Dreampop aus dem All: Die Sterndeuter A.R. Kane sind zurück

Die Geschichte von A.R. Kane erscheint so unbegreifbar und merkwürdig, so wenig den Gesetzen des Musikgeschäftes und denen der Schwerkraft unterworfen, daß man sich darüber wundert, wie alltäglich sie begann, Alex und Rudy saßen in der Schule nebeneinander. Das war in Stratford, England, im Jahr 1969, und die beiden waren acht Jahre alt. In den Pausen bewarfen sich die anderen Kinder mit Tafellappen und Kreidestücken. Alex und Rudy redeten sich lieber die Stimmbänder wund über Musik und Science-fiction-Serien. Irgendwann, so beschlossen sie, würden sie entweder eine Band aufmachen oder ein Raumschiff bauen.

Verwirklicht haben sie dann, viel später, beides: Als A.R. Kane erschienen sie 1988 mit dem Album „69“. Wer es hörte, der staunte: Die Songs schwebten im Raum, auf der Suche nach unbekannten Lebensformen. Ein Jahr später erschien die Doppel-LP (so nannte man das damals noch) mit dem schlichten Titel „I“. Sie sollte eigentlich „Supercoloufragiklipsticksexyallahdosehush“ heißen, aber das war der Plattenfirma zu doof. Man sieht schon, Alex und Rudy haben einen Sprung in der Schüssel. Aber auf „I“ bewiesen sie, daß sie tatsächlich zaubern konnten und machten endgültig den Weltraum zu ihrem Thema. „She loves me, she loves me, she loves me a love from outer space“, so ging der Song zum Abheben. Ein Lied über eine Frau, die „von der Milchstraße auf die Erde kam, direkt an meinem Geburtstag“. Selten waren so viele kleine Musik-Atome, so unglaublich feine Bestandteile so stilsicher (und stillos) zu einem musikaiischen Gemälde zusammengesetzt worden. „Wir denken visuell“, bestätigt Alex diesen Vergleich. „Unsere Inspiration kommt aus Filmen, Fotos, Bildern.“ Heute lebt er in Kalifornien, weil er in Stratford, überhaupt in Europa, klaustrophobische Anfälle kriegte. Rudy will auch bald rüberkommen. Denn die Arbeit am neuen Album „New Clear Child“ fand überwiegend in Amerika statt, und das hat Rudy davon überzeugt, daß er auch umziehen muß. Das nordkalifornische Kaff, in dem Alex wohnt, heißt übrigens Apollo. Was nun wirklich kein Zufall sein kann. „Hier ist alles offen und weit“, schwärmt der Eingewanderte. Als ob man von Kalifornien aus den Weltraum besser sehen könnte.

„New Clear Child“ zeigt die Musik von A.R. Kane in neuer Klarheit Noch immer gibt es ständig Überraschungen – auf einmal taucht fast unmerklich ein Kinderchor im Hintergrund auf; Geigen, Gitarren und Stimmen schauen kurz mal rein und gehen wieder. Aber die Strukturen sind übersichtlicher, eher Song-konzentriett „Wir wollten alles mal etwas herunterfahren und uns auf den Aufbau der Stücke konzentrieren“, meint Alex. Statt wie früher im All spielen die neuen Texte eher im Wasser, am Meer. Zwei Jahre lang haben die beiden Engländer an diesem Album gearbeitet. Auf dem Cover tun sie etwas für Musiker sehr Ungewöhnliches: Sie kleben ihrer eigenen Musik ein Etikett auf. „Dreampop“ steht für Traumlogik, Bilderschwemme, auch für diffusen Spiritualismus. „Das hat überhaupt nichts zu tun mit Psychedelia, Drogen oder so was, auch nicht mit Religion. Schon eher mit Naturmystik, einer Sensibilität für unsichtbare Kräfte.“ „New Clear Child“ ist nach Professor Alex das Bild für Geburt, der eine Vereinigung von Mann und Frau vorausgeht – „ein positives, harmonisches Bild“. Darin steckt aber auch „Nuclear Child“ – das Kind des Atomzeitalters, das auf der Spaltung des Atoms basiert Die Kräfte der Teilung möchten A.R. Kane bekämpfen durch musikalische Synthese. Die Sterndeuter haben ihr Arbeitstempo angezogen: Bereits im nächsten Jahr soll das Raumschiff zu einer neuen Expedition abheben. Und Alex verspricht sogar eine Zwischenlandung in irdischen Zonen, zum Beispiel deutschen Clubs. Eine traumhafte Vorstellung: In einem verräucherten Schuppen sehen wir unendliche Weiten.

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