Dinosaur Jr. beim ROLLING STONE Weekender: Ein Fanal, ein wunderschöner Noise-Overload

Rockmusik ist tot? Niemand, der auch nur einen einzigen Song dieses Konzerts gehört hat, kann das behaupten.

Sind Dinosaur Jr. die besten Live-Band der Welt? Viele sagen: ja! Henry Rollins sagt: ja! Und es stimmt – fast. Sie sind die zweitbeste Live-Band der Welt, denn die beste, Wilco, spielt erst am zweiten Weekender-Tag. Nicht schlecht übrigens für ein Festival-Line-up. Manche sagen aber auch, ein Konzert von Dinosaur Jr. sei die pure Körperverletzung. So geschehen nach dem ROLLING-STONE-Weekender-Auftritt der Band vor zwei Jahren. Deshalb hier vorab mal eine kleine Gebrauchsanweisung zum Hörgenuss von Dinosaur-Jr.-Konzerten.

Murph (Drums) und Lou Barlow (Bass)
Murph (Drums) und Lou Barlow (Bass)

Voraussetzung eins: Wenn der Klang der Verstärker so herrlich am Trommelfell kratzt, dass man das Gefühl hat, gleich einen Hörsturz zu erleiden, dann ist es genau richtig.

Voraussetzung zwei: Wenn man gar nicht unterscheiden kann, ob das, was da auf der Bühne abgeht, noch der Soundcheck ist oder schon der eigentliche Gig, wenn sich die Band immer weiter in Rage spielt, bis man glaubt, einer wüsten, ausufernden Proberaum-Feedback-Orgie beizuwohnen, dann ist es genau richtig.

Dritte Voraussetzung: Wenn J Mascis vor seinen Amps wie ein bedröppelter, grauhaariger Zen-Meister im Nerd-T-Shirt seine Gitarre umhängt und im nächsten Moment scheinbar aus dem Nichts die irrsten Soli zaubert, dann ist es genau richtig.

Voraussetzung vier: Wenn man kein einziges Wort versteht, das Mascis ins Mikrofon säuselt, dann ist es verdammt noch mal genau richtig so.

Alle vier Voraussetzungen erfüllen Dinosaur Jr. am späten Freitagabend beim Weekender 2016.

Archaisch und unfassbar druckvoll

Die Chemie des Trios war vielleicht nie so gut wie in den vergangenen Jahren. Was Mascis an geringstmöglicher Körperbewegung (bei gleichzeitig rauschhaftem Spiel) bietet, gleicht Bassist Lou Barlow wieder aus. Wie ein Berserker malträtiert er sein Instrument, springt, taumelt, seine Locken wirr vorm Gesicht baumelnd, dass man nicht wüsste, von welcher Seite man ihn sieht, wenn da nicht seine Arme diese hämmernde Saiten-Arbeit leisten würden. Gemeinsam mit Drummer Murph spielen Barlow und Mascis eine archaische und unfassbar druckvolle Musik aus Punk, Stoner Rock und Metal-Riffs, eine Musik, die – wenn man die Augen schließt – wirkt wie eine Kreuzung aus Hüsker Dü, Black Sabbath und Crazy Horse.

„Going Down“, „Out There“, „Pieces“ und als Zugabe The Cures „Just Like Heaven“ sind unwiderstehliche Brecher. Aber Songs aufzuzählen, hat hier eh wenig Sinn. Irgendwann verschwimmt alles zu einem Fanal, zu einem transzendenten, psychedelischen, wunderschönen Noise-Overload.

Manche Menschen sagen oder schreiben gern mal Stuss, dass Rockmusik tot sei. Niemand, der auch nur einen einzigen Song dieses Konzerts gehört hat, kann das behaupten.

Martin von den Driesch
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