ins Land des Classic Rock legten?

Der Teenager mit dem lila Haarzopfund den kahlrasierten Seitenpartien gibt sich sichtlich Mühe, gelangweilt aus der Wäsche zu schauen. Oben auf der Bühne singt ein schon etwas betagterer Sänger Zeilen wie „The bitch is hungry“ oder „Bad boys running wild“ – und unten im Publikum grölen sie alle begeistert mit. Unser Alternative-Jünger aber mag nicht mitsingen: Nein, da kaut Mike Lubow lieber gelangweilt sein Chewing Gum. Eine lokale Radiostation in El Paso hatte den 14jährigen Mike und Hundert andere Hörer eingeladen, die Generalprobe vor dem offiziellen Tour-Start mitzuerleben. Aber Mike will eigentlich nur mal so gucken, weil in der Grenzstadt am Rio Grande sonst herzlich wenig los ist. „Auf CD klingen sie ja noch ganz gut, aber auf der Bühne…“ Er zuckt mit den Achseln. „They’re gettin kinda old, you know.“ Mit anderen Worten: „They suck.“ Beavis & Butthead wären stolz auf ihn. Die Band hat sich nach dem Gig unter die wahren Fans gemischt. Gilbert, 17 Jahre alt und ein Autogramm in der zitternden Hand, ist noch ganz aufgedreht – für ihn sind die Scorps nämlich die Größten: „Die sind schon so lang dabei. Und sind noch immer klasse.“ Die so Belobigten machen derweil, was (auch) von ihnen verlangt wird – und signieren vollschlanken Damen die Hinterteile ihrer Shorts. Klappern gehört zum Geschäft. Und in lausigen Zeiten wie diesen, in denen einst etablierte Rock-Veteranen über Zuschauer-Schwund jammern, muß halt noch lauter geklappert werden. Die Arenen wollen gefüllt werden. Sicher, daheim in Hannover und dem Rest der Republik hat man nach langjähriger Ignoranz nun doch akzeptiert, daß die Scorpions Deutschlands erfolgreichster Rock-Export sind. Die Stadien-Tourneen in den USA, Rußland oder Asien haben selbst ihren ärgsten Kritikern wie dem „Spiegel“ Respekt abgenötigt. Nur liegen die goldenen Zeiten der Kraut-Rock-Pioniere schon etwas länger zurück. Der andauernde Alternative-Boom hat die Scorpions und andere Hardrock-Schlachtschiffe in die zweite, wenn nicht gar dritte Reihe zurückgedrängt. Die Kollegen vom amerikanischen ROLLING STONE amüsierten sich unlängst über die Schicksalgemeinschaften alter Männer, die im Doppelpack noch einmal US-Hallen füllen wollen: Boston probieren’s mit Cheap Trick, REO Speedwagon mit Styx. Und auch die Scorpions haben (für viel Geld) vorsichtshalber Alice Cooper als zweites Zugpferd für ihre zweimonatige US-Tour eingekauft. „Uns ist allen klar, daß wir nicht mehr den Stellenwert haben wie vor zehn Jahren“, sinniert Klaus Meine in einem ruhigen Moment während der Proben. „Diese Tour wird kein Spaziergang. Andererseits: Das war es nie. Wir müssen hier wieder richtig ackern.“ So kennt man die Jungs, so sind sie zu Hause oft belächelt worden: ab grundsolide Rocker, die richtig arbeiten, um den Erfolg herbeizuzwingen. Meine, der schon den grundsoliden Berti Vogts samt Nationalmannschaft und unlängst auch Henry Maske mit geballter Sangeskraft anfeuerte, sieht auch die neue Tour als sportliche Herausforderung: „Mal bist du oben, mal unten. Die Leute haben schon vor zehn Jahren geschrieben, wir sollten endlich abtreten. Aber ab und zu schießen die Scorpions doch wieder ein Tor. Und kommen vielleicht sogar ins Finale.“ Die Stimmung im Trainingslager in El Paso ist jedenfalls locker und optimistisch. Ihre jüngste CD „Pure Inshnct tastet sich weltweit in die Charts vor, ihr neuer Heuler „You And I“ wird im deutschen Radio wieder rauf- und runtergedudelt. Gut, auswärts muß noch ein bißchen trainiert werden. In den USA haben sie das härtere „Wild Child“ ausgekoppelt – und Gott sei Dank, seufzt Meine, hätten schon mehr als 150 Radio-Stationen die Nummer auf die Playlist gesetzt. Solche Songs hören eben nicht nur Texaner gern, wenn sie bei 40 Grad im Schatten über den Highway brettern. Es ist die bekannte Mischung aus pumpendem Wucht-Rock und altbewährter Macho-Erotik: wilde Liebe am Sonntagmorgen, die Betten brennen, die Nachbarn beschweren sich – und die Cops sorgen, wie gemein!, für einen Koitus interruptus. Aber daß deutsche Kritiker solch derben Stoff abwechselnd als Proleten- oder Schweine-Rock ausgemacht haben, hat sich bis Amerika noch nicht herumgesprochen. Langzeit-Fan Art Soto (42) hat zu den Proben gleich seinen siebenjährigen Sohn mitgenommen, auf daß auch aus ihm ein aufrechter Scorpions-Gefolgsmann werde. Der Knirps hält sich zwar ständig die Ohren zu, aber Daddy hat trotzdem keine Zweifel, daß es ihm gefällt. Viermal hat Soto bereits Rudi und seine Freunde in El Paso erlebt. Sein rhetorischer Kommentar nach der gelungenen Generalprobe: »They still kick ass, don’t they?“ Meine nennt das ein „positives Wir-GefuhL In unseren Songs zeigt der Daumen nach oben, bei den Alternative-Bands meist nach unten. Mit Texten wie: 4 hate myself and wanna die‘ kann ich nichts anfangen.“ Nein, Scorpions-Songs symbolisieren heute wirklich nicht mehrden Tritt in den Arsch der Eltern. Im Gegenteil: Die Chauvi-Zeilen erinnern Papi an Zeiten, als er zu solchen Songs noch stolz seine Matte schwang. Und auch Mutti macht auf fröhlichen Headbanger, weiß sie doch, daß die Scorps im Herzen wilde Romantiker sind, die obendrein noch bessere Schnulzen schreiben als Elton John. Meine und Co. waren schon immer Meister des gutbürgerlichen Crossover – was auch erklärt, daß sie nach 25 Jahren im Geschäft nicht wie Iron Maiden, Judas Priest und all die anderen Grusel-Metaller in die Bedeutungslosigkeit abgedriftet sind. Früher hat sich Meine oft aufgeregt, wenn ihm vornehmlich deutsche Journalisten vorrechneten, auf den Platten seien mehr Balladen als Rock-Nummern; heute reagiert er auf den Vorwurf gelassen. „Ich kann damit leben, wenn man uns Mainstream nennt. Und die Debatte um den Balladen-Prozentsatz war doch ein Witz. Es ist dumm, sich auf eine Ausdrucksform zu beschränken.“ Dumm waren auch die hochgesteckten Erwartungen ihres damaligen Managements, den Mega-Erfolg von „Wind Of Orange“ auf dem Folge-Album fortsetzen zu können. Statt dessen kam 1993 die Flaute: „Face TheHeat“hatte trotz politisch korrekter Statements zum Rechtsradikalismus nur mäßigen Erfolg. Die Scorpions machten sich ans Ausmisten: neue Plattenfirma, neuer Manager, neuer Promoter. Das neue Team hat die Aufgabe zu lösen, eine Band, die ihre CD-Cover nach wie vor mit nackten Frauen schmückt und obendrein Stiefeletten mit Schlangenhaut-Muster trägt, unter Artenschutz zu stellen – und wieder auf Erfolgskurs zu bringen. In El Paso scheint es zu klappen. Mit James Kottak, dem neuen Power-Paket an den Drums, geben sie vor 9000 Zuschauern Gas wie einst im Mai. Sogar der Typ mit dem „I hate myself and want to die“-Shirt schreit sich die Seele aus dem Leib. Vielleicht gibt’s für die Scorpions doch ein Leben nach Nirvana.

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