Die Leben der Anderen

Als James Brown am ersten Weihnachtsfeiertag im Alter von 73 Jahren starb, hinterließ er nicht nur unzählige Songs – sondern auch das Ende für einen Film. „Durch seinen Tod hat sich alles verändert“, meint Regisseur Spike Lee, der Browns Leben von der bitterarmen Kindheit in Georgia bis zu den Gipfeln des Ruhmes verfilmen möchte. „Sein Leben besaß nun mal eine ungeheure Dynamik“, bestätigt Produzent Brian Grazer. „I m einen Moment wird er im Kennedy Center geehrt, im nächsten wandert er ins Gefängnis. Alles in seinem Leben war polarisiert.“

Der noch namenlose Streifen gehört zu einer Flut von Filmbiografien (siehe Kasten), die im Gefolge von Kassenschlagern wie „Ray“ (2004) und „Walk The Line“ (2005) gedreht werden — und die ihrerseits den Plattenverkauf ankurbeln: Johnny Cash, der 2003 starb, stand letztes Jahr mit 4,8 Millionen Alben, darunter mehreren Greatest-Hits-Kompilationen und dem von Rick Rubin produzierten „Atnerican V-A Hundred Highways“, auf Platz 2 der amerikanischen Verkaufslisten. Erst nach seinem Tod merkten die amerikanischen Landsleute, was sie an dem Bewahrer folkloristischen Liedguts (aber auch an dem Frömmler, Patrioten und Nashville-Outlaw) gehabt hatten – oder hätten haben können.

Der Cash-Film ist freilich fast ebenso geschönt wie „Ray“, an dessen Klitterung der Namensgeber noch persönlich beteiligt war. Der Filmkritiker David Thomson wies daraufhin, dass dies eine nahezu fiktive Filmbiografie sei – Ray Charles‘ schwere Rauschgiftsucht, sein skrupelloses womartizing und seine hemmungslose Egozentrik fehlen in der anrührenden success story. Das Publikum bedankte sich für so viel Rücksichtnahme und bewunderte Jamie Foxx für seine virtuose Anverwandlung, die dem Schauspieler schließlich auch den Oscar einbrachte.

„Nach ‚Ray‘ war sonnenklar, dass sich mit Biopics eine Menge Geld verdienen lässt“, meint Duncan McGillivray, Koproduzent eines Marvin-Gaye-Films, der 2008 in die Kinos kommen soll. „Wir rechnen mit einem weltweiten Publikum.“ Musikalische Beraterin bei dem Film, der Gayes größte Hits in Originalversion präsentiert, ist Roberta Flack. „Roberta war eine Freundin von Marvin“, erklärt McGillivray. „Sie wird dafür sorgen, dass musikalisch alles passt.“ Das gilt vermutlich nicht für das Privatleben des gebeutelten Mannes, der eine Weile so wenig begehrt war, dass er in Belgien und Deutschland für kleinste Plattenfirmen schundige Alben aufnahm und erst mit „Sexual Healing“ wieder in den öffentlichen Blickpunkt rückte —kurz vor seinem Tod. Fans der Who – die allerhand Opern, Musicals und DVD-Retrospektiven gewohnt sind -werden sich über „See Me, Feel Me: Keith Moon – Naked For Your Pleasure“ freuen, ein Filmprojekt über den wilden Drummer, das nach über zehn Jahren 2009 endlich abgeschlossen sein soll. Moon, der 1978 mit 32 Jahren starb, wird von dem Komödianten Mike Myers gespielt. „Keith schleppte ungeheuer viel Frust mit sich rum“, erzählt Koproduzent Roger Daltrey. „Er war manisch-depressiv, ein Intellektueller, ein verdammtes Genie. Mike hat das Talent, diese enorme Bandbreite darzustellen.“ Berühmt wurde Myers in den 90er Jahren mit seinen „Austin Powers“-Agentenfilm-Persiflagen; in dem Film „Studio 54“ über den gleichnamigen New Yorker Nachtclub gab er genialisch den durchgeknallten Betreiber des Etablissements – möglicherweise die Qualifikation für die Darstellung von Moon, der allgemein als der irrste und durchgedrehteste aller Rockmusiker gilt, erratischer noch als Rolling Stone Brian Jones, dem mit „Stoned“ ein filmisches Denkmal gesetzt wurde.

Das Brown-Projekt ist schon seit über einem Jahrzehnt in Planung – seit der Zeit, als Grazer für den Eminem-Film „8 Mile“ recherchierte. „Ich fing an, mich für Public Enemy, Wu-Tang und Run DMC zu interessieren“, so Grazer. „Alle Musiker, die ich traf, verwiesen auf James Brown und seinen Einfluss. Das ging mir nicht mehr aus dem Kopf.“

Nachdem er 1999 die Rechte an Browns Lebensgeschichte und Katalog erworben hatte, heuerte Grazer Browns langjährigen Freund Al Sharpton als Berater an und fing an zu graben. „Sharpton lieferte uns Einblicke in James‘ Arbeitsethos“, erzählt er. „Zum Beispiel, als er während eines Auftritts in einen Nagel trat. Das Blut tropfte ihm aus dem Schuh, aber er machte trotzdem weiter.“ Obwohl die Hauptrolle noch nicht besetzt ist, weiß Lee eines ganz genau: „Wer immer es sein wird, er wird nicht selbst singen. Wir wollen James Brown nicht personifizieren— wir wollen rüberbringen, was diesen

Mann im Kern ausmachte und wie er seine Zeit prägte.“ Browns Tod wird Brian Grazers Bemühungen sehr wahrscheinlich befeuern — bald werden die Greatest-Hits-Sammlungen und Anthologien—von denen es sowieso bereits Hunderte gibt – ins Kraut schießen. Der hardest working man in showbusiness hätte für so viel Eifer vermutlich Verständnis gehabt —wie gern hätte Brown an seiner Legende mitgeschrieben!

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