Die Tour ist längst vorbei, doch selbst beim großen Kehraus sind die Rolling Stones noch immer für Schlagzeilen gut

Sollte alles nur Nepp gewesen sein? Alles Bluff und blanke Berechnung? Der „Spiegel“, auch in punkto Popmusik selbsternannter Grabhüter der Wahrheit, glaubte der staunenden Nation einen Skandal Marke „Neue Heimat“ enthüllen zu müssen: Teile der „‚Voodoo Lounge“-Show seien nicht live, sondern unter Zuhilfenahme von Samples zustande gekommen. Und da, wie der Berliner „Tip“ richtig konstatierte, „alle Nachrichtenagenturen und Provinzredaktionen wie geblendete Hasen nachbeten, was Hamburg vorkaut“, durften wir es am nächsten Tag auch den Schlagzeilen der Boulevardpresse entnehmen: Die Stonts haben geschwindelt! Mein Gott, war das ein Schock! Daß die Stones bereits ihre letzte Tour mit einer einminütigen Bandeinspielung („2000 Lightyears From Home“) begannen, daß moderne Stadion-Shows ohne „click tracks“ und andere Errungenschaften des digitalen Zeitalters überhaupt nicht mehr vorstellbar sind – das wurde zu Gunsten „der harten und wissenschaftlichen Recherche“ generös unter den Teppich gekehrt. Ganz zu schweigen davon, daß der „Ethos des Handgemachten“ im Rahmen einer hochtechnologischen Rock’n’Roll-Revue ebenso deplaciert ist wie ein Grammophon in der Ära der Multimedia-CD. Wer live erlebt hat, mit welch göttlicher Treffsicherheit die zugeknallten Herren Wood und Richards noch immer die falschen Noten treffen, kann angesichts der „Spiegel-Enthüllungen“ nur müde lächeln. Bei Milli Vanilli wäre so eine ungesampelte Schlamperei jedenfalls nicht passiert… Weit interessanter wäre es gewesen, hätte sich die geballte investigative Kraft des „Spiegel“ einem anderen Thema gewidmet. Die Schlammschlacht hinter den Kulissen ist nämlich noch längst nicht beendet Die deutsche Veranstalterbranche hatte bekanntlich unisono aufgeheult, als nicht einer der ihren, sondern Branchen-Nobody Hermjo Klein und „German Tours“ den Zuschlag bekamen. Stellvertretend für seine Kollegen schoß Promoter Marek Lieberberg mit spitzen Pfeilen: „Während jeder halbwegs nach wirtschaftlichen Grundsätzen kalkulierende Promoter bei den völlig überzogenen Forderungen der Rolling-Stones-Vermarkter passen mußte, gefiel sich die Garde der Gescheiterten in der Pose des Pokerspielers, der auf Bluff setzt, weil er nichts zu verlieren oder einen dummen August als Investor in der Hinterhand hat.“ Mag sein, daß persönliche Ressentiments solch blumige Worte in Lieberbergs Feder fließen ließen; sachlich hingegen liegt er mit seinen Vorwürfen gar nicht so daneben. Denn siehe da: Der „dumme August“, den Lieberberg als Finanzier im Hintergrund vermutete, meldete sich zu Wort. Gunnar Weeke, ein westfälischer Industrieller, hatte mehrere Millionen in die Tour investiert – natürlich in der Hoffnung auf einen schnellen und substanziellen Profit. Als dieser aber nach Tour-Abschluß partout nicht fließen wollte, verschickte seine Kanzlei „Granas 8C Döring“ einen JPfandungs-Überweisungs-Beschluß“ – adressiert an örtliche Stones-Veranstalter (weil man dort noch existente Gelder vermutete), tatsächlich aber gerichtet an Tour-Promoter „German Tours“. Bei Redaktionsschluß wollten Weekes Anwälte den Sachverhalt nicht offiziell bestätigen („Wir benötigen dazu das grüne Licht unseres Mandanten“), doch hinter den Kulissen ist es kein Geheimnis, daß die rigorosen Forderungen von „Voodoo Lounge“-Tourchef Michael Cohl (man munkelte von 97 Prozent der Netto-Gesamteinnahmen, nach Abzug der örtlichen Kosten) tatsächlich häßliche Löcher in die Endkalkulation gerissen haben. Michael Cohl wird es wenig kratzen, daß sich seine deutschen Partner nun in die Haare kriegen. Im Gegenteil. Das von ihm praktizierte Modell, unter Ausschaltung etablierter Veranstalter Konzerte an den Meistbietenden zu verkaufen, dürfte den Test bestanden haben. Den Stones-Auftritt in Wolfsburg verdealte er so ohne Mittelsmänner direkt an VW – und freute sich über zusätzliche Gewinnmargen. Die von VW beauftragte PR-Firma „Team Albrecht“ hatte schon früher versucht, Konzerte in Eigenregie durchzuführen, um so die ungeliebten Promotoren zu umgehen – im Falle von Genesis und Elton John allerdings vergeblich. Sollte das Beispiel Schule machen, werden herkömmliche Konzertveranstalter noch mehr mit den Zähnen knirschen. Dann werden wir für unsere Gartenparty die Stones engagieren – und der Veranstalter muß draußen bleiben. BG

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