Die Wildheit des letzten Albums konnte Tom Waits seinen filigranen Mit-Musikern nicht vermitteln

BERLIN, THEATER DES WESTENS. Es gibt natürlich ein großes Hallo und viel enthusiastischen Applaus, als Tom Waits die Bühne des Berliner Theater des Westens betritt Für die vielzahlig (aber nicht ausschließlich) anwesenden Bildungsbürger und Pädagogen ist Waits einer der Ihren, einer, der manchmal mehr Fabelwesen als real existierender Künstler zu sein scheint Waits weiß sehr gut, dass er hier ein Narr am Hofe des Feuilletons ist und wird für den heutigen Abend wohl auch deshalb auf allzu Offensichtliches („Tom Traubert’s Blues“, „(Looking For) The Heart Of Saturday Night“, „Time“) verzichten. Das Publikum, sagt Waits, sei ein wildes Tier, das nur schwer zu bändigen ist. Heute Abend jedenfalls frisst es ihm aus der Hand.

Mit drei Konzerten bewirbt Waits in Berlin sein neues Album, „Real Gone“, dessen Repertoire freilich im Vordergrund steht Bei ihm sind die ergrauten Marc Ribot und Larry Taylor sowie Jungspund Brian Mantia, der eben noch bei Primus trommelte und gelegentlich Axl Rose zum Arbeitgeber hat Gleich am Anfang stehen das trunken marschierende „Make It Rain“ sowie das (hier überlange) cautionary tale „Don’t Go Into That Barn“. Waits gibt alles, ist Vogelscheuche und Golem, Freak und Table Top Joe – und steht schon nach zehn Minuten voll im Schweiß.

Während Waits das Archaische, Vulgäre, grob Scheppernde von „Real Gone „auf die Bühne übertragen kann, spielt die Band akkurat und steif, als hätte sie gerade einen Notenständer verschluckt, statt sich ins wüste Getümmel zu stürzen.

Schon bei den Aufnahmen zu „Real Gone“ hatte Waits ja das Problem gehabt, dass kein im Studio eingespieltes Instrument so recht auf seine daheim im Badezimmer aufgenommenen verzerrten Vokal-Beats passen wollte. „Metropolitan Glide“? Heute Abend handzahm. „Hoist That Rag“? Von Wildheit keine Spur. Selbst „Get Behind The Mule“, der einzige Song von „Maie Variations“, lahmt bedenklich.

Die Wut, das Trampeln, das Monströse bricht sich immerhin bei einigen älteren Songs Bahn („God’s Away On Business“, „Misery Is The River Of The World“). Wenn Waits am Harmonium sitzt, folgt das ja eigentlich sehr potente Trio der Inspiration ihres Vorstehers auf den Fersen.

Zu den schönsten Momente gehören die ruhigen Kunstlieder mit Waits am Klavier (bei den Zugaben) oder Ribot an der filigranen Jazzgitarre – selbst „Alice“, sonst nicht unbedingt einer der großen Waits-Songs, bekommt so einen glanzvollen Auftritt War Waits „Real Gone“ allen ausgebüchst, muss er seinen Musikern live ein Stück entgegenkommen.

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