Eine Polemik

Warum ist dieser Mann eigentlich so überschätzt? David Bowie hat nicht einen einzigen Song geschrieben, der wirklich berührt, nie eine Melodie ersonnen, die das Publikum zu Tränen rührt. Man erstarrt in kollektiver Verehrung und weiß nicht genau, warum. Ist es seine operettenhafte Stimme, die er sich von Scott Walker geborgt hat? Sind es die Hits, die Verkleidungen? Die Wahrheit ist: Dieser Mann ist von keiner künstlerischen Schaffenswut angetrieben, sondern vom Verlangen, irgendwie bedeutsam und bewunderungswürdig zu sein. Egal wie.

In den 60er-Jahren war der junge David Jones ein Mod. Er sah fantastisch aus, trug die richtigen Frisuren und Anzüge. Doch niemand wollte seine Platten hören. Mit neuem Namen und langen Haaren bediente er sich Anfang der 70er-Jahre geschickt bei aktuellen Trends. Erst war er ein bisschen Singer-Songwriter, dann durfte es Glamrock plus ein semischwules Outing sein. Zum Ausnüchtern von diversen Drogen bediente er sich in Berlin bei deutschen Avantgardebands. Bowie war in dieser Zeit Projektionsfläche der seltsam leb- und planlosen Post-Hippie-Generation der 70er Jahre. Die Sixties waren endgültig zu Ende und Punk noch nicht richtig geboren. Irgendjemand musste das Loch stopfen. Und die braven deutschen Jugendlichen in ihren Reihenhauspartykellern fanden es irgendwie aufregend, dass Christiane F. in dunklen Ecken des Bahnhofes Zoo verunreinigtes Rauschgift konsumierte, auf den Strich und danach fröstelnd ins verkokste Bowie-Konzert in die Berliner Deutschlandhalle ging. Das sollten Helden sein? Etwas später kopierte Bowie Soul, bevor er handelsüblichen Dancepop für den Betrieb der MTV-Maschine lieferte – und danach mit seiner Band Tin Machine noch viel schlimmeres.

Hinter Bowies seltsam gekünsteltem Gesang, seinen Verkleidungen und Häutungen versteckt sich – niemand. Bowie ist ein pathetisch gerauntes Geheimnis um gar nichts. Von tausenden Scheinwerfern fantastisch ausgeleuchtet. Das Publikum schaut immer wieder fasziniert auf dieses Fragezeichen im Lichtkegel und sucht nach einer Persönlichkeit. Doch egal, wie lange es schaut, es wird niemanden finden. Das „Chamäleon“ David Bowie ist gezwungen, sich „immer wieder neu“ zu erfinden, weil es ihn eigentlich nicht gibt. All die Masken setzt er auf, um überhaupt erkennbar zu bleiben. Vielleicht ist Bowie deshalb sein ganzes Leben lang verzweifelt auf der Suche und beschäftigt sich intensiv mit Okkultismus und religiösem Geheimwissen.

David Bowie ist nicht viel mehr als ein unterhaltsamer Täuscher. Er hat wenig zu bieten – doch das macht er perfekt.

Der Autor ist stellvertretender Chefredakteur der „Welt“. Er liebt die Beach Boys und Kraftwerk, ist gelernter Mod und spielte bei den Butterfly Collectors

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