Die eigenen Songs neu erfinden: Sean O‘ Hasan und seine Band High Llamas

Sean O Hagan sieht aus wie Detlef Buck, aber er redet fünfmal so schnell. Es sind noch Vorbereitungen für das Konzert seiner High Llamas am Abend zu treffen, doch vorher muß er noch dringend Auskunft übers neue Album „Hawaii“ geben, und die Security in der Londoner Sony-Filiale hat mit ihren umständlichen Sicherheits-Checks für reichlich Verzögerung im Zeitplan gesorgt.

Sean erzählt. Von Gott, der Welt und nebenbei auch von Musik: vom Free-Jazzer Albert Ayler und den befreiten Rockern MC 5, von der Einmaligkeit des Fall-Chefs Mark E. Smith und der Trostlosigkeit des Britpop. Er erzählt von seiner ersten Band, Microdisney, die nie den großen Durchbruch schaffte und deren phänomenale Platten jetzt auf dem Creation-Sub-Label „RevOla“ wiederveröffentlicht werden, und er erzählt von den Erfahrungen, die er jüngst als Gastmusiker von Stereolab oder Palace gesammelt hat. Der freundliche Ire imitiert Stimmen, zieht wilde Grimassen und schliddert – by the way von einem Thema ins nächste.

Alles liegt O’Hagan am Herzen, aber ein Punkt besonders. Als wir über „Gideon Gaye“ sprechen, das letzte High Llamas-Album, wird seine Stimme bestimmt. „Ich hatte die Songs von Brian Wilson im Kopf und die Arrangements eines Burt Bacharachs und versuchte, ihre Vorgehensweise mit der Cut-Up-Technik eines Holger Czukay zu kreuzen. Statt die Songs hintereinanderzustellen, nahm ich sie komplett auseinander, spielte sie rückwärts und setzte sie dann wieder neu zusammen. Ich erfand also sozusagen meine Stücke neu.“ Hierzulande fand das Album, in nur zehn Tagen für gerade mal 2500 Pfund produziert, wenig Beachtung. Die Fans der Beach Boys goutierten O’Hagans Talent als Songwriter, andere nannten „Gideon Gaye“ exzentrisch und geschmäcklerisch. Kaum jemand bemerkte, daß hier jemand die Prinzipien des Pop mit dessen eigenen Mitteln und Methoden hintertrieb. Auf die traditionellen Schemata von Strophe und Refrain verzichtete O’Hagan beizeiten, und so entstand ein Flow aus Harmonie und Geräusch, in dem die Zwänge des Popsongwriting außer Kraft gesetzt wurden. Jeder Song kann potentiell in die Unendlichkeit verlängert werden und korrespondiert mit einem anderen.

Da behagt O’Hagan natürlich nicht die Idee der Single-Auskopplung. Doch „Checking In“ mußte dran glauben, hierzulande kam der Song sogar in die Top 100. „Wenn du ihn im Radio hörst, glaubst du nicht, daß er auf unserem Album ist.“ Derartige Zugeständnisse müssen die High Llamas wohl auch weiterhin machen. Mit „Nomads“ koppeln sie einen äußerst radiotauglichen Song aus „Hawaii“ aus – während das neue Album die Idee des Vorgängers konsequent fortführt. 74 Minuten lang ist das Werk, 29 Stücke umfaßt es, kein Instrument wird generell ausgeklammert. Opulente Streichersätze. Bigband-Swing und Banjo-Picking – alles findet Platz. „Ich liebe es, multiple Signale auszusenden. Mich reizt nun mal die Idee, melodische soundscapes aus verschiedenen Klangquellen zusammenzusetzen.“ Während mich der heißgeredete Künstler an der Tür des Büros verabschiedet, mahnt er: „Vergiß ja nicht die wichtige Musik aus Deinem Land: Can, Faust. Und, ach ja, Burt Bacharach war wirklich ein Revolutionär!“

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